Hält man sich zu lange am Stück in Deutschland auf, so verfällt man der Versuchung, vom hiesigen Normalen auf das Generelle zu schließen. Gerade bezüglich des Zustands der katholischen Kirche ist diese Versuchung tückisch. Die Kirche sieht praktisch nirgends so aus wie in Deutschland, in vielerlei Hinsicht sind wir eine globale Ausnahme.
Dass das Christentum allgemein in weiten Teilen der Welt am Wachsen ist, ist durchaus bekannt; besonders in Asien, Afrika und im Nahen Osten. Weniger bekannt ist, dass auch im europäischen Ausland die katholische Kirche ein ganz anderes Bild abgibt als bei uns.
Am vergangenen Wochenende sprach ich auf einer Konferenz zum Thema "missionarische Pfarrgemeinde" in Holland. Unter den rund 1000 Teilnehmern befanden sich nicht nur auffallend viele Priester und (auffallend junge) Ordensleute, sondern auch beinahe alle Bischöfe des Landes vollzählig.
Noch in den Achtzigerjahren waren die Niederlande das "progressivste" Land der nachkonziliaren Experimente. Laien statt Priester, heruntergefahrene Sakramentenpastoral, Dialog statt Katechismus und Offenheit statt katholische Sexualmoral waren die Devisen. Was in Deutschland noch als heiße Themen des "Synodalen Weges" verhandelt wird, gilt in den Niederlanden als Verirrungen früherer Jahrzehnte, von denen man sich nach teuer bezahltem Lehrgeld freigemacht hat. Stattdessen geht es auf einmal wieder um Mission. Wie wird unsere Pfarrgemeinde anziehend? Welche Glaubenskurse funktionieren am besten? Wie schulen und bevollmächtigen wir Mitarbeiter? Um diese Themen ging es bei der Konferenz in der ausverkauften Halle. An Interesse scheint es nicht zu mangeln.
Rekordzahlen bei den Erwachsenentaufen in Frankreich
Die Niederlande stehen nicht allein. In Frankreich wurden letztes Jahr 12.000 Personen in der Osternacht getauft: ein Rekordwert an Erwachsenentaufen, der nie zuvor erreicht worden war. Auch in Frankreich ist die Kirche dabei, den Turnaround zu einer missionalen Ausrichtung zu schaffen. Zum jährlichen "Congrés mission" in Paris kommen seit Jahren nicht nur tausende Teilnehmer, sondern ebenfalls eine große Anzahl der Bischöfe, Dutzende von Ordensgemeinschaften und Bewegungen. Als ich vor einigen Jahren dort sprechen durfte, waren es etwa 5000 Teilnehmer. Im Jahr 2024 fand der Kongress an 140 Orten zugleich statt und zog bis zu 17.000 Personen an. Für dieses Jahr wurde die Accor Arena in Paris-Bercy gemietet, die über 20.000 Menschen fassen kann.
Eine ganze Konferenz, in der es nur um die Frage geht, wie die katholische Kirche heute evangelisieren kann? Eine Konferenz, die Jugendlichkeit, Innovation, Kreativität und tiefe Spiritualität ausstrahlt? Eine Konferenz ferner, an der ein großer Teil der Bischöfe und eine große Bandbreite an Orden teilnimmt? In Deutschland schwer vorstellbar, in anderen Ländern längst normal.
Ein ähnliches Bild zeichnet sich in Großbritannien ab. Sowohl die anglikanische als auch die deutlich kleinere katholische Kirche hat sich aktiv von der Bewahrung des Status-Quo hin zur Mission gewandelt.
Nach wie vor treten Menschen aus den Kirchen aus. Nach wie vor steigt die Zahl jener, die sich keiner Religion zurechnen. Nach wie vor werden Kirchen geschlossen. Es gibt überall dort jedoch auch ein wachsendes Momentum gegen diesen Trend: Kirchen, die wieder neu belebt werden, Gemeindeneugründungen und Pfarreien, die sich in den letzten Jahren deutlich verjüngt haben.
Zwar schreitet in all den besagten Ländern die Säkularisierung ungebrochen voran. Nach wie vor treten Menschen aus den Kirchen aus. Nach wie vor steigt die Zahl jener, die sich keiner Religion zurechnen. Nach wie vor werden Kirchen geschlossen. Es gibt überall dort jedoch auch ein wachsendes Momentum gegen diesen Trend: Kirchen, die wieder neu belebt werden, Gemeindeneugründungen und Pfarreien, die sich in den letzten Jahren deutlich verjüngt haben. Bewegungen wie "Alpha" und "Divine Renovation" haben weltweit längst bewiesen, dass Wachstum auch in säkularen Zeiten möglich ist. Die Kirchenleitungen in besagten Ländern haben ihre Prioritäten geklärt und räumen dem Missionarischen den allerhöchsten Stellenwert ein. Ob sich daraus eine größere Welle, vielleicht sogar eine Renaissance des Glaubens ergeben wird, bleibt abzuwarten. Hoffnung macht es allemal. Zeit, dass die Kirche in Deutschland hier den Anschluss findet.