Julien Green – revisitedAuf den literarischen Spuren eines seltsamen Heiligen

Fast 100 Jahre nach der Erstauflage erschien Greens Roman "Treibgut" unlängst in neuer Übersetzung. Anlass genug für unseren Kolumnisten Ulrich Greiner, sich erneut auf das Werk des in Klagenfurt beigesetzten, bekennenden Katholiken einzulassen.

Grab von Julien Green (Taufname Julian) in Klagenfurt-St. Egid
Grab von Julien Green (Taufname Julian) in Klagenfurt-St. Egid© Claus Moser via flickr.com / CC BY-NC-SA 2.0

Auf Julien Green, der ein seltsamer Heiliger war und einer der größten Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts, komme ich immer wieder zurück. Der jüngste Anlass war sein kürzlich im Hanser Verlag von Wolfgang Matz neu übersetzter und kommentierter Roman "Treibgut", zuerst 1932 erschienen.

Wie aus dem Nebel tauchen drei Menschen nacheinander auf, gewinnen allmählich Umriss und werden sichtbar, obgleich nicht völlig begreifbar. Philippe, ein vermögender, noch fast junger Mann, lebt mit seiner Frau und seiner Schwägerin in einem prächtigen Haus unweit der Seine. Auf seinen müßiggängerischen Wanderungen streift er ziellos durch Paris, meist in der Nacht, und wird, wenn er heimkehrt, von der Schwägerin umsorgt. Sie liebt ihn, was er offenbar nicht bemerkt. Dass seine meist abwesende Frau ihn verachtet und sich einen Liebhaber hält, bemerkt er durchaus, doch scheint es ihm gleichgültig. Die einzige Person, zu der er eine stete Zuneigung pflegt, ist er selbst.

Katastrophe in Permanenz

Als wäre man im Theater, wo das Licht langsam heller wird und die Szenerie kenntlich macht, wird die Konstellation immer klarer. Sie scheint auf eine Katastrophe zuzusteuern, und daraus entsteht die ins Unheimliche driftende Spannung. Dass die Katastrophe ausbleibt, ist insofern logisch, als sie im Grunde längst stattgefunden hat. Die Bilder des Romans gleichen alten Schwarz-Weiß-Fotos, aufgenommen von einem scheinbar unbeteiligten und erbarmungslosen Beobachter.

Das Buch faszinierte mich so, dass ich beschloss, abermals Julien Green zu lesen. Die ersten Romane, mit denen er berühmt geworden war, kannte ich schon: "Mont-Cinère" (1926), "Adrienne Mesurat" (1927) und "Leviathan" (1929).

Also las ich "Moira", erschienen 1950. Die Geschichte handelt von dem Studenten Joseph, der in einem ungenannten College der USA sein Studium beginnt. Man schreibt das Jahr 1920. Er studiert Griechisch, weil er die Bibel im Original lesen will. Streng religiös erzogen, nimmt er die Forderungen Jesu überaus ernst. Er befreundet sich mit dem Theologiestudenten David. Sie sprechen und beten miteinander, und Joseph sagt: "Ich wäre gern ein Heiliger, wie die Heiligen in den alten Zeiten. Seit meiner Kindheit war mir der Gedanke vertraut, daß ich eines Tages der Freund Gottes sein würde. Ich liebte Gott."

"Ich bin verloren, David"

Zentral für das gottesfürchtige Leben, das er führen will, ist der Gedanke der Reinheit. Alles, was man heute Sexualität nennt und was damals nur in Umschreibungen angedeutet wurde, alles bloß Körperliche oder gar Animalische erscheint ihm als Ausfluss des Bösen. Als er merkt, dass es ihm nicht gelingt, diese Seite seines Ichs zu überwinden, sucht er eines Nachts verzweifelt David auf, weckt ihn und bittet ihn, kein Licht anzumachen.

"Er schwang sich auf die Fensterbank und von dort ins Zimmer. 'Setze dich', sagte David. Er faßte ihn bei der Hand und führte ihn nach einem Stuhl. Aber Joseph machte sich frei. 'Nein. Ich will lieber stehen. Höre zu.' Er ließ einen Augenblick vergehen. Dann flüsterte er: 'Ich bin verloren, David.' Diese Worte fielen in tiefe Stille. 'Hast du gehört, was ich gesagt habe?' fragte Joseph. 'Ja', erwiderte Davids Stimme in die Dunkelheit hinein. 'Ich vermute, daß du dein Seelenheil meinst.' – 'Natürlich.' – 'Nur Gott weiß, ob du verloren bist.' – 'Ich weiß, was ich sage. Ich bin verloren. Diese Nacht, vorhin ist es mir zur Gewißheit geworden. Du ahnst nicht, wie viel Böses und Unreines in mir lebendig ist. Ich wußte es selbst nicht.'"

Das Auffällige an Joseph ist einerseits seine Schönheit, andererseits seine Schüchternheit. Zudem hat er einen feuerroten Haarschopf. So wird er von den Frauen begierig wahrgenommen, von Kommilitonen aber verspottet. Er hält sich fern von ihnen, er raucht und trinkt nicht. Einmal, in einer Vorlesung, fragt er seinen Nachbarn, der ihm sympathisch scheint, nach seiner Religion. Er sei katholisch, lautet die Antwort. Joseph ist entsetzt und nimmt sich vor, ihn zu bekehren. Der pragmatische David weist ihn jedoch darauf hin, dass auch Katholiken getauft und deshalb nicht per se Kandidaten der Hölle sind.

Lebenspraxis und Gebote im Konflikt

Die Geschichte handelt von der Unmöglichkeit, sich durch einen puren Willensakt in die Nachfolge Jesu zu begeben. Der Konflikt zwischen der Lebenspraxis und dem Gebot des Glaubens ist fundamental. Er geht nicht gut aus. Die Kommilitonen stellen dem befremdlichen Einzelgänger eine Falle. Eigentlich ist nur ein Pennälerstreich, doch endet er katastrophal.

Julien Green, als Kind amerikanischer Bürger 1900 in Paris geboren, wurde protestantisch erzogen. Er konvertierte 1916 zum Katholizismus, erlitt aber immer wieder Rückschläge, bis er sich endgültig dazu bekannte. Er war homosexuell und adoptierte seinen Freund, den Schriftsteller Éric Jourdan, an Sohnes statt. 1971 wird er als erster Ausländer in die Académie française gewählt. Als sein Theaterstück "Der Automat" 1990 am Stadttheater Klagenfurt uraufgeführt wird, reist er dorthin und befreundet sich mit dem Stadtpfarrer.

1998 stirbt er in Paris und wird in der Stadtpfarrkirche St. Egid in Klagenfurt beigesetzt.

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