Der Schriftsteller Andreas Maier erzählt in seinem neuen Roman von einer Jugend voll von Schwarz-Weiß-Denken und Alternativenradikalismus.

Der Schriftsteller Andreas Maier, Jahrgang 1967, hat eben den zehnten Band seiner autobiografischen Erkundungen veröffentlicht. Er trägt den Titel "Der Teufel". Ästhetisch gesehen ist der Teufel attraktiv. Kein Kasperletheater kann auf ihn verzichten, und Faust wäre ohne Mephisto eine langweilige Figur. Überhaupt hat das Böse eine seltsame Anziehungskraft, jedenfalls im Kino, auf der Bühne und in der Literatur. Gleich hinter dem strahlenden Helden ist der finstere Schurke die zweitliebste Gestalt. Der gute Mensch hat in einer Spannungsdramaturgie schlechte Chancen.

In Andreas Maiers Roman begegnet der 15-jährige Erzähler dem Teufel, und zwar in der gotischen Stadtkirche von Friedberg. Unzählige Male, sagt er, sei er an dieser Kirche vorbeigekommen, habe sie aber nie besichtigt. Er nämlich war Katholik, die Kirche jedoch protestantisch. Es gehörte zu den ungeschriebenen Gesetzen jener Zeit, dass man das Gotteshaus der quasi gegnerischen Konfession nicht betrat.

Einmal jedoch sah er die Eingangstür offen, ging hinein und wurde von der Küsterin aufgehalten, die ihm sagte, die Kirche sei geschlossen. Ob er protestantisch sei? Der Erzähler lügt und bejaht die Frage. "Das ist gut", sagt die Frau und zeigt ihm die Kirche, darunter eine Bildtafel, wo der Teufel zu sehen sei. "Der Teufel ist immer nackt, flüsterte die Frau, die plötzlich wieder neben mir stand. Ihre Brust wogte jetzt mächtig, als sei sie außer Atem."

Dem jungen Mann gelingt es nicht, den Teufel auf dem etwas ramponierten Gemälde zu erkennen, aber er ahnt, dass es ihn gibt und dass er gerade eben versucherisch in Aktion ist. Die latent peinliche Situation spitzt sich nicht weiter zu. Doch obwohl der Erzähler froh ist, ihr entkommen zu sein, zieht es ihn immer wieder in "die steinerne Landschaft des gotischen Gehäuses. Wenn es zufällig offenstand, ging ich hinein und blieb jedes Mal entrückt bzw. aus der Zeit genommen im Seitenschiff stehen, schaute zur Mittelachse und war völlig verwirrt. In diesem Raum fand eine körperliche Veränderung an einem statt. Man wurde ein anderer. Es war, als ginge die eigene Person verloren, als entschwinde sie, oder besser, als würde sie in eine andere, leichtere Substanz umgewandelt."

Andreas Maier, rasch bekannt geworden durch die ersten Romane "Wäldchestag" (2000) und "Klausen" (2002), schreibt seit 2010 die autobiografische Romanfolge unter dem Obertitel "Ortsumgehung". Sie gleicht einer topografischen Karte, in deren Mittelpunkt die Heimatstadt Friedberg liegt, umgeben von der Wetterau, und weiter südlich Frankfurt am Main. Die Romane schildern die Stationen eines Heranwachsens im bürgerlichen Mittelstand.

Die Aufteilung der Welt in die Guten und die Bösen – so der zentrale Gedanke – ist letztlich Teufelswerk. Es ist scheinbar bequem, erleichtert zunächst die Orientierung, aber es hat verheerende Folgen.

Die Rede vom Teufel in diesem vorletzten Band ist vor allem metaphorisch zu verstehen. Die Aufteilung der Welt in die Guten und die Bösen – so der zentrale Gedanke – ist letztlich Teufelswerk. Es ist scheinbar bequem, erleichtert zunächst die Orientierung, aber es hat verheerende Folgen. Davon erzählt Maier. "Wir wurden in eine Welt des Entweder-Oder geboren." Entweder war man Protestant oder Katholik, entweder links oder rechts, entweder fromm oder gottlos. Dieser Alternativenradikalismus betraf sowohl das private Leben als auch das politische. Die Alterskohorte hörte die Musik von X und Y, kleidete sich so und so, und die gegenteilige schwärmte für andere Bands und für eine andere Mode. Wenn Maier davon erzählt, klingt das zunächst harmlos, auch wenn es zur Folge hatte, dass man nicht mehr miteinander redete.

Doch sobald dieses Entweder-Oder das Politische bestimmt, wird es ernst. Maier illustriert das an den Nachrichten der "Tagesschau" über den Jugoslawienkrieg. In den ersten Konflikten zwischen den Serben und den Kroaten werden diese sachlich und unvoreingenommen dargestellt, jene aber als Aggressoren gezeigt. Maier analysiert die Meldungen Satz für Satz und kommt zu dem Schluss: "Es bleibt, daß der Serbe nach dem Gesetz der Straße handelt und prügelt und zuschlägt, wo auf der anderen Seite nur Polizei und Regierung, als Ordnungshüter und Verfassungskräfte, agieren. Aggressionen und Angriffe gibt es nur von Seiten der Serben, die Wortlaute sind so gewählt, daß von den Kroaten niemals Angriffe oder Aggressionen ausgehen."

Es wird also stillschweigend klargemacht, wer in diesem Krieg die "Guten" und wer die "Bösen" sind. Der Fernsehzuschauer, der das Ganze nur mit Mühe verstehen kann, möchte aber gerne auf der Seite der "Guten" stehen und verhält sich entsprechend. Es hat zur Folge, dass die Freunde und die Verwandten das serbische Restaurant in Friedberg, wo sie einst gerne gespeist haben, nicht mehr besuchen.

In politischer Hinsicht hat der Teufel viele Adressen. Er kann etwa Saddam heißen, den manche damals als neuen Hitler bezeichnet haben. Neuerdings heißt er Putin oder Kim oder Trump oder sonstwie. Der Teufel hat derzeit keinen Grund, sich zu beklagen.

COMMUNIO im Abo

COMMUNIO will die orientierende Kraft des Glaubens aus den Quellen von Schrift und Tradition für die Gegenwart erschließen sowie die Vielfalt, Schönheit und Tiefe christlichen Denkens und Fühlens zum Leuchten bringen.

Zum Kennenlernen: 1 Ausgabe gratis

Jetzt gratis testen