Frankreich hält sich auf seinen Laizismus viel zugute. Religion und Staat werden penibel getrennt.
Da wundert es schon, dass auf der Eröffnungsfeier für die Olympischen Spiele am 26.7. in Anwesenheit von einhundertzwanzig gekrönten und ungekrönten Staatsoberhäuptern aus aller Welt auf ein berühmtes christliches Gemälde, nämlich auf Leonardo da Vincis "Letztes Abendmahl" Bezug genommen wurde. Für die Christenheit hat es aus naheliegenden Gründen fast schon ikonischen Charakter.
Hier wurde es nun als "lebendes Bild" nachgestellt. Im Namen von Diversität, Inklusivität und Toleranz gruppierten sich bunt kostümierte Dragqueens als Apostel um eine Art Jesusfigur in der Mitte. Auf der Tischplatte räkelt sich ein nackter, blumenbekränzter Bacchus.
Der Regisseur Thomas Jolly bestritt im Nachhinein, auf das Abendmahl von Leonardo da Vinci Bezug genommen zu haben. Es könne sich daher gar nicht um eine Persiflage handeln. Sollten sich daher die französische Bischofskonferenz oder die vielen anderen Kommentatoren, die das Werk kritisiert haben, alle geirrt haben?
Abendmahl oder Bacchanal?
Es gehört zum kleinen Einmaleins der Hermeneutik, dass ein Autor bzw. Künstler keine Definitionshoheit über die Wirkung seines Werkes hat. Auch darf man angesichts der nachträglichen Beteuerungen des Regisseurs misstrauisch sein: Soll man wirklich glauben, dass die visuellen Parallelen rein zufällig waren? Wer also diese Szene für eine Geschmacklosigkeit hält und das auch sagt, kann das tun. Er fällt dabei allerdings auf das Kalkül der Verantwortlichen herein. Thomas Jolly, der die Performance jetzt unschuldig für einen amüsanten Spaß zu Ehren der Bacchus-Tochter Sequana, Flussgöttin der Seine, ausgibt, hält ein Stöckchen hin – und wer darüber springt, entlarvt sich selbst als konservativ, homophob und womöglich noch Schlimmeres. Empörung ist die Währung, mit welchem der Tabubruch bezahlt wird. Sie generiert vermehrte Aufmerksamkeit. Müssen wir deswegen einfach zur Tagesordnung übergehen oder es aus Angst, sich mit seiner Kritik in unerwünschte Gesellschaft zu begeben, bei einem stillen Seufzer belassen?
Merkwürdigerweise bezieht sich die richtige Forderung nach Kultursensibilität oftmals nicht auf die Wurzeln der eigenen Kultur, die in Europa maßgeblich vom Christentum geprägt ist.
Nichts gegen spielerische Buntheit und Diversität. Wir sind alle Gottes Kinder. Aber zuzulassen, dass religiöse Menschen sich verspottet und lächerlich gemacht fühlen, ist eine ganze eigene Form der Aggressivität. Man könnte auch sagen: Es ist niederträchtig.
Merkwürdigerweise bezieht sich die richtige Forderung nach Kultursensibilität oftmals nicht auf die Wurzeln der eigenen Kultur, die in Europa maßgeblich vom Christentum geprägt ist. Thomas Jolly wollte "zum Nachdenken anregen". Nun denn: Es macht einen Unterschied, ob blasphemische Kunstaktionen individuell von einzelnen Personen verantwortet werden, wie etwa vor Jahren die Aktionen von "Pussy Riot", oder ob sie Teil eines Events sind, für den der gastgebende Staat in Kooperation mit olympischen Kommissionen verantwortlich zeichnet.
Die gigantische Eröffnungsfeier erhielt ihre Weihe immerhin vom französischen Staatspräsidenten, der die Spiele persönlich eröffnete. Mit dem Spektakel am Samstag hat Frankreich seinen Laizismus, den es so stolz vor sich herträgt, preisgegeben.