Auf seinen Reisen im Auftrag des Höchsten kam Paulus auch nach Athen. Politisch längst nicht mehr von großer Bedeutung ist Athen im römischen Reich nach wie vor eines der wichtigsten kulturellen Zentren.
Lukas berichtet im 17. Kapitel seiner Apostelgeschichte, wie der fromme Paulus von dem schockiert ist, was er sieht. Die ganze Stadt ist voll von Götzendienst. Und er könnte noch mehr Dinge gesehen haben, die für einen Juden anstößig waren: Sportwettkämpfe mit nackten Männern, normalisierte Knabenliebe, rauschende Feste mit reichlichem Alkoholgenuss. Paulus jedoch flieht nicht schockiert, sondern begibt sich mitten hinein ins Zentrum des Geschehens. Mitten auf dem Areopag beginnt er, mit Philosophen und Passanten zu diskutieren: "Alle Athener und die Fremden dort taten nichts lieber, als die letzten Neuigkeiten zu erzählen oder zu hören" (Apg 17,21).
Obwohl er über den grassierenden Polytheismus überaus erregt ist, beginnt Paulus seine Rede mit einer positiven Wertschätzung des Anliegens der Athener. Sie seien, so analysiert er, offenbar sehr gottesfürchtig. Die Wirkung seines Missionseinsatzes bleibt am Ende zwar überschaubar, die Geste ist jedoch bemerkenswert.
Wenn es heute einen Areopag gibt, dann ist er das Internet. Dort wird viel Zeit damit zugebracht, "die letzten Neuigkeiten zu erzählen oder zu hören", dort werden die politischen und weltanschaulichen Trends verhandelt. Dort wird zur Schau gestellt, zum Verkauf angeboten, beworben, gelogen, verlockt und verführt. Dort kommen Menschen zusammen. Wem etwas an der Wahrheit und an Moral liegt, der findet dort auch manches Bedenkliche.
Eindrücklich erklingen derzeit die Warnungen der Politiker vor Fakenews und der Wahlen beeinflussenden Macht der sozialen Netze. Schwieriger, als das Negative zu sehen, bleibt stets, selbst etwas Positives anzubieten. Etablierte Parteien, etablierte Medienhäuser und auch die Großkirchen haben allesamt Mühe, ihre eigenen Positionen wirkungsvoll im digitalen Raum von der jüngeren, oft agileren, nicht selten populistischen Konkurrenz abzusetzen.
Verbreitet wird, was Aufmerksamkeit erzeugt. Aufmerksamkeit erzeugt, was starke Gefühle hervorruft. Einzelne Worte werden wichtiger als Sätze. Fotos werden wichtiger als Worte. Videos werden wichtiger als Fotos.
Nicht selten fehlt schlicht das Verständnis, wie tiefgreifend das Internet die Art und Weise verändert, wie Informationen entstehen und sich verbreiten. Die Algorithmen sind Triebfedern einer Aufmerksamkeitsökonomie. Verbreitet wird, was Aufmerksamkeit erzeugt. Aufmerksamkeit erzeugt, was starke Gefühle hervorruft. Einzelne Worte werden wichtiger als Sätze. Fotos werden wichtiger als Worte. Videos werden wichtiger als Fotos.
Die Algorithmen folgen dabei nicht festen Mustern. Sie werden, entgegen allen Verschwörungstheorien, in den meisten Fällen nicht bewusst gesteuert. Sie sind selbstlernende Systeme, die ihre Angebote beständig an den Bedarf anpassen.
Trends erkennen, Anknüpfungspunkte suchen, selbstbewusst sein
Um auf dem digitalen Areopag wirkungsvoll zu kommunizieren, bedarf es deshalb eines neuen Sets an Fertigkeiten. Das hat vor allem mit Geschwindigkeit zu tun und der Fähigkeit, Trends zu erkennen. Worüber wird gerade gesprochen? Welche offene Frage gibt es? Wie reden andere darüber?
Auf dem digitalen Areopag zählen keine monodirektionalen Verlautbarungen mehr. Das Kommunikationsgeschehen verläuft in alle Richtungen zugleich. Tatsächlich hat sich das seit der Zeit von Paulus nicht geändert: auch er beobachtet zunächst, mischt sich dann in das Gespräch ein und sucht Anknüpfungspunkte. Wo sind positive Anliegen, die man aufnehmen kann?
Der digitale Areopag bestraft kulturpessimistischen Rückzug und lehrt, den eigenen Standpunkt freundlich, aber durchaus selbstbewusst zu platzieren. So scheut Paulus sich auch nicht davor, mit seiner Verkündigung der Auferstehung die Zuhörer vor den Kopf zu stoßen. Das ist das Risiko jeder Kommunikation, die nicht in der Beliebigkeit untergehen möchte.
Eine Zeit ohne digitaler Informationsökonomie wird nie wieder kommen. Wem es um die Wahrheit, das Gute und Gott geht, der möge lernen, sich auf dem digitalen Areopag zu bewegen. Denn dort sind die Menschen.