Wer auch nur ein wenig von J.R.R. Tolkiens Werk oder seinem Leben kennt, wird nicht überrascht sein, dass die Motive der Hoffnung und des Lebens als Pilgerschaft für ihn zentral sind.
Sogleich fallen einem etwa die Elben ein, die in Mittelerde ein Zeichen der Hoffnung inmitten der Vergänglichkeit sind. Sie stehen für die Fähigkeit, ein Ziel zu erahnen, das außerhalb der irdischen Welt liegt, das wahre Zuhause, das gesucht werden muss auf der Straße, die "ever on and on" führt. Die Elben lehren uns den gelungenen Umgang mit der Kontingenz: sich für das einzusetzen und das von Herzen zu lieben, was wir doch irgendwann zurücklassen müssen.
Das Thema Hoffnung spielt in Tolkiens Werk an zahlreichen Stellen eine große Rolle. Hier soll an eine weniger bekannte Kurzgeschichte mit dem eigentümlichen Namen "Blatt von Tüftler" ("Leaf by Niggle") erinnert werden, die erstmals 1945 veröffentlicht wurde.
Tüftler wird uns als ein Mann vorgestellt, der in seinem Wunsch nach Vervollkommnung des Bildes gefangen ist, aber nie in der Lage ist, diese zu erreichen.
Die kurze, aber intensive Erzählung dreht sich um Tüftler, einen kleinen Künstler, der auf dem Land wohnt (es darf beim Lesen auch mitgedacht werden, dass Tolkien sich in dieser Person selbst wiederfindet). Tüftler hat einen großen Traum: Er möchte "einen Baum malen, der die Welt verändern könnte". Doch er bleibt in seiner Arbeit immer wieder stecken. Zum einen aufgrund seiner eigenen Unzulänglichkeiten. Er war manchmal träge und einigermaßen gutherzig: "'Ich wünschte, ich wäre aus härterem Holz' dachte er manchmal bei sich und meinte damit, er wünsche, dass anderer Leute Kummer ihn nicht unglücklich machte." Zum anderen aufgrund der äußeren Anforderungen, die an ihn gestellt werden, nicht zuletzt durch seine Verantwortung für seinen kranken Nachbarn, Herrn Paris (im Original heißt er Parish, was auch "Gemeinde" bedeutet, der Nachbar steht also für die Mitmenschen oder das soziale Umfeld). Der Nachbar bittet ihn ständig um Hilfe mit Dingen, die Tüftler irgendwie unnötig und übertrieben vorkommen. "Die meisten dieser Dinge fand er sehr lästig; aber er erledigte sie einigermaßen gut, wenn es nicht anders ging – was seiner Ansicht nach viel zu oft der Fall war." Zudem hat Paris – zu Tüftlers Ärger – keinerlei Verständnis für seinen Baum.
Tüftler wird uns als ein Mann vorgestellt, der in seinem Wunsch nach Vervollkommnung des Bildes gefangen ist, aber nie in der Lage ist, diese zu erreichen. "Es war ein Baum, den Tüftler malte, ein schöner Baum. Aber er kam nie wirklich so weit, wie er wollte. Es war immer noch nicht der Baum, den er sich erträumt hatte."
Gleichzeitig weiß Tüftler, dass er sich wohl sehr bald auf eine große Reise ohne Rückkehr wird machen müssen, und er ahnt auch, dass er seinen Baum nicht wird abschließen können. Den Gedanken an die unweigerlich auf ihn zukommende Reise schiebt er daher weit von sich weg.
Eines Tages ist es jedoch so weit, Tüftler wird von einem "Inspektor" zu einem unbekannten Ziel hin abgeholt – Tüftler hat seine Sachen nicht gepackt. Er wird ohne Umschweife in den nächstgelegenen Zug gesetzt und, da er keine Gelegenheit hatte, seine Sachen zu packen, endet er in einem Armenhaus, wobei er sich allerdings nicht sicher ist, ob es nicht doch eher ein Gefängnis oder eine Art Arbeitslager sei. Dort muss er unangenehme Medizin einnehmen und unter schwierigen Bedingungen arbeiten, hat kaum etwas zu essen und quält sich mit den verpassten Chancen der Vergangenheit. Doch allmählich lernt er, seine Zeit effizienter zu nutzen und die Aufgaben mit Sorgfalt zu erledigen, was ihm inneren Frieden bringt. Er weiß nicht, ob Tage oder Jahrhunderte vergehen.
