#7 BuchTextkörper und Buch: Lässt sich Hoffnung schriftlich zusagen?

Wir beurteilen ein Buch in der Regel nicht nach seinem Einband. Doch wann wissen wir, ob das, was die Schrift mitteilt, die ganze Geschichte ist?

Aris Kalaizis, Das Martyrium des Hl. Bartholomäus oder das doppelte Martyrium | Öl auf Lw.  (2014/2015) / Digitales Repro: Aris Kalaizis
Aris Kalaizis: Das Martyrium des Hl. Bartholomäus oder das doppelte Martyrium© Aris Kalaizis

Der Leipziger Maler Aris Kalaizis entwarf vor einigen Jahren in der Auseinandersetzung mit dem Martyrium des Heiligen Bartholomäus ein monumentales Gemälde. Es zeigt die invertierte Kreuzigung der kanonisierten Figur, doch das eigentliche Drama spielt sich im Hintergrund ab – bei einer Figur, die zu den Schergen gehört. Diese steht bis zur Hüfte mit nacktem Oberkörper im Wasser und hält ein brennendes Buch gegen einen düsteren Horizont, während im Bildvordergrund sich die Häutung und Kreuzigung des Bartholomäus zuträgt.

Die amerikanische Kunstkritikerin Carol Strickland prägte für den Ansatz des Malers mit griechischen Wurzeln einmal den Begriff "Sottorealismus." Die New Yorkerin wollte damit eine Wirklichkeit beschreiben, die sich bei aller Wahrnehmung im Stillen und Zwielichtigen, als ein sotto voce (dt. stimmloses Flüstern) mitteilt. Das Bild führt hinein in die radikale Dynamik, mit der sich Hoffnung und die Weitergabe von Hoffnung in die Geschichte hineinschreibt – prekär, immerfort am seidenen Faden – und vor allem unabgeschlossen.

Nirgends ein Zeugnis der Gnade. Keine Spur der frohen Botschaft. Es gibt keine Akte der Barmherzigkeit: keiner geht, keiner sieht wieder. Niemand wird gespießt. Niemand geht übers Wasser.

Nirgends ein Zeugnis der Gnade

Das Gemälde entstand in Konfrontation mit den zahlreichen Darstellungen in Fresken, Skulpturen, Schnitzereien und Ölgemälden im Frankfurter Dom, aber auch mit dem Umfeld des Sakralgebäudes, wo die Nationalsozialisten 1933 auf dem Römerberg, nur ein Steinwurf des Gotteshauses entfernt, Bücher von zahlreichen jüdischen Autoren verbrannten. Während im Vordergrund dieses Gemäldes ebenfalls ein Feuer brennt und von Büchern gespeist wird, während die beiden Schergen die Klinge ansetzen, um ihr furchtbares Werk zu vollbringen, reißt sich einer los, nimmt ein Buch, das schon Flammen gefangen hat, und geht ins Wasser.

Nirgends ein Zeugnis der Gnade. Keine Spur der frohen Botschaft. Es gibt keine Akte der Barmherzigkeit: keiner geht, keiner sieht wieder. Niemand geht übers Wasser. Und wenn man es nüchtern betrachtet, gibt das, was hier einem Menschen durch andere angetan wird, auch keinen Anlass dazu, an eine überwältigende Evidenz der frohen Botschaft zu denken, geschweige denn, daran zu glauben. Es wird jemand getötet und vielleicht hat er es sogar verdient.

Nullpunkt einer Mission

Gewiss, es ist seltsam, dieses Bild unbefangen anzuschauen, denn die Evangelien sagen uns ja: Er hieße Bartholomäus. Er sei Apostel, einer der Zwölf. In den Legendenbüchern steht: Er sei in Indien oder Persien oder dem heutigen Armenien zu Tode gekommen. Aber wir sollten vorsichtig sein, denn Aris Kalaizis will es uns nicht so leicht machen.

