Das Heilige Jahr 2025 in Rom hat ein offizielles Maskottchen. Um die zentrale Figur "Luce" tummeln sich noch der Hund "Santino" und die Sidekicks "Fe", "Xin", und "Sky." Sie bilden der Anime- und Manga-Kultur entsprechend einen eigenen Kosmos, der es erlaubt, in der ersten Person narrativ den Raum der Verkündigung, spirituelle Gemeinschaft und der Pilgerschaft zu betreten.
Nur wenige Tage, nachdem Erzbischof Rino Fisichella, Pro-Präfekt des Dikasteriums für Evangelisierung und Beauftragter für das Heilige Jahr, die Figur im Vatikan vorgestellt hatte, tauchten in den Sozialen Medien Hunderte von Memes und Fan-Art-Darstellungen auf.
Endlich gelingt es, die virale Bildkultur mit einem Repertoire an Figuren zu bedienen, die greifen. Die Lichtfigur "Luce" mit Regenmantel, Gummistiefel, Rosenkranz, Pilgerstab und Galaxy Hair offeriert Elemente, die ein hohes Maß an Ambiguität mitgeben. Die Figur schenkt Brüche, Projektionsflächen, Raum für Mimikry und Widerspruch. Sie ist instragammable, twitchtauglich und regt zu wilden Kostümierungen an. Anders als beispielsweise verunglückte Kunstinstallationen kommt Luce semantisch flach daher, sie braucht die Aneignung – zum Beispiel als Profilbild im Counter-Strike-Account oder als Wallpaper fürs Handy.
Es ist kein Geheimnis, dass Buchmessen in der ganzen Welt auch den kommerziellen Wert der Manga-Welten für sich begriffen haben und zu Bühnen für Cosplayer geworden sind. Die fluide Dynamik diverser Erzählwelten ermöglicht es, einzelne Figuren oder Figurenattribute zum Beispiel in Kostümierungen zu übernehmen, machen die Grenze zwischen imaginierter Welt und gelebter Welt flüssig. Sie stiften Anhaltspunkte oder Angelhaken für geteilte und vergemeinschaftete Erzählungen. Was könnte dem Evangelium mehr dienen, als sich damit einzukleiden?
Luce ist nicht der Versuch, in die Popkultur des 21. Jahrhunderts einzutreten, sondern die Einsicht, dass Christentum immer schon Popkultur ist.
Ähnlich wie die narrativen Tableaus der Glasmalerei, die Heiligenfiguren mit ihrem Schatz an Attributen oder christliche Tätowierungen, fügt sich Luce hier ein in eine Technik des Erzählens, die christliche Ausdrücklichkeit und Expressivität in der Welt zum Ziel hat; eine Technik, die das Christentum seit frühen Tagen perfekt beherrschte. Luce ist daher nicht der Versuch, in die Popkultur des 21. Jahrhunderts einzutreten, sondern die Einsicht, dass Christentum immer schon Popkultur ist.
Sie gelingt, weil sie nicht versucht, mit abstrakter Scheu oder avantgardistischen Verrenkungen das Christentum neu zu akzentuieren, sondern weil sie direkte und einfache Elemente und Figuren bereithält, die erst in der Verwendungsweise ihren Zeichenwert gewinnen. Man denke nur an die symbol- und artefaktreichen Ausprägungen der Bild- und Materialkultur in der christlichen Frömmigkeit – von der Jakobsmuschel bis zum Bumper-Sticker. Das ist produktiv, weil christliches Leben auch das Einsteigen in einen Erzählzusammenhang bedeutet.
Interessanterweise findet Luce sowohl in traditionalistischen als auch in progressiven Kreisen Anklang. Sie verbindet diese Lager, weil sie zeigt: Die christliche Kultur besteht über alle Fraktionen hinweg auch in ihrer heiteren Selbstironisierung, der Bereitschaft zum Spiel, im Flirren ihrer Expressivität und schließlich in der täglichen Neuinszenierung jener Dramatik, die mit dem Evangelium das Licht der Welt erblickte. Chapeau, Luce!