Verkörperung des GöttlichenGotische Kathedralen sind Monumente des christlichen Abendlandes

Die Terroristen, die den Kölner Dom attackieren wollten, haben von seiner Bedeutung mehr verstanden als die Verächter alles Religiösen.

Kölner Dom
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Zum vergangenen Jahreswechsel haben Islamisten einen Anschlag auf den Kölner Dom geplant, der offenbar vereitelt werden konnte. Das verlautete aus den Sicherheitsbehörden. Terroristen lieben bekanntlich symbolisch bedeutende Ziele, und die Kathedrale in Köln ist nicht allein eine der größten überhaupt, sondern auch ein Monument des christlichen Abendlandes. In terroristischer Perspektive wäre sie ein Angriffsobjekt erster Güte.

Als der Dom 1880 endlich vollendet wurde – nachdem die Bauarbeiten fast 300 Jahre geruht hatten –, geriet die Einweihung unter Anwesenheit von Kaiser Wilhelm I. zu einem Akt der Selbstvergewisserung. Das Deutsche Reich, eben erst entstanden, feierte sich selbst, und der Dom wurde zu einem Symbol nationaler Größe und Überlegenheit. Die Gotik, so verstand man es damals, war der Inbegriff deutscher Baukunst. Die zahlreichen neugotischen Kirchen jener Zeit, darunter auch eindrucksvolle, geben Zeugnis von diesem Missverständnis. Denn die Gotik ist keineswegs eine deutsche Domäne. Die schönsten gotischen Kathedralen stehen in England und in Frankreich. Nicht zufällig erregte der Brand, der Notre Dame in Paris am 19. April 2019 fast zerstört hätte, allgemeines Entsetzen. Mittlerweile ist die Kirche – auch sie ein nationales Symbol – so gut wie saniert und soll Ende des Jahres wieder eröffnet werden.

Gott ist Licht

Wenn jemand die Gotik erfunden hat, dann war es der Abt Suger (man spricht ihn ähnlich wie „Sujet“). Dieser erstaunliche Mann lebte von 1081 bis 1151 und spielte als Stellvertreter des französischen Königs Ludwig VII. eine wichtige politische Rolle. Der Abt von Saint-Denis trieb den Bau der Klosterkirche voran. Er ließ sich dabei von ihrem Schutzheiligen Dionysius, den man mit Dionysius Areopagita identifzierte, inspirieren. So schildert es der französische Historiker Georges Duby in seinem bahnbrechenden Werk „Die Zeit der Kathedralen“ (Frankfurt 1980). Im Mittelpunkt des Traktats „Theologica mystica“ von Dionysius, sagt Duby, stehe die Idee: Gott ist Licht: „An diesem ursprünglichen, diesem unerschaffenen und schöpferischen Licht hat jede Kreatur teil.“ Je nach seinen Fähigkeiten empfange der Mensch die göttliche Erleuchtung, um sie selber wieder auszustrahlen.

Diese Konzeption, so lautet Dubys Fazit, enthält den Schlüssel der neuen Kunst, der Kunst von Frankreich, für die Sugers Abteikirche das Modell bilden sollte (174-175). „Durch eine strukturelle Umwandlung der Gewölbe konnte er Öffnungen schaffen, Scheidewände durch Säulen ersetzen und auf diese Weise seinem Traum Gestalt verleihen: (…) dass sich die leuchtenden Strahlen vom Chor bis zur Pforte ohne Hindernis im gesamten Innenraum der Kirche ausbreiten konnten und auf diese Weise das ganze Gebäude zum Symbol der mystischen Schöpfung machten“ (176-177).

Als ich die Kirche betrat, erfasste mich ein Schauder, und ich dachte: Wenn es im Paradies einen Wald gibt, dann wird er so aussehen.

Diese Erfahrung erlebte ich, als ich einmal die Kathedrale von Bourges besuchte. Sie zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie kein Querschiff besitzt. Die fünf 118 Meter langen und bis zu 38 Meter hohen Längsschiffe laufen ohne Unterbrechung vom Eingang bis zum Chor. Als ich die Kirche betrat, erfasste mich ein Schauder, und ich dachte: Wenn es im Paradies einen Wald gibt, dann wird er so aussehen. Ich sah keine Wände mehr, nur Fenster, nur Säulen, die wie riesige Bäume dem lichten Himmel der Gewölbe entgegenwuchsen.

Transzendentales Streben

Dubys theologische Deutung der Gotik ist nicht unumstritten. Er verschweigt jedoch nicht, dass zum Bau der Kathedralen noch andere Gründe als nur fromme notwendig waren: machtpolitische, die der Legitimierung von Herrschaft dienten, von Eitelkeit getriebene, die in einem Überbietungswettbewerb gipfelten. Das aber lässt sich über viele feudale Schlösser und Prunkbauten sagen. Die gotischen Kathedralen behaupten darüber hinaus ein transzendentales Streben. In ihnen verkörpert sich das Göttliche, soweit es uns Menschen zugänglich ist.

Als ich vor vielen Jahren zufällig mittags zu Notre-Dame in Paris kam und sah, dass gleich eine Messe zelebriert würde, beschloss ich, daran teilzunehmen. Vor dem Altar war ein Block von einigen Bänken für die Gläubigen abgesperrt. Es mögen drei oder vier Dutzend gewesen sein. Während wir den Gottesdienst feierten, strömten Hundertschaften von Touristen aus der ganzen Welt an uns vorbei, darunter nicht wenige, vor allem japanische, die das kuriose Gebaren der Gläubigen abfilmten. Ich ärgerte mich darüber und dachte, dass sich Eingeborene, die von europäischen Ethnologen bei ihren Riten abgelichtet wurden, so ähnlich gefühlt haben mochten.

Später tröstete mich der Gedanke, dass vielleicht doch manche Besucher von der heiligem Handlung in diesem überirdisch schönen Raum auf irgendeine Weise berührt wurden. Die Terroristen jedenfalls, die den Kölner Dom attackieren wollten, haben von seiner Bedeutung mehr verstanden als die Verächter alles Religiösen.

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