Hier ist doch der Nullpunkt einer Mission, das Scheitern. Die kirchliche Tradition, die ja bei allen Dingen so schnell mit ihren unzähligen Begriffen bereitsteht, nennt sein Schicksal etwas voreilig ein Martyrium. Sie hat ihr Martyrium. Das Martyrium hat in der Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt Christi gewiss ihre ultimative Matrix. Doch der Maler führt das Publikum hin zu jenem Augenblick, da das Happy End noch nicht geschrieben ist, nirgends durch ein Amt oder eine Würde bestätigt wäre, offen und ungedeckt ist. Das Martyrium ist bloßer Begriff. Schall und Rauch. Und alles was er vorhatte, als er zu diesen ungläubigen und geistlosen Heiden ging, all das hing ohnehin am seidenen Faden und an diesen seidenen Faden legen die Schergen gerade jetzt lächelnd ihre Klinge an — und durchtrennen ihn. Es ist aus.

Hier, in diesem Moment, in dem alles verloren scheint, bricht einer aus — bricht einer aus der Handlung aus, in der alle ihre Rolle zu kennen scheinen: Da ergreift einer das Evangelium. 

Ist Hoffnung gerechtfertigt?

Als Aris Kalaizis, geboren 1966, seine ersten Bilder auf einer Staffelei malte, die ihm sein Vater aus zusammengeklaubtem Holzabfällen zusammengezimmert hatte, schienen die Tore der renommierten Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, wo Bernhard Heisig, Arno Rink oder Werner Tübke lehrten, in unvorstellbarer Ferne. Seine Eltern hatten die Kommunisten nach dem griechischen Bürgerkrieg, wie viele zehntausende Griechen in die Sowjetzonen verschleppt. Als Migrant in der sonst homogenen DDR, zweifelhaft beäugt, konnte er erst nach der Wende in der Generation von Neo Rauch und Michael Triegel Malerei studieren. Und auch dann: Wer ist dieser Maler mit dem griechischen Namen, den niemand einordnen oder zuordnen konnte?

Ist Hoffnung gerechtfertigt? Wo ist sie verbrieft? Wer bürgt für sie? Darf man auf ein gutes Ende hoffen? Vielleicht. Vielleicht nicht. Und hier, in diesem Moment, in dem alles verloren scheint, bricht einer aus — bricht einer aus der Handlung aus, in der alle ihre Rolle zu kennen scheinen: Da ergreift einer das Evangelium. Und dieser eine kehrt der Schändung den Rücken, geht in das Meer und hebt es hoch. Er streckt das Buch dem Bildhintergrund entgegen. Aber: Wir wissen nicht, ob zum Spott, ob zum Hohn, oder doch als Revolte gegen die ungeheure Negation, Revolte gegen die Verneinung, die das Bild zu dominieren scheint.

Da ist sie, die bittere, unentschlossene, weil immerfort sich durchringende Hoffnung, von der wir eigentlich nicht einmal sagen können, ob der Mann im Wasser das Buch zum Lob oder zum Spott hebt — auch wissen wir nicht, ob er es gegen die Morgenröte, den Vulkanausbruch oder gegen die Nacht hebt. Wir wissen nicht, ob es um Gott oder um die Kunst geht. Wir sind hineingerissen in den Zweifel, jenseits und im Gegensatz zu allen, die sich in ihrer Rolle gewiss sind. Es ist nichts eindeutig auszumachen, und es ist kaum auszuhalten.

Den Nullpunkt des Scheiterns durchmessen

Wir sind jetzt an dem Punkt angekommen, wo wir begreifen können, dass wir nicht dem Fries im Chor des Frankfurter Doms allein trauen können, welcher in 32 Bildern die Geschichte des Bartholomäus bis zum Triumph abschließend und endgültig darstellen will. Wir können nicht seine eindeutige Anlage hinnehmen. Wir verwerfen sie entschlossen, um das wahrzunehmen, was in der Fülle dieses schrecklichen Augenblicks ist. Wir müssen den Nullpunkt des Scheiterns durchmessen, nichts steht fest, nichts ist errichtet, aber: Die Kunst besteht noch vor allen Kunstakademien, sie hält ihr brennendes Zeichen in die Ungewissheit; und die Revolte des Sinns, das Aufbegehren und Durchringen zur bitteren Hoffnung schießt siedend durch unsere Adern noch bevor nur ein einziger Altar geweiht ist.

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