Mit 12 oder 13 zeichnete Werner Tübke seine erste Kreuzigung. Sein monumentales Bauernkriegspanorama schildert Geschichte als ein Karussell der Gemeinheit und der Heilsgewissheit, der Aufbrüche ins Grandiose und der Abstürze ins Finstere.

Das Panoramamuseum in Bad Frankenhausen ist die erstaunlichste Hinterlassenschaft der DDR. Nur ein einziges Bild hängt darin. Werner Tübke hat es gemalt. Aber was für eins! 123 Meter lang, 14 Meter hoch spannt es sich zu einer gewaltigen Rotunde, zeigt in leuchtenden Farben eine ganze Welt, eine ganze Epoche, und man selbst sitzt verloren im Dunkeln, sucht Anfang und Ende. Zuerst fällt der Blick auf die gigantische Schlacht, die unter einem Frühlingshimmel tobt. Tausende von Bauern und Bürgern kämpfen gegen das Söldnerheer der Fürsten, ein Regenbogen spannt sich über die thüringischen Hügel, und mittendrin steht Thomas Müntzer. Einsam und verloren wirkt er, die Bundschuhfahne, Panier der Aufständischen, liegt am Boden, und daneben trommelt der Tod zum letzten Geleit.

Stoischer Fatalismus

Das ist der Ausgangspunkt, der Bauernkrieg und seine letzte Schlacht bei Frankenhausen im Mai 1525, als Müntzers Rebellen ihre furchtbarste Niederlage erlitten. Etwa 6000 Menschen wurden damals umgebracht. In der Sprache der DDR handelte es sich um die "frühbürgerliche Revolution in Deutschland", und die DDR, die sich als Vollenderin dieser Revolution betrachtete, beschloss Anfang 1974, am Ort des Geschehens ein Denkmal zu errichten.

Es ist kaum zu glauben, dass dieses mit ideologischem Vorsatz begonnene Projekt unbehindert ans Ziel kam, denn Tübke lieferte nichts von dem, was sich die Auftraggeber vermutlich erhofft hatten, keine irgendwie optimistische Perspektive. 

Werner Tübke, Professor an der Leipziger Hochschule, erhielt den Auftrag und arbeitete fast zwölf Jahre an dem 1722 Quadratmeter großen Bild. Mehrere Assistenten unterstützten ihn dabei. Im September 1989 wurde das Museum eröffnet. Zwei Monate später implodierte die DDR.

Es ist kaum zu glauben, dass dieses mit ideologischem Vorsatz begonnene Projekt unbehindert ans Ziel kam, denn Tübke lieferte nichts von dem, was sich die Auftraggeber vermutlich erhofft hatten, keine irgendwie optimistische Perspektive. Aus dem Panorama spricht ein stoischer Fatalismus. Die Rotunde kennt nicht den Fortschrittspfeil, nur die Wiederkehr des Gleichen. Und die malerische Manier hat weder mit Realismus noch gar mit Naturalismus zu tun. Sie arbeitet mit Rückgriffen auf den Bildervorrat der Zeit, zitiert Bosch, Bruegel oder Cranach, verfremdet und überbietet sie.

Die Vielzahl der Szenen ist verwirrend. Da sieht man im Schnee den Turmbau zu Babel, eine Ruine, in deren Vordergrund sich lasterhaftes Treiben abspielt, angeführt von der Hure Babylon. Rechts wiederum Thomas Müntzer – er predigt einer kleinen Schar der Armseligen. In der Mitte aber schwebt ein großer blauer Fisch, das älteste christliche Symbol. In seinem Bauch sieht man einen Mann, Jonas wohl, und aus diesem Bauch heraus ergießt sich eine neue Sintflut, erfüllt die Prophetie des baldigen Weltuntergangs. Und wendet man den Blick nach links oben, so sieht man gewaltig rotierende Wolkengebilde, Taifune mit bösen Augen: das Ende der Geschichte. Und gleich darunter den Anfang: Adam und Eva beim Sündenfall. 

Der Priester Thomas Müntzer, anfangs ein Weggenosse Luthers, war ein Sozialrevolutionär, der das Reich der Freiheit und Gerechtigkeit hier und jetzt verwirklichen wollte. Er war beeinflusst von der Apokalypse des Johannes und vom Buch Daniel. Er glaubte, das Ende der herrschenden Zeit sei angebrochen, die Wiederkehr des Messias stehe bevor. Er verdammte Rom und den Papst, erblickte in ihnen die Hure Babylon und rief die Gläubigen zum Umsturz auf. Da wollte Luther ihm nicht mehr folgen.

All dies greift Tübke auf. Er vergegenwärtigt die Konvulsionen des Zeitalters. Antike Mythen, biblische Motive und mystische Visionen spielen eine große Rolle. Geschichte ist hier ein Karussell der Gemeinheit und der Heilsgewissheit, der Aufbrüche ins Grandiose und der Abstürze ins Finstere.

Ein ungläubiger Christ?

In einem Gespräch hat Tübke einmal gesagt, schon mit Zwölf oder Dreizehn habe er die erste Kreuzigung gezeichnet. "Da in der Bibel eigentlich alles ist, was es im Leben gibt, waren diese Themen immer sehr naheliegend. Mehr gibt es nicht als das, was in den Testamenten steht." Sind es nur die "Themen", die ihn interessieren? Interessiert ihn auch die Verheißung? Schwer zu sagen. Tübke war kein Theoretiker. Von Geschichtsphilosophie hielt er nichts, an Erlösung glaubte er wohl kaum.

Auffällig immerhin ist die Dominanz der christlichen Bilderwelt. In Köln, im Museum Ludwig, kann man seine "Kreuzabnahme" sehen (entstanden 1983). Auf dem gewaltigen, drei mal vier Meter großen Gemälde heben Renaissance-Gestalten den toten Christus vom Kreuz, während weiter entfernt seltsame Gruppierungen Narrenspiele treiben. Links übt eine wie von Watteau gemalte Figur Tanzschritte, weiter hinten sprengt ein Reiter in Rüstung heran, rechts wird der gefesselte Leib eines Papstes davongetragen. Mehr als fünfzig kreidig bleiche Figuren auf mattgrüner Landschaft bevölkern die gespenstische Szenerie. Vom gewittrigen Himmel schwebt ein Engel herab. Sein roter Schal flattert hinter ihm her. Dieses Rot ist die einzig leuchtende Farbe auf dem graustichigen Bild. Doch die Botschaft des Engels ist vergeblich, keiner schaut hin.

Nein, Tübke war kein christlicher Maler. Vielleicht war ein ungläubiger Christ. Seine Bilder jedenfalls sind voller Zeichen und Wunder. Fest steht, dass er einer der bedeutendsten deutschen Künstler gewesen ist. Er wurde 1929 geboren und starb 2004. Am 30. Juli wäre er 95 Jahre alt geworden.

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