Wie in einem SpiegelIngmar Bergman und die Frage nach Gott

Ingmar Bergman, einer der bedeutendsten Filmregisseure des 20. Jahrhunderts, suchte in seinem Werk nach Sinn und Erlösung.

Ingmar Bergman 157 bei der Produktion von
Ingmar Bergman 1957 bei der Produktion von "Wilde Erdbeeren". Pressefoto von Svensk Filmindustri (SF), Svenska filministitutet.© Louis Huch (1896–1961), at SF 1930–60/Wikimedia Commons, gemeinfrei

In seiner Autobiografie "Mein Leben" (1987) erzählt Ingmar Bergman, wie er für den Film "Licht im Winter" eine geeignete Dorfkirche suchte. Um seinem alten und etwas hinfälligen Vater eine Abwechslung zu bieten, fragt er ihn, ob er mitkommen wolle. An einem winterlichen Sonntag gelangen sie in eine Kirche irgendwo nördlich von Uppsala. Der Pfarrer verspätet sich, tritt vor die Gläubigen – gerade mal ein halbes Dutzend – und erklärt, er habe Fieber und könne den Gottesdienst nur in einer Kurzform abhalten, ohne Abendmahl. Bergmans Vater, ehemaliger Pastor, ist empört, humpelt nach vorne, legt die Gewänder an und feiert den Gottesdienst in voller Länge. Bergman schreibt, er habe dies als Bestätigung einer Regel empfunden, "die ich immer befolgt habe: Was auch geschieht, du musst deinen Gottesdienst halten. Das ist wichtig für die Besucher, für dich aber noch wichtiger. Ob es auch für Gott wichtig ist, muss sich zeigen. Wenn es keinen anderen Gott gibt als deine Hoffnung, ist es auch für den Gott wichtig."

Irgendwie fiel mir in diesen Tagen mein Religionslehrer ein. Er war Priester, groß und schlank, und er beherrschte nicht allein die Kunst des Skilaufens (bei ihm habe ich es gelernt), sondern auch die Kunst, uns Oberprimaner in aufregende Debatten zu verstricken. Damals, 1963, war gerade Ingmar Bergmans Film "Das Schweigen" angelaufen. Wir sollten uns den Film ansehen, empfahl der Lehrer, er handele von Gott, genauer: von der Suche nach ihm.

Wir suchten weniger nach Gott als nach jenen ungeheuerlichen Szenen, die wir weder im Kino noch im Leben je gesehen hatten. Zwei Schwestern, die ältere sterbenskranke Ester (Ingrid Thulin) und die jüngere Anna (Gunnel Lindblom) mit ihrem kleinen Sohn, befinden sich auf der Heimkehr von einer Reise und machen Halt im Grandhotel einer namenlosen Stadt, die irgendwo im Balkan zu liegen scheint. Ester wirbt vergeblich um die Zuneigung Annas, die von sexueller Begierde gepackt durch die Straßen streift, einen Mann aufliest und rüde mit ihm kopuliert, während Ester, geschüttelt von Hustenanfällen, auf dem Hotelbett sich selbst zu befriedigen sucht.

Kälte und Erlösung

Diese Bilder verstörten und empörten die Öffentlichkeit in einem unvorstellbaren Ausmaß. Das hatte seinen Grund weniger in den von heute aus gesehen harmlosen sexuellen Szenen als in der durch keine Musik oder Dialoge gemilderten Kälte der Begegnungen, eine Kälte, die von der fühlbar auf den Straßen lastenden Hitze noch verstärkt wird. Als der Zug der Reisenden in die Stadt rollt, sieht man auf dem Gegengleis Güterzüge, die Kriegsgerät transportieren, und einmal, als Anna, schlaflos vor Hitze und unerfülltem Verlangen, aus dem Hotelfenster blickt, schiebt sich ein Panzer durch die nächtliche Straße, und das dröhnende Scheppern der Ketten erfüllt den sonst fast tonlosen Film wie das Fanal der Hölle.

Dagegen setzt Bergmann Signale der Hoffnung. Caritas spricht aus der rührenden Hilfsbereitschaft des alten Zimmerkellners, der die kranke Ester versorgt. Sie verständigen sich mit Handzeichen, da ihnen die Sprache des anderen fremd ist. Die Liebe, so erfahren wir, ist nicht im Eros, nicht in den Worten, sondern in der grundlosen, selbstlosen Zuwendung. Es ist das Hohelied der Liebe aus dem Ersten Korintherbrief, das Bergman hier im Sinn hat. Dort steht auch der Satz "Wir sehen jetzt wie in einem Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht", der einem der radikalsten Filme Bergmans den Titel gibt.

"Wie in einem Spiegel" (1961) spielt auf einer Insel, wo vier Menschen Ferien machen, ein älterer Schriftsteller, sein halbwüchsiger Sohn, seine Tochter und deren Ehemann. Die junge Frau (Harriet Andersson) leidet unter Schizophrenie, aber sie ist die Einzige, die der Sprachlosigkeit der anderen entkommt. In einem leeren Zimmer kommuniziert sie mit dem Jenseits und hört Stimmen. Ihr Mann (Max von Sydow), der Arzt ist, ruft den Notdienst, und man sieht hinter dem verklärten Gesicht der jungen Frau, die mit Gott spricht, durch das Fenster den landenden Hubschrauber, dessen Rotoren die Stille zerreißen. Da bricht sie zusammen. Gott sei ihr erschienen, stammelt sie, aber dann sei es nur eine schreckliche Spinne gewesen.

Der einzige Weg ist die Liebe

Als man sie abtransportiert, stehen Vater und Sohn am Fenster und blicken auf ein Meer, dessen Grau mit dem des Himmels verschmilzt. Der Sohn (Lars Passgard), noch wie zertrümmert von dem Inzest, zu dem die Schwester ihn kurz zuvor verführt hat, fragt den Vater nach einem Weg aus der Sinnlosigkeit, und der Vater (Gunnar Björnstrand) spricht zum ersten Mal wirklich mit ihm. Er übersetzt den Korintherbrief in die Gegenwart und sagt: Der einzige Weg ist die Liebe.

Bergman, geboren 1918 in Uppsala, gestorben 2007 auf der Ostseeeinsel Fårö, war einer der bedeutendsten Filmregisseure des 20. Jahrhunderts. Mit größten Zweifeln und mit größter Intensität hat er in seinem Werk nach der Liebe gesucht – und nach Gott.

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