#10 GlitzerTaylor Swift in der Kirche

Liturgie und Form. Swift-Songs lösten beim Gottesdienst in Heidelberg kein Erdbeben aus. Es glänzten trotzdem die Seelen. Was bringt's?

Glitzer
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Es fehlt die Discokugel. Das Gewimmel der Stadt abgedimmt und hier drin, umgeben von Echos, die Altäre: ein mirakulöses Klingeln, Weihrauch und irgendwo Formeln zwischen Singsang und Murmeln – würde Glitzer wirklich alles ein bisschen schöner machen? 

Die Rhein-Neckar-Region um Heidelberg gehört mit einem Durchschnittsalter von 40,7 Jahren zu den jüngsten Regionen im deutschsprachigen Raum, so das Statistische Bundesamt für das Jahr 2022. Die Einwohnerschaft von West Reading, Pennsylvania, dem Herkunftsort von Taylor Swift, brachte es in diesem Jahr auf durchschnittlich 36,1 Jahre. Beide Demografien sind im Vergleich zum Globalen Süden freilich uralt, aber für spätkapitalistische Kulturen ist bekanntlich 40 das neue 20.

Das "junge" Heidelberg zeigt sich innovativ

Dies ist bemerkenswert, denn die diözesanen Statistiken zeigen, dass der Altersdurchschnitt der Katholiken 5 bis 10 Jahre höher liegt als in der Gesamtbevölkerung – im ländlichen Raum sind Katholiken 10 bis 15 Jahre älter, vom Altersdurchschnitt bei denjenigen, die am Gottesdienst teilnehmen, ganz zu schweigen.

Das "junge" Heidelberg also zeigt sich innovativ. Die evangelische Heiliggeistkirche, die von Souvenirbuden umzingelt ist und hauptsächlich von Touristen besucht wird, ansonsten eher wie ein hohler Zahn inmitten dieser vibrierenden Stadt wirkt, veranstaltet seit Jahren am amerikanischen Pop-Repertoire orientierte Gottesdienste mit Songs der Beatles, Queen oder von Bob Dylan. Amerikanische Soft Power braucht offenbar keine eigenen Kultureinrichtungen, um sich ins Ausland zu transportieren (vgl. Goethe-Institut), um kulturprägend zu sein – bis hinein in den religiösen Kult.

Richtig erfolgreich scheint das Heidelberger Format aber erst zu sein, seit man vom Altherrenrock abgerückt ist: Taylor Swift macht den Gottesdienst voll. Ein Erdbeben der Stärke 2,5 auf der Richterskala, wie es die 70.000 Swifties beim Konzert in Seattle bei dem Stück "Shake it Off" auslösten, blieb bei den rund 1200 Besucherinnen und Besuchern im Neckar-Athen aus. Trotzdem war der Gottesdienst, bei dem die ehemalige Professorin für Pop-Kirchenmusik Tine Weichmann und der Pfarrer Vincenzo Petracca die Gläubigen zum Kochen brachten, "ein voller Erfolg", wie man wohl im Kulturmanagement-Jargon sagen würde.

Was soll man davon halten? 

Einerseits: Miss Americana ist eine bekennende Christin, eine rebellische Tochter des Rust Belt. Sie tritt für ein Menschenbild ein, das auf Toleranz, Achtsamkeit, demokratische Prinzipien, Liebe für sich und andere, aber auch Respekt, Humanität und Selbstbestimmung beruht. Das sind nicht nur Buzzwords. Taylor Swift ist the real thing. Ihre Musik erzeugt eine Identifikation, die das Magazin "Rolling Stone" einmal als "beängstigend" bezeichnete.

Allgemeine Tuchfühlung

Die Musik von Taylor Swift hat eine Universalität, die Bob Dylan oder Lady Gaga nie erreichten. Diese Universalität entsteht durch Stilelemente, Themen, Konsummöglichkeiten und Performance-Formate, die – sozusagen als bubble buster – in ganz unterschiedliche Segmente der Bevölkerung eindringen. Taylor Swift ist die lustige Nachbarin, die alle mögen.

Dieses Phänomen war auch beim Musical "Hamilton" (2015) zu beobachten, das in den USA bei Angehörigen aller Schichten und Segmente, bei Republikanern wie bei Demokraten Anklang fand. Einigen Künstlerinnen und Künstlern gelingt es, eine ausgreifende Plausibilität, eine allgemeine Tuchfühlung zu schaffen, wie sie übrigens auch für die christliche Botschaft charakteristisch ist. Ein weiteres Beispiel wäre Beyoncé, die den R&B- und Hip-Hop-Sound so modifizierte, dass er auch ein konservativeres und maskulineres Country Music-Publikum erreichte.

Die Identifikation mit Stil und Gestalt von Taylor Swift mutet geradezu mystisch an, da mag Pfarrer Petracca in Heidelberg noch so oft betonen, dass Protestanten keine Heiligen verehren.

Sowohl Taylor Swift als auch Beyoncé nutzen zudem extrem virale Social-Media-Kampagnen, die es auf Nachahmung anlegen, wie die millionenfach einstudierten und in den sozialen Medien geteilten Tänze belegen, zuletzt etwa zu Beyoncés Song "Texas Hold ‘Em".

Die Identifikation mit Stil und Gestalt von Taylor Swift mutet geradezu mystisch an, da mag Pfarrer Petracca in Heidelberg noch so oft betonen, dass Protestanten keine Heiligen verehren. Mit Simon&Garfunkel möchte man ihm antworten: "Cecilia, you're breaking my heart / Cecilia, I'm down on my knees."

Pick your poison

Man muss allen Respekt entgegenbringen, die auf ihre Weise eine Begegnung mit Gott machen. Dieser Anlass mag, wie auch immer er designt ist, eine Atmosphäre erzeugen, in der diese Begegnung möglich wird. Verhalten sich solche Gottesdienste wie der Vers libre zum Sonett?

Anderseits: Wie geht das mit der Tatsache zusammen, dass die christliche Liturgie in ihrer spezifischen Form eine zivilisatorische Komponente besitzt, dass sie an die Autorität eines Anfangs gebunden, daher inspiriert ist und sich von dorther ins Offene projiziert, dass sie eine spezifische Geistesprägung präsent macht, die die kirchengeschichtlichen Entscheidungen, Auseinandersetzungen und Machtkämpfe darüber widerspiegelt, wie die kollektive Ehrerweisung erfolgen soll, dass sie also, kurz gesagt, einer Ordnung folgt – einer Ordnung, der es darum zu tun ist, dass es im Kult zu einer Begegnung mit Christus kommt? Das Geschehen am Altar ist glitzerndes Sakrament und Geheimnis. So, pick your poison.

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