"Zeig mir deinen Glauben!"Wie junge Christen Kirchenräume zum Sprechen bringen

Wer als Zweifelnder in eine Kirche kommt, verlässt sie manchmal als Glaubender. Die Gemeinschaft "Pietre Vive" gestaltet Kirchenführungen als Glaubensverkündigung.

Theresia Kamp
© Nadine Winter

"Wenn dich jemand fragt: 'Zeig mir deinen Glauben!', dann nimm ihn mit in eine Kirche, zeig ihm ihren Schmuck und erkläre ihm die heiligen Bilder." Diese Aufforderung von Johannes von Damaskus, Mönch und Kirchenlehrer des 8. Jahrhunderts, setzen junge Menschen auf der ganzen Welt um. Sie nennen sich Pietre Vive – italienisch für: "lebendige Steine" – und wollen gemäß ihrem Namen Kirchenräume zum Leben erwecken. Dieser geht zurück auf den Ersten Petrusbrief: "Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen" (1 Petr 2,5). Im Zentrum ihrer besonderen Führungen stehen keine Jahreszahlen oder Schaffensperioden. Stattdessen wird die gemalte oder in Stein gehauene Kunst daraufhin befragt, welches Zeugnis sie vom Evangelium gibt.

Wo trifft man "Fernstehende"? In Kirchen!

Aktuell gibt es zahlreiche Überlegungen dazu, wie man sogenannte "Fernstehende" wieder neu mit der christlichen Botschaft erreichen kann. Die lebendigen Steine gehen von einer überraschenden Beobachtung aus. Wo trifft man heute Menschen, die nicht mehr viel mit dem Glauben anzufangen wissen? In Kirchen! Sie kommen zwar nicht zum Gottesdienst, aber sehr wohl, um deren Architektur und Kunst zu bestaunen. Diese Gelegenheit nutzen die jungen Christen, um – wenn Interesse besteht – die Glaubensaussagen dahinter sichtbar zu machen. Die Städte, in denen sie präsent sind, tragen glanzvolle Namen wie Mailand, Paris oder Budapest. In Deutschland sind sie unter anderem in der prachtvollen Jesuitenkirche St. Michael in München beheimatet. Die regelmäßig angebotenen Führungen sind kostenlos und finden in der Regel ohne Voranmeldung statt. Alle Sprachen sind möglich, die die Mitglieder einer Gruppe beherrschen.

Die lebendigen Steine wissen vorher nicht, wer kommt und sich ansprechen lässt. Sie gestalten die Führung so, wie es zu ihrer Persönlichkeit und Spiritualität passt. Dabei versuchen sie, die Hörer dort abzuholen, wo sie sind. Dafür braucht es manchmal eine ganz einfache Sprache, in einem anderen Fall die Bereitschaft, auf viele Nachfragen einzugehen. Die Begegnung wird spirituell vor- und nachbereitet. Im Gebet wird Gott gefragt: Was soll ich diesen Menschen heute von Dir erzählen? Und danach nehmen sich die jungen Kirchenführer einen Moment Zeit, um zu erspüren, was Gott wiederum ihnen durch die gerade kennengelernten Menschen sagen wollte. Der ignatianische Einfluss wird spürbar: Gott in allen Dingen zu finden.

Kirchlich angebunden ist die internationale Gemeinschaft durch das Jugendapostolat der Jesuiten. Es war auch ein Jesuit, Jean-Paul Hernandez, der einen Impuls zu ihrer Gründung setzte. Während seiner Studienzeit in Frankfurt erkannte er in einer Stadt, in der für alles bezahlt werden muss, wie wertvoll kostenlose und "zwecklose" Kunst ist. In Fußgängerzonen mit Hochglanzboutiquen, schicken Bürogebäuden und teuren Restaurants durchbrechen Kirchen die Konsum- und Wirtschaftslogik. Jede und jeder ist dort willkommen, ohne eine Leistung zu erbringen oder den Druck zu verspüren, etwas zu kaufen.

Die Gruppen vor Ort sind eigenständig. Sie haben jeweils einen Koordinator und einen geistlichen Begleiter. Um ein lebendiger Stein zu bleiben, braucht es Zeiten und Räume für die eigene Gottesbeziehung. Daher treffen sich die Mitglieder neben den Führungen auch zu Gottesdiensten, Austausch und Gebet. "In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst", wird der heilige Augustinus gern zitiert.

Die ehrenamtlich engagierten jungen Menschen setzen einen heilsamen Akzent gegen die zunehmende Musealisierung von Kirchen. Immer öfter muss man selbst dort Eintritt bezahlen, was den Charakter eines Ortes der Gottesbegegnung konterkariert. Diese kann immer nur geschenkt, aber nie erkauft werden.

An manchen Standorten ergeben sich besondere Akzente. In Bologna wird eine Führung für blinde Menschen entwickelt, während in Padua mithilfe einer PowerPoint-Präsentation Menschen im Gefängnis der Kirchenraum erschlossen wird. Darüber hinaus gibt es vielfältige internationale Angebote. Im Sommer konnten interessierte Mitglieder zum Beispiel in den Schweizer Alpen Exerzitien machen oder sich in Griechenland über frühchristliche Gemeinden fortbilden.

Die ehrenamtlich engagierten jungen Menschen setzen einen heilsamen Akzent gegen die zunehmende Musealisierung von Kirchen. Immer öfter muss man selbst dort Eintritt bezahlen, was den Charakter eines Ortes der Gottesbegegnung konterkariert. Diese kann immer nur geschenkt, aber nie erkauft werden. Wer als Zweifelnder in eine Kirche kommt, verlässt sie manchmal als Glaubender. Davon zeugt nicht zuletzt manche Heiligenbiografie. Hürden wie Eintrittsbeschränkungen machen solche Erfahrungen weniger wahrscheinlich. Die Pietre Vive stehen mit ihrer Person dafür, dass die Botschaft, von der die beeindruckenden Kathedralen und Basiliken erzählen, heute genauso lebendig ist wie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung. Und dass diese Botschaft – neben allem schönen und spannenden Kunstwissen – das ist, wovon es die scheinbar toten Steine zu sprechen drängt.

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