Zu viel Pädagogik bei "Miss Germany"Aus einem Schönheitswetterwerb wird ein Preis für "innere Werte"– das funktioniert nicht

Die Wahl der 39-jährigen Architektin Apameh Schönauer zur „Miss Germany“ hat für hämische Kommentare im Netz gesorgt. Dabei spielte auch Rassismus eine Rolle. Vielleicht rührt ein Teil der Kritik aber auch daher, dass die Leute allergisch auf Belehrungen reagieren. "Miss Germany" versteht sich inzwischen als "Auszeichnung für Frauen, die Verantwortung übernehmen". Doch Schönheit ist zweckfrei und braucht kein gesellschaftliches Anliegen, um gefeiert zu werden.

Johannes Hartl
© Rudi Töws

Ob die Schönheit tatsächlich nur im Auge des Betrachters liegt, kann bezweifelt werden. Jedenfalls gibt es Präferenzen, die sich quer durch alle Kulturen ziehen. Bedeutend mehr Menschen empfinden die Farbe Blau schöner als die Farbe Braun, egal, wo auf der Erde sie leben.

Viel ist schon über die kulturelle Wandelbarkeit von Schönheitsvorstellungen beim Menschen geschrieben worden. Tatsächlich gälte die Körperfülle einer auf Barockgemälden verewigten Dame heute als etwas zu viel des Guten. Doch auch hier verdecken die Ausnahmen die viel wichtigere Regel: Gesunde, junge und symmetrische Körper und Gesichter wurden wohl zu jeder Zeit und in jeder Kultur mit höherer Wahrscheinlichkeit als attraktiv empfunden als andere.

Am 24. Februar 2024 wurde Apameh Schönauer zur "Miss Germany" gekürt. Auf Social Media werden Bilder der gebürtigen Iranerin mit einer wahren Flut abfälliger oder doch zumindest kritischer Beiträge kommentiert. Stellungnahmen der Veranstalter folgten: "Miss Germany" sei schon seit drei Jahren kein Schönheitswettbewerb mehr, sondern eine Auszeichnung für besonders engagierte Frauen. Amtsvorgängerin Kira Geiss, "Miss Germany 2023", kenne ich persönlich; sie wurde im Netz nicht mit Häme überzogen. Ob es daran liegt, dass sie keinen Migrationshintergrund hat? Oder daran, dass sie dem klassischen Schönheitsideal eher entspricht?

Einen Schönheitswettbewerb abzuschaffen, bringt die Menschen nicht davon ab, auf Äußeres zu achten

Diese Fragen verbinden sich mit dem größeren Thema: Wie ist die Veränderung der Zielrichtung der Misswahlen überhaupt zu bewerten? Es spricht rein gar nichts dagegen, Frauen für ihr gesellschaftliches Engagement zu ehren. Freilich gibt es solche Preise schon zuhauf; Städte, Institutionen, Stiftungen, Universitäten und Firmen haben allesamt ihre Ehrenwürden und Preise. Einen vergleichbaren Schönheitswettbewerb gibt es jedoch in Deutschland nicht mehr, während alle anderen Länder ihre "Miss Italy", "Miss Venezuela" und vor allem "Miss Universe" weiter nach optischen Kriterien küren. Sieht Deutschland sich hier als Vorreiter? Und falls ja: ist die Überwindung eines am Äußeren orientierten Schönheitsbegriffs tatsächlich eine moralische Leistung? Die Antwort auf diese Frage könnte durchaus auch "ja" sein. Wer selbst danach strebt, sich nicht nur vom Äußeren blenden zu lassen oder selbst mehr auf seinen Charakter zu achten als auf sein Erscheinungsbild, handelt sicherlich lobenswert. Ob eine solche Haltung jedoch durch die De-facto-Abschaffung eines Schönheitswettbewerbs befördert wird, darf bezweifelt werden.

Von einem Menschen zu sagen, dass er körperlich attraktiver ist als ein anderer, ist kein Vergehen. Menschen sind unterschiedlich intelligent, unterschiedlich wohlhabend, unterschiedlich sportlich, unterschiedlich musikalisch, unterschiedlich begabt. Keiner dieser Bereiche ist "gerecht" verteilt, vieles daran ist auch kein persönliches Verdienst.

Wer bestreiten möchte, dass Menschen sich auch in Zukunft durchaus nach den ganz stereotypen Schönheitsvorstellungen richten werden, den belehrt ein Blick auf die Cover von Zeitschriften, das Scrollen durch die beliebtesten Instagram-Kanäle, die Art und Weise, wie junge Menschen sich auf Tinder präsentieren. Und auch wenn die inneren Werte wichtiger sind: selbstverständlich sind Schönheitsvorstellungen ziemlich einheitlich. Doch ist das bereits verdächtig? Vielleicht sind die negativen Kommentare auf Schönauers Misswahl – von dem häufig mitschwingenden Rassismus abgesehen – auch dem wenig subtil vorgetragenen pädagogischen Anliegen geschuldet, das hier durchschimmert. Wird bei dieser Wahl vielleicht weniger gezeigt und gefeiert, was nun mal als schön empfunden wird, sondern eher darüber belehrt, was als schön empfunden werden sollte?

Von einem Menschen zu sagen, dass er körperlich attraktiver ist als ein anderer, ist kein Vergehen. Menschen sind unterschiedlich intelligent, unterschiedlich wohlhabend, unterschiedlich sportlich, unterschiedlich musikalisch, unterschiedlich begabt. Keiner dieser Bereiche ist "gerecht" verteilt, vieles daran ist auch kein persönliches Verdienst. Dennoch darf die Schönheit ebenso gefeiert werden wie sportliche Leistung, Humor, Schachspiel oder all die Skurrilitäten, die im "Guiness Buch der Rekorde" aufgelistet ist. Apameh Schönauers Engagement wäre besser durch eine andere öffentliche Auszeichnung geehrt worden. Denn das Schöne an der Schönheit ist, dass sie zweckfrei ist. Sie bedarf keines gesellschaftlichen Anliegens, um gewürdigt zu werden. In dieser Welt der Zwecke droht der Sinn für das zweckfrei Schöne ohnehin zu verstummen. Gerade deshalb ist es zu verteidigen. Oder ist uns die Schönheit verdächtig, wenn sie unseren eigenen Zwecken nicht dient?

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