Die innerliche Erneuerung der Sankt-Hedwigs-Kathedrale in Berlin gab, wie es sich für Sakralbauten an prominenten Stellen gehört, vielfach Anlass für Streit und Debatte. Die Auseinandersetzung zwischen einem historisierenden und einem modernen Stil war absehbar.
Nichts dazugelernt?
Als ich das Bauwerk neulich besuchte, fragte ich mich etwas anderes. Ich fragte mich, ob die katholische Kirche denn nichts dazugelernt hätte. Ich schaute auf die weißen Wände und hinauf in die weiße Kuppel. Ich hörte mich selbst unter der Kuppel, die jedes Räuspern, die jeden Schritt sofort zum öffentlichen Ereignis amplifiziert. Ich betrachtete die demonstrative Schlichtheit der Sessel in ihrer sonderbar parlamentarischen Anordnung. Ich umging die geometrische Zeitlosigkeit des Altars und fragte mich: Ist das jetzt die innenarchitektonische Inszenierung der Stunde Null?
Ist diese Kathedrale möglicherweise das Produkt einer Weißewestenkirche, deren Funktionäre seit Jahrzehnten unermüdlich einen Kleriker nach dem anderen selig- oder heiligsprechen lassen, der während des Nationalsozialismus im Widerstand "kämpfte", einer weißgewaschenen Nachkriegskirche, die derartige Heerscharen von angeblichen Widerständlern im Himmelreich weiß, dass die tatsächliche Geschichte kaum noch ins Gewicht fällt? Als hätte es überhaupt keine Kollaborateure, Enthusiasten, True Believers unter Katholiken im Nationalsozialismus gegeben, höchstens ein paar "Mitläufer", die aber dann später reumütig Bescheid wussten, dass es "falsch" oder sogar "unmenschlich" gewesen sei – "damals."
Äußert sich in Sankt Hedwig unbewusst das Bedürfnis einer Kirche, die so viel angestellt hat, zu zeigen, dass man trotz allem zu den Guten zählt?
Und ist der über Jahrzehnte gut eingeübte Gestus des Verdrängens vielleicht übergegangen in jenes Beiseiteschieben und Vertuschen anderer Dinge, schwerster Übertretungen, Verbrechen, die der Kirche als "Missbrauchsskandal" so fatal auf die Füße gefallen sind? Äußert sich in Sankt Hedwig unbewusst das Bedürfnis einer Kirche, die so viel angestellt hat, zu zeigen, dass man trotz allem zu den Guten zählt?
Die Weigerung zur Selbstdeutung
Man zählt zu denen, die gar nicht so steile Deutungen machen, kaum laut auftreten oder einen Anspruch erheben – man bleibt weiß, unbestimmt und unangreifbar. Die weißen Wände sind Ausdruck einer Weigerung zur Selbstdeutung, einer Weigerung, das Wagnis einzugehen, mit Bruch und Makel dazustehen.
Diese Hauptstadtkathedrale ist die Raum gewordene Behauptung der Stunde Null: eines seichten Moralismus der Unbeschadeten, einer hochdeterminierten Unbestimmtheit. Es ist die Glätte einer vorgeschobenen Offenheit, eine arrogante Bescheidenheit der Form, die sich so schlicht gibt, dass sie sich einbilden darf, zeitlos und zeitenthoben zu sein. Es ist ein Sakralbau, der jegliches Gefühl für seine Kontingenz verloren hat, der seine dramatische Gegenwart mit innenarchitektonischen Leerstellen verdeckt.
Sankt Hedwig zu Berlin, das ist das Bild einer Kirche, die alle Demütigungen durchgestanden, ihre Widersprüche und Irrtümer "aufgearbeitet" haben will und sich nichts mehr gefallen lassen möchte, einer Kirche, die jeden Widerspruch und jeden Irrtum auflösen kann, indem sie sich zum Beten in diese unbeschriebenen Flächen der Geschichtslosigkeit begibt.
Es geht nicht darum, widerspruchsfrei zu sein. Es geht auch nicht darum, eine Architektur zu entwerfen, die allen gefällt. Probleme lassen sich weder auf einem weißen Papier noch durch eine weiße Wand auflösen. Aber es geht um ein produktiv ausgedeutetes Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit, ein wie auch immer winziges Zeichen der inwendigen Abgründigkeit. Dies wäre für die Innenausgestaltung der Kathedrale sowohl ästhetisch als auch spirituell äußerst produktiv. Stattdessen wird die Lüge der Zeitenthobenheit in Berlin zum liturgischen Raum, zum sakralen Prinzip.
Man wünscht sich, es sollten visionäre Maler nach Berlin kommen. Sie sollten die Kuppel und die Wände ausmalen. Man wünscht sich, die furiose Unruhe eines Aris Kalaizis, seine schwelende und brodelnde Monumentalität, die zaudernde, unentschlossene, widersprüchliche, schmerzhaft-heiteren Gestalten seiner Leinwandfiguren.
Man wünscht sich daher, dies sei nur die erste Phase eines Innenausbaus. Man wünscht sich, es sollten visionäre Maler nach Berlin kommen. Sie sollten die Kuppel und die Wände ausmalen. Man wünscht sich, die furiose Unruhe eines Aris Kalaizis, seine schwelende und brodelnde Monumentalität, seine wankelmütigen, fragilen, widersprüchlichen, schmerzhaft-heiteren Figuren. Nicht Künstler und Architekten, die sich, semantisch flach und diktatorisch, unter dem Deckmantel des Euklid, jeglicher Zeitlichkeit entledigen, deren Ästhetik man nur eine Beihilfe zur Verdrängung attestieren kann. Es soll Streit geben wie einst, als Michelangelo die Sixtinische Kapelle ausmalte. Die einzige Blöße sei die des fehlbaren Geschöpfes.