Möchte man in einem kreisrunden Raum die Heilige Messe feiern? Die Frage kam mir in den Sinn, als ich Benjamin Levens Kommentar über die frisch renovierte Hedwigskathedrale in Berlin las. Eindrucksvoll schildert er das Problem, eine Liturgie, die doppelt linear angelegt ist, ins Zirkuläre einzufügen. Denn einerseits gibt es die horizontale Bewegung, die zum Altar und zum Allerheiligsten führt, andererseits die vertikale, die sich bei der Wandlung ereignet. Die beiden Blick- und Denkrichtungen aber sind in einem kugelförmigen Raum nur dann zu realisieren, wenn man seiner Logik Widerstand leistet.
Als ich darüber nachdachte und als ich die Kirchenräume, die ich im Lauf meines Lebens besucht habe, Revue passieren ließ, fiel mir auf, dass die Blickachsen fast immer horizontal ausgerichtet waren. Das galt auch für die Abteikirche in Neresheim, den letzten Bau des großartigen Balthasar Neumann. Er wurde 1777 eingeweiht.
Das Kreisförmige und Elliptische beherrscht den gewaltigen Raum. Nicht weniger als sieben Kuppeln, ausgemalt von Martin Knoller, überspannen das lichtdurchflutete Innere. Genau in der Mitte liegt die zentrale Kuppel, ein Ellipsoid, das von der Anbetung der Dreifaltigkeit erzählt, und darunter ein großer leerer Platz, von dem aus sich westlich der Flügel für die Kirchenbänke erstreckt, und gegenüber der östliche, wo sich das Chorgestühl für die Benediktiner befindet, und dahinter, ganz am Ende, der Hochaltar.
Ich war häufiger dort, eine kurze Zeit auch als Ministrant in den Frühmessen. Das ist mehr als 60 Jahre her, und ich weiß nicht, von welcher Stelle aus heute, nach der Liturgiereform, die Messe zelebriert wird. Damals jedenfalls war das, was am Hochaltar geschah, nur zu erahnen, und so richtete sich der Blick oft nach oben, wo das Leben Jesu in all seinen Stationen wunderbar vergegenwärtigt wurde. Obwohl sich alles in diesem Raum auf das schwungvoll Gewölbte, das kreisförmig Verweilende zu konzentrieren schien, richtete sich doch die zentrale Achse auf den fernen Altar.
In der Leipziger Propsteikirche St. Trinitatis erlebte ich gewissermaßen das Gegenteil. Alles in diesem eindrucksvollen Gebäudekomplex ist irgendwie winklig: stumpf-, spitz- oder rechtwinklig. Die Kirche selbst (eingeweiht 2015) besteht aus einem fenster- und bilderlosen Kubus, und die Bänke sind um den Altar herum so angeordnet, dass sie eine Art Halbrund bilden, das aber eben nicht rund ist, sondern sich aus keilförmigen Parzellen zusammenfügt, die jeweils um 45 Grad versetzt sind. Das führt dazu, dass sich der Blick des Besuchers nicht allein auf den Altar und den zelebrierenden Priester richtet, sondern auch auf die übrigen Gläubigen.
Die Idee der Anordnung in St. Trinitatis ist klar und sie gleicht jener in der Berliner Kathedrale: Die Gemeinde ist das eigentliche Subjekt der heiligen Handlung, sie ist es, die das eucharistische Mahl unter Anleitung des Priesters feiert.
Ansonsten ist nichts zu sehen. Der suchende Blick prallt auf die blendend weiße Wand, die sich unmittelbar hinter dem Altartisch erhebt. Sie erhält ihr Licht von unsichtbaren seitlichen und oberen Öffnungen. Einzige optische Ablenkung ist ein großes gleichschenkliges Kreuz, das eher an eine Zeichnung aus dem Geometriebuch erinnert als an ein Instrument zur Vollstreckung der Todesstrafe.
Die Idee der Anordnung in St. Trinitatis ist klar und sie gleicht jener in der Berliner Kathedrale: Die Gemeinde ist das eigentliche Subjekt der heiligen Handlung, sie ist es, die das eucharistische Mahl unter Anleitung des Priesters feiert.
Joseph Kardinal Ratzinger hat von dieser Veränderung nicht viel gehalten. In seinem Buch "Der Geist der Liturgie" (2000) schreibt er: "Die Wendung des Priesters zum Volk formt nun die Gemeinde zu einem in sich geschlossenen Kreis. Sie ist – von der Gestalt her – nicht mehr nach vorne und oben aufgebrochen, sondern schließt sich in sich selber." Er verdeutlicht seine Kritik, indem er sagt: Mit dieser Reform sei eine Klerikalisierung eingetreten, wie sie vorher nie existiert habe. "Nun wird der Priester zum eigentlichen Bezugspunkt des Ganzen. Ihn muss man sehen, an seiner Aktion teilnehmen, ihn antworten; seine Kreativität trägt das Ganze."
Liturgie im Schiff und in der Jurte
Hier kommen die zahlreichen Hilfsdienste ins Spiel, ohne die der Zelebrant kaum noch auskäme. Die Gemeinde wird Mitakteur. Was aber heißt Gemeinde? Sind es die Mitglieder des lokalen Sprengels? Sind es nur die Gottesdienstbesucher unter ihnen? Oder sind damit die jeweils Anwesenden gemeint? In Leipzig jedenfalls war ich ein zufälliger Gast. Ich kannte dort niemanden, und das Gemeinschaftsgefühl, von dem die neue Liturgie beseelt ist, wollte sich bei mir nicht einstellen.
Nun muss ich zugeben, dass ich ein einzelgängerischer Messbesucher bin, der gerne seinen Gedanken nachhängt und sich ungern dazu veranlasst sieht, mit seinen ihm zumeist fremden Nachbarn in näheren Kontakt zu treten. Meine Scheu ist natürlich die Folge einer noch in der alten Liturgie entstandenen Gewohnheit.
Ich neige zu der Ansicht, dass man die Liturgie überhaupt nicht ändern sollte. Andererseits weiß ich, dass man die Heilige Messe überall feiern kann. Einmal erlebte ich sie im Bauch eines Schiffes, das den Atlantik überquerte, ein andermal in einem Zeltlager in den Vogesen. Dort hatten wir eine große Jurte. Sie war rund.