Eines Tages belauscht er ein Gespräch zwischen zwei "Stimmen". Sie stehen, wie später deutlich wird, für "Gerechtigkeit" und "Barmherzigkeit" und beraten über sein bisheriges Leben und sein weiteres Schicksal. Die Gerechtigkeit sagt zu der Barmherzigkeit, dass sie die letzte Entscheidung habe.
Tüftler darf den Ort verlassen, um weiterzufahren, zu einem neuen, unbekannten Land. Hier findet er zu seiner Überwältigung "seinen Baum" in Wirklichkeit vor, schöner, als er ihn zu malen verstanden hatte, und doch ist es sein Baum, vollendet, ohne sein Zutun:
"Er starrte auf den BAUM, hob langsam die Arme und breitete sie weit aus. 'Es ist eine Gabe!', sagte er. Damit meinte er seine Kunst und auch das Ergebnis; aber er gebrauchte das Wort ganz buchstäblich. Noch immer betrachtete er den Baum. Alle Blätter, mit denen er sich abgemüht hatte, waren da, und eher so, wie er sie sich vorgestellt, als wie er sie gemalt hatte; und da waren noch andere, die nur in seinem Geist gesprossen waren, und viele, die hätten sprießen können, wenn er nur Zeit gehabt hätte. […] Bei einigen der schönsten sah man, dass sie in Zusammenarbeit mit Herrn Paris entstanden waren; anders konnte man es nicht ausdrücken."
Tüftlers Freude ist unbeschreiblich: Er erkennt, dass das, was er geschaffen hatte, in einem größeren Kontext seine Bedeutung und seinen Wert behält. Seine Unvollständigkeit im irdischen Leben wird nicht als endgültiges Scheitern dargestellt, sondern als Teil eines größeren, göttlichen Plans. Er findet seine Hoffnung, dass er selbst den Baum vollenden könne, aufgehoben in der größeren Hoffnung, dass der Prozess der Schöpfung und des Lebens an sich von Wert ist – und dass das von ihm unvollendet gelassene an anderer Stelle und von woanders her die Vollkommenheit erlangt – und ihm zur Gabe gemacht wird.
Die Hoffnung auf Vollendung
In Blatt von Tüftler ist die Hoffnung auf Vollendung unübersehbar. Tüftlers Unfähigkeit, das Bild seines Baumes zu vollenden, stellt die menschliche Beschränkung und die Unmöglichkeit vor Augen, in diesem Leben vollkommene Werke zu schaffen. Interessant ist auch die vielmalige Beschreibung Tüftlers als "klein" oder "arm", was an Tolkiens Vorliebe für das "Kleine und Unbedeutende" erinnert, die sich auch in Mittelerde zeigt. Diese Form der Hoffnung ist nicht an das irdische Erreichen des vollkommenen Ziels gebunden, sondern an die Erkenntnis, dass der Weg, den man geht, und die inneren Anstrengungen von Bedeutung sind, und dass das Ziel den Weg lohnend macht.
