Das Bild von César Franck als idealem Kirchenmusiker geht wesentlich auf seinen Schülerkreis, die Bande à Franck, insbesondere auf den Komponisten Vincent d’Indy, zurück. D’Indy meinte, Franck sei im Gegensatz zu Richard Wagner, Franz Liszt und anderen Musikern, die sich schriftlich betätigten, kein homme de lettres gewesen. Er zeichnete das Bild eines frommen, mystischen Musikers und Organisten, der kein Interesse an den weltlichen Dingen seiner Zeit hatte. An der Orgel von Cavaillé-Coll wirkte Franck, so seine Schüler, fern aller künstlerischen Moden und ästhetischen Diskussionen, einzig dem Herrgott gefällig. Die Schüler erklärten den Sinfoniker und Kirchenmusiker zum Pater seraphicus. Doch schon Georges Franck, der Sohn des Künstlers, widersprach dem Narrativ des frommen, einfältigen Künstlers.
Ist seine Musik "langweilig"?
Claude Debussy, Igor Stravinsky und Pierre Boulez kritisierten Francks Musik als "langweilig" –ein Urteil, das sich bis heute in der Sekundärliteratur findet. Trotz aller Vorbehalte beschäftigte sich Debussy intensiv mit Francks Oratorium Les Béatitudes (Die Seligpreisungen). Er verfasste eine Werkanalyse, die im April 1903 in der Zeitschrift Gil Blas erschien. Debussy betonte einerseits die fromme Naivität Francks, sah in dessen Musik aber auch eine bewusste Opposition zur "unkeuschen" und "verführerischen" Musik eines Richard Wagner. "Die Seligpreisungen von César Franck sind – zumindest im Konzertsaal – dem Rheingold insofern überlegen, als sie keiner Ausstattung bedürfen; das ist immer nur Musik, und dazu immer die gleiche schöne Musik."
Das von Debussy erwähnte "Momentum der Langeweile" beschreibt er als ein bewundernswert sorgloses Verhältnis zur Zeit. Franck, so Debussy, ignoriere die Langeweile einfach; er orientiere sich an melodischen und harmonischen Dispositionen. Die daraus folgenden satzübergreifenden thematischen Zusammenhänge und kontrapunktischen Themenkombinationen nennt Debussy musique inutile – nutzlose Musik.
D’Indy bezeichnet diesen Grundzug der Musik Francks als style cyclique. Diese zyklische Form basiert auf Themen, die satzübergreifend eingebaut werden, um ein größeres Werk einheitlicher zu gestalten. Um zu beschreiben, wie diese Musik wirkt und erlebt wird, benutzt d’Indy eine theologische Metapher: Francks Musik wirke, so d’Indy, wie eine cathédrale sonore, eine Klangkathedrale. Debussy greift diese Metapher auf und sprach, vielleicht etwas abschätzig, von "neogotischem Kunstgewerbe".
Werk und Leben Francks stellen das musiktheologische Zeugnis eines Musikers dar, der dem Ideal eines christlichen Humanismus verpflichtet war.
Sind die geistlichen und kirchenmusikalischen Werke von César Franck weltabgewandte Artefakte? Nein, sie sind musikalisch-theologische Artikulationen eines Komponisten, der an den gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklungen des unruhigen 19. Jahrhunderts regen Anteil nahm. Werk und Leben Francks stellen das musiktheologische Zeugnis eines Musikers dar, der dem Ideal eines christlichen Humanismus verpflichtet war.
In Verbindung mit seinem Amt als Titularorganist an der Kirche Sainte Clotilde in Paris sind Werke wie die Messe solennelle op. 12, die Messe à trois voix, Panis angelicus, Psalm 150 und die Motette "Warum toben die Heiden" entstanden. Die Messe A-Dur op. 12 gehört zu den "beglückendsten" Werken Francks. "Es ist in langem Reifen zu einem authentischen Bekenntnis geworden. Es verströmt eine warme, verbindliche Gesinnung", wie Klauspeter Bungert schreibt. Außerdem schrieb Franck mehrere Oratorien. Zweimal thematisiert er Frauengestalten des Alten Testamens (Eglogue biblique Ruth und Rebecca). Rédemption ist ein Weihnachtsoratorium eigener Art. Zu nennen sind weiterhin Le désert und La Tour de Babel.
