In Frankreich brechen die Kirchen am Aschermittwoch aus allen Nähten, und in Deutschland diskutiert die Theologie über die Zunahme religiöser Indifferenz. Wie passt das zusammen?
Zunächst: empirische Daten lügen nicht und eine unbequeme Wahrheit ist besser als jeder gut gemeinte Selbstbetrug. Säkularisierung ist ein Megatrend, der weiter voranschreitet. Ein größer werdender Anteil der deutschen Bevölkerung scheint nichts zu vermissen, wenn Religion für ihn keine Rolle spielt.
Die Volkskirche stirbt. Was jedoch kommt nach diesem Sterben? Und wie einheitlich ist dieser Trend eigentlich?
Die Diskussion in COMMUNIO zeugt vom Mut, sich der Faktenlage zu stellen, hat aber eine entscheidende Folgefrage noch nicht berührt: Was genau ist nun zu tun? Die Zahlen aus Deutschland belegen zunächst nur das, was schon seit Jahrzehnten jeder sehen kann: Die Volkskirche stirbt. Was jedoch kommt nach diesem Sterben? Und wie einheitlich ist dieser Trend eigentlich?
In Frankreich und Belgien sind es gerade junge Menschen, die sich der Kirche wieder annähern. Auch hierzulande bezeichnen sich die Angehörigen der Generation Z nur halb so häufig als Atheisten als die Generation ihrer Eltern und doppelt so häufig als spirituell. In Großbritannien steigt der Verkauf an Bibeln durch besonders junge Kunden, und in Schweden identifizierte jüngst ein Jugendbarometer Jesus als den populärsten Influencer für das Jahr 2025.
Mehr als ein Jugendtrend
Dies sind Einzelbeobachtungen und noch keine Massenbewegung. Doch es geht um mehr als einen Jugendtrend. Einer der meistgelesenen Artikel in der britischen Zeitschrift "The Spectator" war 2024 ein Text mit dem Titel "The surprising truth about the West's Christian revival". Der Autor Justin Brierley interviewt seit vielen Jahren die Größen des "neuen Atheismus" und bemerkte eine bedeutsame Veränderung in den letzten Jahren: Richard Dawkins bezeichnet sich als "kulturellen Christen", YouTuber Alex O’Connor (1,36 Millionen Abonnenten) gesteht offen, er wünsche sich, das Christentum sei wahr, Sam Harris predigt mittlerweile agnostische Spiritualität und Ayaan Hirsi Ali, die ehemals prominenteste weibliche atheistische Stimme der Welt, ist zum Christentum konvertiert. Die Feindseligkeit der "New Atheists" ist einer neuen Offenheit gewichen.
Derweil ist der numerische Niedergang des Christentums in den USA seit 2019 erstmals gestoppt und die Zahlen steigen wieder leicht. Hier zeichnet sich ein Kurswechsel in einem bestimmten Milieu ab. Ein Milieu, das von der akademischen Theologie wohl noch gründlich unterschätzt wird.
Ein Fallbeispiel: der amerikanische Podcaster Joe Rogan. Mit seinen mehrstündigen Interviews wurde er zum mit Abstand erfolgreichsten Podcaster der Welt. Konkret werden seine Inhalte von etwa 347 Millionen Menschen gehört. Um die Zahl in eine Perspektive zu setzen: das ist die etwa 28-fache Reichweite von CNN und einer der Gründe, weshalb Trump die letzte US-Wahl gewonnen hat. Er war kurz vor der Wahl bei Rogan zu Gast, Harris nicht. An der Person Joe Rogan und der Wahl seiner Interviewgäste kann der Mind-Shift der letzten Jahre deutlich abgelesen werden. Früher agnostisch ist Rogan mittlerweile eindeutig spirituell, mit großer Offenheit für alles Religiöse. Freilich sind die von ihm besprochenen Themen ein wilder Mix aus Popkuktur, Kampfsport, Psychodelika, Geschichte und nicht selten schrägen Theorien. Doch unabsehbar ist seine Annäherung an und sein Respekt für die Bibel und das Christentum.
Die Frage nach Gott ist längst wieder im Mittelpunkt der Debatte angekommen.
Im Januar dieses Jahres ist Wesley Huff zu Gast bei Rogan. In dem dreistündigen Gespräch legt der christliche Apologet eine Argumentation für die historische Zuverlässigkeit der neutestamentlichen Texte und der Auferstehung Jesu vor, die jedem zweifelnden Christen zur Erbauung dienen könnte. Rogan ist sichtlich beeindruckt und ein dreistelliges Millionenpublikum nimmt teil. Auch mit Studiogästen wie Mark Zuckerberg oder Russel Crowe spricht er über spirituelle Themen. Und wen all dies unbeeindruckt lässt, der hat die Macht der neuen Medien vielleicht noch nicht verstanden: Die Frage nach Gott ist längst wieder im Mittelpunkt der Debatte angekommen.
Während die Kirche gelähmt wie das Kaninchen vor der Schlange auf die ernüchternden Zahlen blickt, sind junge Menschen in der westlichen Welt alles andere als grundsätzlich desinteressiert. Deshalb sind Defätismus und Passivität nicht das Gebot der Stunde. Der Abgesang auf die Kirche sollte uns nicht aus der Fassung bringen.
Anstatt den eigenen Kurs an den Vorlieben jener auszurichten, die ohnehin kaum interessiert sind, täte die Kirche gut daran, jene aktiv in den Blick zu nehmen, die noch immer oder gerade ganz neu am Denken und Suchen sind.
Was Unternehmen intuitiv tun, fällt der Kirche schwer. Unternehmen richten ihr Angebot prinzipiell an Wunschkunden aus, also an jenen Menschen, die sie potenziell ansprechen können. Ein Beispiel: Auch der Abgesang auf das Buch begleitet uns nun auch schon einige Jahrzehnte. Und siehe da: Es gibt das Buch noch immer. In einigen Segmenten boomt es sogar und – von Mangas kann man halten, was man will – ganze schnell wachsende Märkte entstanden erst in den letzten Jahren. Wie sähe die Stimmung in der Verlagen oder an den Buchmessen aus, wenn man sich dort Jahr für Jahr nur mit den insgesamt stark sinkenden Absatzzahlen beschäftigen würde? Nun, wahrscheinlich so ähnlich wie die Stimmung in manchen Ordinariaten. Doch anstatt den eigenen Kurs an den Vorlieben jener auszurichten, die ohnehin kaum interessiert sind, täte die Kirche gut daran, jene aktiv in den Blick zu nehmen, die noch immer oder gerade ganz neu am Denken und Suchen sind. Es sind Millionen und sie sind jung.
Übrigens: Defätismus und Passivität sind auch abseits des Kirchlichen nicht das Gebot der Stunde. Aufbruchstimmung verbreitet dagegen das Eden Fest in Augsburg (7.–9.6.25). Es versammelt die relevanten Stimmen zur Frage nach einer menschlichen Zukunft, feiert innovativste Konzepte und inspiriert durch Kunst und Genuss. Herzlich willkommen!