Tolkiens Tochter Priscilla schreibt, dass "Blatt von Tüftler" eine Reflexion über seine eigenen Ängste und Enttäuschungen in Bezug auf sein literarisches Wirken ausdrückt – man darf ganz zurecht Tüftlers Baum mit Tolkiens Mittelerde identifizieren. In diesem Kontext wird das Werk zu einer Auseinandersetzung mit der Hoffnung auf Erlösung und die Annahme des eigenen Steckenbleibens im Vorläufigen:
"Ohne dass unser Leben als eine Reise zu Gott verstanden wird, werden unsere künstlerischen oder anderen Talente ins Leere gehen. Die Geschichte ist in der Tat tief autobiografisch und zeigt nicht nur sein Christentum, sondern auch seinen römischen Katholizismus, insbesondere in seiner bildhaften Darstellung der Lehre vom Fegefeuer. Dies ist die Erfahrung der Reinigung und Heilung, die die meisten von uns nach dem Tod benötigen, bevor die individuelle Seele die volle Schau Gottes erreichen kann …" (Priscilla Tolkien, Leaf by Niggle)
Tüftlers Baum kann als Symbol für die volle menschliche Existenz verstanden werden – etwas, das immer angestrebt, aber nie vollkommen erreicht werden kann. Am Ende stellt sich heraus, dass der Baum, auch ohne Tüftlers irdische Vollendung, eine neue Existenzform annimmt, dass auch in der Unvollständigkeit eine höhere Vollkommenheit zu finden ist. Das ist die wahre Hoffnung, die Tolkien in dieser Erzählung vermitteln möchte.
Die Hoffnung in "Blatt von Tüftler" ist die Hoffnung auf Erlösung und Vollendung durch die göttliche Gnade – als eingegossene Tugend richtet sie die Menschen schon in diesem Leben auf das Ewige aus, etwas, das Tüftler durch seine Vision des vollkommenen Baumes erlebt, die ihn über sich hinauszieht.
Die Tugend der Hoffnung, wie sie Thomas von Aquin ausführt, richtet den Menschen darauf aus, das Übernatürliche zu erreichen – in erster Linie das Heil – das Gut schlechthin –, das nur durch die göttliche Gnade erlangt werden kann. Hoffnung, so Thomas, ist ein Vertrauen in Gott, dass das Ziel, nämlich das ewige Leben, erreicht werden kann, auch wenn der Weg dorthin schwer und von Unvollkommenheiten geprägt ist. ("objectum spei est bonum futurum arduum possibile haberi" s.th. II II 17, 1).
Tüftler mag in seinem Leben den Baum nicht vollständig gemalt haben, aber in 'seinem Land' wird sein Werk vollendet – und das nicht nur als künstlerische Leistung, sondern als Ausdruck einer höheren göttlichen Vollkommenheit. Der Mensch darf in Tolkiens Sicht in seinem Schaffen am Werk Gottes teilhaben:
"In diesem Mythos wird 'vorgegaukelt', dass Er bestimmten seiner höchsten erschaffenen Wesen besondere 'sub-schöpferische' Kräfte verlieh: Das ist eine Garantie dafür, dass das, was die geschaffenen Wesen ersannen und erschufen, die Realität der Schöpfung erhalten sollte. Natürlich innerhalb von Grenzen und selbstverständlich unter bestimmten Befehlen oder Verboten." (Tolkien, Brief an Hastings).
In diesem Sinne wird die Unvollständigkeit selbst zu einem Teil des Hoffens. Tüftler, der ursprünglich in seiner Besessenheit von der Perfektion seines Werkes gefangen war, erkennt schließlich, dass die wahre Hoffnung nicht in der Erfüllung seines irdischen Traumes liegt, sondern in der göttlichen Erlösung, die seine Bemühungen übersteigt. Hoffnung stellt sicher, dass der Mensch nicht in der Verzweiflung verharrt (Verzweiflung ist das eine der Hoffnung entgegengesetzte Laster – das andere wäre die Überheblichkeit), sondern nach dem höchsten Ziel strebt: der Erlösung und dem ewigen Leben.
Die menschliche Unvollständigkeit, Begrenztheit und Kontingenz in Tolkiens Werk ist nicht als Scheitern zu verstehen, sondern als ein Moment in einem größeren, göttlichen Plan. Der Mensch mag in dieser Welt vieles nicht vollenden, doch die Hoffnung auf göttliche Erlösung und Vollendung bleibt. Die Unvollständigkeit ist ein integraler Bestandteil der menschlichen Existenz und ein Anstoß, das Leben als Pilgerschaft in Hoffnung zu begreifen, das auf ein höheres Ziel ausgerichtet ist.