Die Leere wächstJugend in der Krise

Jungen Leuten geht es schlecht: Die Zahl der psychischen Erkrankungen schnellt nach oben. Die Ursachen: Digitalisierung, die Brüchigkeit der Familien, Vereinsamung – aber auch die metaphysische Heimatlosigkeit. Wir müssen uns darauf besinnen, was das Menschsein ausmacht.

Johannes Hartl
© Rudi Töws

Machen Sie das Experiment einfach selbst. Sprechen Sie mit irgendjemandem, der es beruflich mit jungen Menschen zu tun hat und fragen Sie, wie es den jungen Menschen heute denn so geht. Wenn Sie besonders mutig sind, fragen Sie Psychologen oder Ärzte. Therapieplätze für Kinder und Jugendliche sind an vielen Orten auf Monate ausgebucht.

Freilich betrifft es nicht nur die Jüngsten: in Europa werden pro Jahr rund 600 Milliarden Euro für die Bekämpfung emotionaler Leiden ausgegeben, Tendenz steigend. Diese Zahl stammt von der amerikanischen Psychologin Erica Komisar, die die als "mental health crisis" beschriebene sprunghafte Zunahme seelischer Leiden untersucht.

Doch weshalb steigt die Zahl der Diagnosen von Angststörungen, Depressionen, Burnout, Süchten und selbstverletzendem Verhalten in den letzten 10 Jahren so rapide? Zunächst besteht ein Zusammenhang mit der rasanten Digitalisierung, besonders seit Einführung der Smartphones und besonders seit ihrem Eindringen in die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Als Faustregel kann durchaus gelten: je früher und je intensiver Kinder mit digitalen Medien in Berührung kommen, desto größer die negativen Auswirkungen auf die Entwicklung ihres Gehirns. Besonders dramatisch ist der Zusammenhang von der Nutzung sozialer Medien und psychischem Wohlbefinden bei Teenagern. Je mehr soziale Medien, desto weniger emotionale Gesundheit.

Smartphones machen Kinder krank

Seit Jahrzehnten wird die Zahl psychischer Erkrankungen statistisch erfasst. Im Jahr 2013 begann die Kurve besonders signifikant nach oben zu gehen. Dasselbe Jahr markiert gleichzeitig den Zeitpunkt, zu dem mehr als die Hälfte der jungen Menschen ein Smartphone besaßen. Nicht nur Korrelation, sondern auch Kausalität, zeigen psychologische Studien.

Freilich begann der Trend nicht erst mit dem Jahr 2013. Die Digitalisierung habe die "mental health crisis" nicht verursacht, sondern eine bereits bestehende nur weiter verschärft, so Komisar. Die noch wichtigere Ursache sieht sie in der Brüchigkeit familiärer Beziehungen. Wenige andere Faktoren sind für das emotionale Wohlbefinden so wichtig wie die Stabilität und Qualität von Beziehungen. In den ersten Jahren der Kindheit bilden sie die Grundlage der emotionalen Gesundheit für das ganze Leben. Wer in den ersten Lebensjahren ausreichend Sicherheit, empathische Aufmerksamkeit und Nähe erfährt, ist im Schnitt resilienter, leistungsfähiger und kann selbst stabilere Beziehungen aufbauen.

Sicherheit und emotionale Wärme erfahren Kinder aber am regelmäßigsten, wenn Beziehungen um sie herum stabil und liebevoll sind. Genau das wird aber rein statistisch seit Jahrzehnten seltener.

Sicherheit und emotionale Wärme erfahren Kinder aber am regelmäßigsten, wenn Beziehungen um sie herum stabil und liebevoll sind. Genau das wird aber rein statistisch seit Jahrzehnten seltener. Weniger Paare heiraten, viele Ehen gehen in die Brüche. Bis dieser Trend, der bereits seit den Sechzigerjahren im Gange ist, umfassend bei den jungen Generationen ankommt, vergehen natürlich Jahrzehnte. Die Auswirkungen sind jetzt aber überdeutlich sichtbar.

Weitere Ursachen sind unschwer zu finden. Mit Digitalisierung und Erosion der Familien geht schleichende Vereinsamung einher. Sie wird noch verstärkt durch die Beschleunigung und Dynamisierung der arbeitsbedingten Lebensentwürfe. Beziehungen brauchen Zeit. Häufige Umzüge und die Digitalisierung des Sozialen lassen die schiere Anzahl von Kontakten zwar zunehmen, ihre Tiefe aber abnehmen. Was Menschen in ihrer emotionalen Gesundheit aber nachweislich stärkt, sind dauerhafte und reale Beziehungen. Digitale Kontakte tragen dagegen nachweislich kaum zur Steigerung des seelischen Wohlbefindens bei.

Im Gestus des Befreiungsschlags hat der ehemals christliche Westen sich in den letzten Jahrzehnten seiner Verwurzelung im Christentum zunächst schleichend und nun zunehmend sprunghaft entledigt. Die metaphysische Heimatlosigkeit ist dauerhaft aber kein menschenwürdiger Zustand. Am Ende bleibt der Mensch nicht befreiter zurück, sondern einfach nur leerer. Den "unheimlichsten aller Gäste", nannte Nietzsche den Nihilismus, der sich unbemerkt dazugesellt, sind die Stützseile in die Welt der Transzendenz erst einmal gekappt. Die "mental health crisis" ist eine der gravierendsten der Gegenwart. Lösungen werden jene aufzeigen können, die die Menschen daran erinnern, was das Menschssein ausmacht: Verbundenheit, Transzendenz, Sinn, Schönheit und Wahrheit.  

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