Der Versuch einer neuen Synthese zwischen Gesellschaft und Kirche
Sein Hauptwerk, das bereits erwähnte Oratorium Les Béatitudes, stellt Francks Versuch dar, die Bergpredigt zu aktualisieren. Diese Komposition, die er seiner Frau widmete, entstand über einen Zeitraum von zehn Jahren (1869–1879). Als geistiger Hintergrund ist der Renouveau von Kirche und Religiosität nach den Wirren der Revolution und napoleonischen Zeit zu sehen, der das geistige und kulturelle Leben Frankreichs prägte. Franck verstand die Wiederbelebung der Gattung des Oratoriums in Frankreich als Impuls zur Darstellung aktueller gesellschaftlicher und moralischer Probleme. Geistesgeschichtlich steht Félicité de Lamennais (1782–1854) mit seiner ästhetischen Vorstellung von Kunst als Prêtresse d’une religion Pate, also der Idee, Kunst als sinnstiftendes Element der Gesellschaft zu begreifen. In seinem Werk Paroles d’un croyant (1834) versuchte er eine neue Synthese zwischen Gesellschaft und Kirche.
Les Béatitudes versteht sich als eine christliche Antwort auf die gesellschaftlichen Verwerfungen des Deutsch-Französischen Krieges (1870/71). Es sollte die gesellschaftlich-politische Position der Kirche in der Dritten Republik stärken, die von starken antikirchlichen Kräften geprägt war.
Der Stil von Les Béatitudes ist durch eine gewisse Simplizität geprägt. Das Werk zeichnet sich durch eine knappe Textgestaltung aus, beeinflusst von Händel und Mendelssohn Bartholdy. Les Béatitudes versteht sich als eine christliche Antwort auf die gesellschaftlichen Verwerfungen des Deutsch-Französischen Krieges (1870/71). Es sollte die gesellschaftlich-politische Position der Kirche in der Dritten Republik stärken, die von starken antikirchlichen Kräften geprägt war. Die Schriftstellerin Josephine Colomb (1833–1892) übernahm den biblischen Text der acht Seligpreisungen und ergänzte ihn um kommentierende und dramatisch illustrierende Passagen. Die Seligpreisungen bilden den dramatischen und epischen Kern des Oratoriums, das mehrere Figuren und Gruppen auftreten lässt, die teils nicht bei Matthäus erscheinen, aber auf andere Evangelienstellen verweisen: Der Chor der Engel und Gerechten, irdische und himmlische Chöre, Christus als Voix du Christ, Sklaven, jüdische und heidnische Frauen, Engel des Todes und der Vergebung, Eheleute, die Menge, Tyrannen, Mater Dolorosa, Denker, Priester, Pharisäer, die Friedfertigen, Satan, ein Waisenkind und eine Mutter. Der Prolog des Werkes enthält weihnachtliche Motive, während die Mater Dolorosa eher nachösterliche Züge trägt.
Eine Alternative zu Wagners Kunstreligion
Francks Oratorien, insbesondere Les Béatitudes, sind als Antwort auf Richard Wagners Konzept einer Kunstreligion zu verstehen. Während Wagner in seiner Oper Tristan und Isolde die Liebe auf das rein Menschliche reduziert, geht Franck bewusst einen anderen Weg: Er erweitert das menschliche Moment der Liebe hin zum Göttlichen. Die Liebe Gottes zum Menschen, verkörpert in der Menschwerdung Christi, dient als Grundlage für die menschliche Liebe. Gottes- und Nächstenliebe sind bei Franck als untrennbare Einheit zu verstehen.
Das Oratorium Les Béatitudes ist nicht nur ein geistliches Werk, sondern verankert die christliche Botschaft in der gesellschaftspolitischen Situation der Dritten Republik. Nach Les Béatitudes komponierte Franck nur noch wenige geistliche Werke wie Rebecca. Allerdings griffen seine"profanen Kompositionen" weiterhin religiöse Themen auf. So thematisiert seine Oper Hulda den Menschen ohne die Orientierung der Bergpredigt, während Ghiselle den Machtmissbrauch im kirchlichen Kontext behandelt.
Das geistliche Œuvre César Francks ist eine "Theologie in Noten", deren Nachklang bis ins 21. Jahrhundert zu hören ist.