Meer, Sand und Strand: Für viele Menschen der Inbegriff von Urlaub und Erholung. Doch in ihrer unbändigen Rauheit können Meer und Strand auch irritieren und inspirieren. Ulrich Körtner mit sommerlichen Beobachtungen zwischen den Gezeiten.

Eine kräftige Brise weht von Südwest. An der Bauchseite weiß gefärbtes Gewölk lässt sich landeinwärts treiben. Hinter den Dünen wird es zusammengeschoben und türmt sich zu ungeordneten Haufen. In den Windkanälen zwischen den ehedem wandernden Hügeln wirft ein sandiger Luftstrom aufmüpfige Sperlinge und Goldammern zurück. Nach Westen hin fallen die übergrünten Sandberge terrassenförmig ab, wo sie das Wasser erwartet, das gierig nach ihnen schnappt, meist aber auf harten Kies beißt, den es missmutig wieder ausspuckt. Der Strand klirrt, wellenförmig übertönt vom Geifern des Meeres, das Schaum vor dem Maul hat, aus dem salziger Speichel tropft.

Am Wasser entlang spazieren, gleichmäßig und nicht allzu dicht in Pulks verteilt, gegen den Wind gestemmt Gestalten, mit ein wenig vornüber gebeugtem Oberkörper, die Beine immer einen Schritt hinter dem Rumpf zurück, in gelbes Ölzeug gesteckt, pulloverhaft bestrickt, mitunter auch wagemutig kurzärmlig und von einer Gänsehaut überzogen, teerbefleckt barfüßig, sportlich beturnschuht oder gummigestiefelt. Sie kommen nur langsam voran, halten nach beinahe jedem Schritt inne, so, als wäre ihnen der nächste fraglich, und machen Bücklinge wie der windgeprüfte Strandhafer. Ihre Augen durchsuchen den feuchten Kies mit stochernden Blicken, ihr Gefinger durchwühlt Steiniges. Wortlos, die Mitläufer missachtend, scharren sie im knirschenden Kies, bücken sich nach rundgeschliffenen Mineralien oder verhutzeltem Quarz, handtellergroßem Granit, hartgeldkleinen Stücken, nach versteinertem Grün, gehärtetem Rot und Blau, zusammengepresstem Gelb und Braun, plattgedrücktem Grau. Ihr gekrümmter Rücken setzt hinter jeden Stein, den sie auflesen und mustern, ein Fragezeichen. Die auf Urlaubsfotos oft äffisch grimassierte Gesichtsmaske ist zur jugendlich elastischen Ausgangsform entspannt oder altersfaltig, verrät Abwesenheit des Geistes (welches oder wessen?) oder ist todernst gestrafft (ist der Tod ernst oder macht er ernst – aber wen oder womit?).

Doch was sie suchen, wenn ihre Hände Steine gegen das gleichgültige Blau werfen, Schaufeln auf einer Tenne gleich, die Spreu vom Weizen trennen, als wollten sie Schätze sammeln, wo nicht der Rost und die Motten fressen, sondern das Salz, vermag niemand von ihnen wirklich zu sagen.

Die meisten Kiesel werden verworfen und von den Salzfingern mit einer verächtlichen oder enttäuschten Handbewegung fallen gelassen. Nur wenige Steine bleiben zurück in der salzverklebten Faust, honigbraun und karamellfarben, ähnlich denen in den Schaufenstern der Juweliere und Souvenirgeschäfte dieser Gegend, an die sich Touristen drücken, Voyeuren gleich sich am Anblick von Bernstein schadlos haltend, ohne am Ende auch nur eines der Schmuckstücke zu kaufen, auf welche sie mit dem Finger deuten, während sie zum wiederholten Male darüber spekulieren, möglicherweise selbst schon einmal solch steinernes Harz auf einem der ausgedehnten Spaziergänge am Wasser in Händen gehalten zu haben – wo es doch in den Urlaubsprospekten verheißungsvoll schwarz auf weiß steht, die Winterstürme spülten Bernstein an den hiesigen Stränden an –, um sich schließlich wieder über den Strand zu verteilen und sich erneut auf die Suche zu begeben.

Doch was sie suchen, wenn ihre Hände Steine gegen das gleichgültige Blau werfen, Schaufeln auf einer Tenne gleich, die Spreu vom Weizen trennen, als wollten sie Schätze sammeln, wo nicht der Rost und die Motten fressen, sondern das Salz, vermag niemand von ihnen wirklich zu sagen, lässt sich vielleicht auch nie und nirgends finden, weil sie schlafwandlerisch oder vielmehr rauschhaft einem inneren Trieb gehorchen, dem blinden Instinkt des Sammelns, der sich, wie es scheint, dominant fortpflanzt seit Anbeginn der Menschheit und schon die Kinder dazu verleitet, Rochenei um Rochenei aufzuklauben, harmlose Bürger in Philatelisten oder Sammler von Bierdeckeln, Affären, Oldtimern verwandelt; ist jedenfalls nicht Bernstein, denn fast niemand macht mit der Suche nach Bernstein wirklich ernst, geht so weit, seine Funde einem kundigen Mineralogen oder Juwelier zur Prüfung vorzulegen, sondern wenn sie des Laufens müde, vom Wind benommen, hungrig und durstig sind und vom Strand dorfeinwärts biegen, werfen sie am Ausgang der Dünen auch ihre letzten Steine fort, achtlos wie ein dem Kinde langweilig gewordenes Spielzeug, verstohlen, wie man seine Groschen in eine Spendenbüchse fallen lässt, oder gönnerhaft, wie man dem Kellner ein Trinkgeld gibt.

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