Das Mikrofon macht es Sprechern leicht – zu leicht: Unter katholischen Predigern hat sich ein Plauderton breitgemacht, der niemanden in den Bann zu ziehen vermag. Noch schlimmer ist das andächtige Gemurmel vieler Lektoren. Es braucht eine Rückbesinnung auf die Vortragskunst.

Die Erfahrung, dass hinter jedem Fortschritt ein Rückschritt lauert, lässt sich auch an der Erfindung des Mikrofons illustrieren. Es hat die Kunst der öffentlichen Rede in Mitleidenschaft gezogen. Seitdem ausgefuchste Verstärker die menschliche Stimme derart aufblasen können, dass jedes Flüstern einem Donnerhall gleicht, scheint es nicht mehr auf die Stimmkraft des Redners anzukommen, sondern auf die Potenz der technischen Anlage.

Von dem griechischen Staatsmann Demosthenes wird berichtet, er habe seine schwache Stimme dadurch trainiert, dass er Unterricht bei einem berühmten Schauspieler genommen und Reden gegen die Meeresbrandung gehalten habe. Der Franziskaner Berthold von Regensburg (1210 bis 1272) soll vor sechzigtausend Menschen gepredigt haben. Auch wenn das nicht sehr glaubhaft scheint: Prediger von Abraham a Santa Clara bis hin zu Pater Leppich beherrschten die Kunst, auch ohne Mikrofon die Massen in ihren Bann zu ziehen. Auch in den Kathedralen, die zuweilen einige tausend Menschen fassten, muss es stimmgewaltige Mönche oder Priester gegeben haben, die auch den letzten Zuhörer erreichen konnten.

Auf einem anderen Blatt steht die Tatsache, dass die modernen elektroakustischen Anlagen es den Gewaltherrschern, von Hitler und Stalin bis hin zu ihren gegenwärtigen Nachfolgern, überhaupt erst ermöglicht haben, ihre ruchlose Botschaft in die Köpfe zu hämmern. Ein Diktator ohne Mikrofon ist schlechter dran als einer ohne Truppen.

Doch davon abgesehen: Die Wirkung öffentlicher Rede hängt nicht allein von der akustischen Durchdringung ab, sondern auch von der Inbrunst der Stimme, von der Klarheit der Gedanken, von der Überzeugungskraft des Redners. Und überzeugen kann er nur, wenn er Modulation und Intonation beherrscht, kurz: wenn er die Techniken der Vortragskunst kennt.

Diese Kunst, so mein Eindruck, wird eher von protestantischen Pastoren beherrscht als von katholischen Priestern. Es mag an der Ausbildung liegen, vor allem aber wohl daran, dass die Predigt in evangelischen Gottesdiensten eine zentrale Rolle spielt. In katholischen ist sie eine erwünschte Zutat, jedoch nicht Kern der Liturgie. Einmal war ich in einer protestantischen Dorfkirche bei einer Trauerfeier zugegen, wo des verstorbenen Vaters eines Freundes gedacht wurde. Zu meiner Überraschung verschwand der Pastor hinter der Altarwand, wo er offenbar eine verborgene Treppe emporstieg, denn kurz darauf erschien er auf der Kanzel, die sich hoch über dem Altar und exakt in der Mitte befand. Von dort sagte er eindringlich und vernehmlich, was zum Tod in christlicher Hinsicht zu sagen war.

Ich bin froh darüber, nicht das Opfer donnernder Strafpredigten zu werden. Ich fürchte, die Auftritte des legendären Abraham a Santa Clara würden mir missfallen. Und doch scheint mir, dass sich die heutigen Prediger allzu sehr auf das Mikrofon und die Lautsprecher verlassen und eher plaudern, anstatt zu predigen.

In katholischen Kirchen wird die Kanzel, sofern es eine gibt, nach meiner Erfahrung selten benutzt. Meistens spricht der Priester vom Ambo aus, und er befleißigt sich einer kolloquialen, eher beiläufigen Sprache, die nicht mit rhetorischen Effekten arbeitet, sondern die Gläubigen in einem vertraulichen, kameradschaftlichen Ton anspricht – fast so, als säße man bei einer Tasse Tee beisammen.

Nun leide auch ich, wie vermutlich nicht wenige Kirchgänger, an einer Pathosallergie, und ich bin froh darüber, nicht das Opfer donnernder Strafpredigten zu werden. Ich fürchte, die Auftritte des legendären Abraham a Santa Clara würden mir missfallen. Und doch scheint mir, dass sich die heutigen Prediger allzu sehr auf das Mikrofon und die Lautsprecher verlassen und eher plaudern, anstatt zu predigen. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten Kirchen einer akustischen Wüste gleichen, wo das Wort Gottes zum Tropfen auf dem heißen Stein wird.

Unfreiwillige Komik

Unter solchen Umständen bekommt die Formel „Wort des lebendigen Gottes“, mit der die Lesungen abgeschlossen werden, nicht selten den Charakter unfreiwilliger Komik. Könnte Gott, so frage ich mich manchmal, nicht eine Spur vernehmlicher sprechen? Denn die Lektoren, freundliche Helfer, sind in der Regel bar jeder rhetorischen Ambition oder gar Fähigkeit. Dass sie oftmals ins Mikrofon flüstern, wäre eine freundliche Umschreibung. Ihr Respekt vor dem biblischen Text verleitet sie zu einer andächtigen Intonation mit gedämpfter Emphase, und der Kirchgänger freut sich, wenn er unhörbare Passagen aus dem Gedächtnis rekonstruieren kann.

Was öffentliche Rede bedeutet, ist nicht allein in den Kirchen ein verlorenes Wissen. Auch in Universitäten, Akademien und auf Tagungen jeglicher Provenienz verlassen sich die meisten Diskutanten nicht auf die Kraft ihrer Stimme, sondern auf die Stärke des Mikrofons. Doch keine noch so tüchtige Verstärkeranlage wäre imstande, einem beiseite gemurmelten Argument Gehör zu verschaffen, schon gar nicht, wenn es weitgehend gedankenfrei ist.

Das ist meistens kein Unglück. Die Predigt und die Lesungen jedoch sollten so vorgetragen werden, dass man die Autorität dessen, der da spricht, und die Autorität dessen, was da gesagt wird, deutlicher spürt.

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