Auftrumpfende EinfallslosigkeitFlorentina Holzinger arbeitet sich in "SANCTA" an der katholischen Kirche ab

Man ist heutzutage zu Recht sehr sensibel dafür geworden, wie Minderheiten in den Medien dargestellt werden. Was soll eigentlich die kleiner werdende Schar katholischer Ordensleute von einem solchen Spektakel halten?

Jan-Heiner Tück
© privat

Bei den Wiener Festwochen ist soeben das Stück "SANCTA" der Choreografin, Tänzerin und Performance-Künstlerin Florentina Holzinger aufgeführt worden. Das Echo ist gespalten: Was im Kunstbetrieb als hochoriginelle avantgardistische Performance gefeiert wird, ist für andere skandalös, ja blasphemisch.

Das, was anderen heilig ist, zu persiflieren, war schon immer eine allzu durchsichtige Strategie der Aufmerksamkeitssteigerung – aber nicht unbedingt ein Gütesiegel von Kunst.

Dabei erstaunt vor allem die auftrumpfende Einfallslosigkeit, die das Stück von Holzinger bestimmt. Nackte Frauenkörper, Sex, Blut – dazu religiöse Symbole und die Persiflage der heiligen Messe. Die Nonne Susanna entdeckt ihr sexuelles Begehren, obwohl sie doch eigentlich Keuschheit gelobt hat. Das hatte schon Paul Hindemith in seiner Oper "Sancta Susanna" im Jahre 1922 auf die Bühne gebracht, doch während es bei Hindemith bei einer Umarmung und einem Kuss des Gekreuzigten bleibt, kommt es bei Holzinger – wie sollte es anders sein – zur Kopulation. Das spirituelle Begehren findet sein Ventil, indem sich die Nonne lustvoll-ekstatisch mit dem Gekreuzigten vereinigt. Derweil strahlen die Balken des Kreuzes im grellen Neonlicht. Am Ende darf selbst der Auftritt einer lesbischen Päpstin nicht fehlen – wie innovativ!

Das, was anderen heilig ist, zu persiflieren, war schon immer eine allzu durchsichtige Strategie der Aufmerksamkeitssteigerung – aber nicht unbedingt ein Gütesiegel von Kunst. Schon 1969 hat der österreichische Aktionskünstler Hermann Nitsch in seiner Performance "Maria Empfängnis" eine sexuelle Vereinigung mit dem Kreuz inszeniert – und damit den erwartbaren Skandal provoziert. Mit viel Blut selbstverständlich. Wie eine späte Kopie dieser Vorlage wirkt bei den Wiener Festwochen "SANCTA", auch wenn nun ein ganzes Ensemble von Performance-Künstlerinnen samt Orchester aufgeboten wird.

Eine alte Klamotte

Die Fixierung Holzingers auf Nonnen und Sexualität ist eine alte Klamotte, die im Kulturbetrieb Wiens offensichtlich noch immer zu ziehen scheint. Sie bedient bekannte Klischees von der Lebensfeindlichkeit und repressiven Macht klerikaler Wertvorstellungen, die auch innerhalb der Kirche seit Jahrzehnten kursieren. Die Nonnen brechen aus den Mauern des Klosters aus – unterwegs zur sexuellen Befreiung. Ein etwas schlichtes Narrativ!

Man ist heutzutage zu Recht sehr sensibel dafür geworden, wie Minderheiten in den Medien dargestellt werden. Was soll eigentlich die kleiner werdende Schar katholischer Ordensleute von einem solchen Spektakel halten? Wie kommen sie sich vor, wenn ihre freigewählte Lebensweise in dieser Form lächerlich gemacht wird? Offenbar liegt es jenseits der Vorstellungskraft der kulturellen Avantgarde, dass es Menschen gibt, die sexuell enthaltsam leben, nicht weil sie von einem repressiven System unterdrückt und gegängelt werden, sondern weil sie sich frei dafür entschieden haben  um eines höheren Gutes willen. Gerade der Raum des Heiligen kann heilsame Kontrapunkte setzen zum "ganz normalen Chaos der Liebe", das ja keineswegs immer nur Glück bringt, sondern eben auch Verletzungen produziert.

Holzingers Stück zeigt letztlich die Doppelzüngigkeit und Heuchelei des gegenwärtigen Kulturbetriebs. Während Respekt und Ambiguitätstoleranz gegenüber Minderheiten zu Recht gefordert werden, darf das, was in der eigenen Tradition als heilig gilt, in den Dreck gezogen werden.

Mit der Fixierung auf das Thema Sexualität und katholische Kirche vergibt sich "SANCTA" die Chance, auf wirkliche Skandale hinzuweisen: dass Frauen in wirtschaftlich prekärer Lage ihren Körper verkaufen, um reichen Paaren den Kinderwunsch zu ermöglichen, dass auch in Österreich Sexsklavinnen in unwürdigsten Verhältnissen gehalten werden, um Männern die Lust zu befriedigen, dass die liberale Gesellschaft kaum etwas dagegen unternimmt, dass auch Minderjährige herangezogen werden, um für pornografische Filme zur Verfügung zu stehen.

Holzingers Stück zeigt letztlich die Doppelzüngigkeit und Heuchelei des gegenwärtigen Kulturbetriebs. Während Respekt und Ambiguitätstoleranz gegenüber Minderheiten zu Recht gefordert werden, darf das, was in der eigenen Tradition als heilig gilt, in den Dreck gezogen werden. Man stelle sich einmal vor, Holzinger hätte für ihre Persiflage verschleierte Musliminnen und ihre religiösen Praktiken gewählt. Kaum auszudenken, was das für einen Skandal gegeben hätte.

PS: Paul Hindemith hat 1958 seine Oper "Sancta Susanna" zurückgezogen und 1963 eine Messe komponiert – Imitationspotential für die heutige Avantgarde?

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