Orgeln sind Überwältigungsmaschinen. Ich würde es begrüßen, wenn sie in der Liturgie zurückhaltender eingesetzt würden.

Es ist eine halbe Ewigkeit her, ich war noch Student, als ich zum ersten Mal in Passau war, den Dom besuchte und zufällig einem Orgelkonzert beiwohnte. Der Organist spielte die berühmte Toccata und Fuge in d-moll von Bach, die mir bis dato unbekannt waren, und es war mir, als würde ich von der Bank gerissen, als flöge ich hinauf zu den himmlischen Kuppeln der Barock-Kirche. Es war ein Gefühl, das gleichermaßen aus Freude und aus Schrecken gemischt war.

Seitdem bewundere ich die großen Orgeln – und kann mich dennoch eines gewissen Unbehagens nicht erwehren. Zuweilen kommen sie mir wie gewaltige Maschinen vor, Musikmaschinen, Überwältigungsmaschinen, deren Ziel die Imitation aller möglichen Instrumente zu sein scheint, von der Piccoloflöte bis zur Tuba. Selbst Vogelstimmen werden hörbar, und manche Töne wirken, als hätte sie E. T. A. Hoffmanns Kapellmeister Kreisler ersonnen.

Nun gibt es Orgeln auch in Konzertsälen, in Schulen, in Privathäusern, und ehemals, in den Zeiten des Stummfilms, hatten große Lichtspielhäuser spezielle Kinoorgeln. Trotzdem stehen die meisten Orgeln in Kirchen, und fast hat es den Anschein, als wäre eine Kirche ohne Orgel keine richtige Kirche. Ist das ein deutsches Phänomen? In anderen Weltgegenden singt man die Lieder ohne Orgelbegleitung, vielleicht mithilfe eines Vorsängers oder eines Pianisten. In der englischen Messe unserer Gemeinde stimmt ein gemischter Chor die Lieder an, begleitet von einer Gitarre, während die Orgel schweigt. Die frühen Kathedralen hatten ohnehin noch keine Orgeln.

Wann und warum wurden sie üblich? In der Renaissance beginnt man, zusammenhängende Messe zu komponieren. Die Polyphonie wirkt so verführerisch, dass das Konzil von Trient ab 1545 die Rückkehr zu den einfachen Formen verlangt, wie sie im gregorianischen Choral geordnet waren. Etwa zu dieser Zeit entstanden die ersten großen Kirchenorgeln,

Wenn sich die liturgische Gestalt in musikalischer Opulenz auflöst

Vor einiger Zeit besuchte ich eine weihnachtliche Andacht in einer der großen protestantischen Kirchen Hamburgs. Es wurden Bach-Kantaten aufgeführt. In seiner Ansprache verwendete der Pastor die ironische Wendung " …wir Bach-Christen". Er meinte damit, dass bei manchen evangelischen Gläubigen das musikalische Erlebnis die Religion zuweilen ersetzt, und wollte darauf hinweisen, dass die christliche Botschaft größer ist als der Kunstgenuss.

Natürlich kann eins das andere auf schöne Weise befördern. Allerdings besteht in der Heiligen Messe die Gefahr, dass sich die liturgische Gestalt in der musikalischen Opulenz auflöst. Der Wortlaut der Gebete, auf den es ja ankommt, tritt zurück, ähnlich wie in der Oper, wo die Texte des Librettos nicht immer zu verstehen sind. Eben das ist die Leistung der Gregorianik. Sie erlaubt es, die in Prosa abgefassten Gebete so zu singen, als wären sie poetisch, und macht sie dennoch verständlich und hörbar.

Ich gebe zu, dass mich das Gepfeife und Getute der Orgeln oft stört.

Die Passauer Dom-Orgel ist wegen ihres Klanges und ihrer Größe berühmt. Die meisten Orgeln in den meisten Kirchen sind wesentlich kleiner, und ihre Organisten sind selten solche Virtuosen wie jener, der damals Bach spielte. Ihre Aufgabe besteht vor allem darin, die Gemeinde beim Singen der Lieder zu unterstützen. Dieser Begleitfunktion allerdings werden die wenigsten Organisten gerecht. Die Könner unter ihnen neigen dazu, ihre Kunst auf Kosten des Gesangs vorzuführen. Sie wollen zeigen, was alles in ihrem Instrument drinsteckt, und ziehen die Register, bis die oftmals zaghaften Bemühungen der Gläubigen im Getöse der Pfeifen ersticken. Die Nichtskönner hingegen sind stolz auf ihre Taktfestigkeit und neigen dazu, die natürliche Atempause, die man für die nächste Liedzeile benötigt, mitleidlos zu überspielen und dem Gesang vorauszueilen. Bei dieser Verfolgungsjagd siegt meistens der Organist.

Ich gebe zu, dass mich das Gepfeife und Getute der Orgeln oft stört. Bin ich ein Purist? Gut möglich. Ich bin auch kein Freund der symphonischen Messkompositionen solcher Größen wie Bruckner oder Beethoven. Den Beitrag von Michael Gassmann im jüngsten COMMUNIO-Heft, wo er Mozarts c-moll-Messe feiert und seine Missa brevis F-Dur als "lustlose Auftragserledigung" kritisiert, habe ich mit Interesse gelesen und kann mich mangels Kompetenz nur verneigen. Für meinen Teil jedoch möchte ich sagen, dass ich zwischen einem Konzertbesuch und der Teilnahme an einem Gottesdienst unterscheide. Man sollte beides nicht miteinander vermischen. Dass auch in Kirchen Konzerte stattfinden, ist ein Brauch, den ich begrüße. Aber die Feier der Liturgie sollte sich auf das Wesentliche beschränken.

Ich bin kein Orgelfeind und finde es erhebend, wenn sie zu Beginn mit einer Ouvertüre auf die Messfeier einstimmt und am Ende die Versammelten prächtig entlässt. Dazwischen wäre ein bisschen Ruhe ganz schön.

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