Hoffnung wider alle Hoffnung"Synchronisation in Birkenwald" von Viktor Emil Frankl

"Pilger der Hoffnung" – Literarisches zum Heiligen Jahr. Zwei Brüder im KZ, Spinoza, Sokrates und Kant im Jenseits: Der dem Konzentrationslager entkommene Psychiater Viktor Frankl ringt in seinem Dramolett "Synchronisation in Birkenwald" um Lebenssinn und letzte Freiheit.

Konzentrationslager
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Viktor Frankl, 1905–1997, ein als Psychiater und KZ-Überlebender bekannter Wiener, schrieb bereits 1946 ein bis heute wenig bekanntes Theaterstück: Synchronisation in Birkenwald – eine metaphysische Conférence, "dem toten Vater" gewidmet. In diesem verarbeitet er seine Erlebnisse in den Konzentrationslagern auf andere Art als in seinem weltweit bekannten Bestseller … Trotzdem Ja zum Leben sagen – das Stück findet sich im Anhang zu diesem Werk (München 92009, 143-187). Es ist ein Dramolett in Form eines Nachtstückes in großer Bedrängnis, in welchem sich die Protagonisten in widrigsten Umständen zu einer "Hoffnung wider alle Hoffnung" durchringen.

Frankl wählt hierfür die Begegnung zweier fiktiver Hauptcharaktere, die jedoch auf ihm selbst oder anderen ihm bekannten Menschen basieren. In einem parallel dazu laufenden Gespräch im Himmel überlegen derweil Baruch de Spinoza, Sokrates und Immanuel Kant, wie sie den noch auf der Erde lebenden Menschen ihre Einsichten für ein gelingendes Leben und besonders den "Appetit auf die Wahrheit" nahebringen könnten. Die Rahmenhandlung ist somit eine jenseitige metaphysische Conférence, die etwas an das von Viktor Frankl – dem zeitlebens tiefgläubigen Juden – hochgeschätzte Hiob-Buch erinnert, das für ihn in den Jahren nach seiner Befreiung 1945 persönlich sehr wichtig und tröstend wurde.

Zeit und Ewigkeit

Durch dieses Setting ist die Grenze von Zeit und Ewigkeit durchlässig geworden: Sokrates lässt verlauten: "Wir sind in der 'Ewigkeit' – jetzt in der Ewigkeit, da doch die Ewigkeit nichts ist als Gleichzeitigkeit." Sokrates möchte zeigen, dass "der Mensch auch noch in der Hölle Mensch bleiben kann" – ein Thema, das Viktor Frankls Kernaussage werden wird. Dies ist keine theologische Aussage über die Hölle, die der Mensch in sich trägt, wohl aber eine Aussage über die Hölle, die ihm andere bereiten. Nach dieser Einleitung hebt sich der "Vorhang zwischen Zeit und Ewigkeit" und man sieht das Konzentrationslager Birkenwald – ein ebenfalls fiktiver Name, eine Synthese aus Buchenwald und Auschwitz-Birkenau – sowie einige sich unterhaltende Häftlinge. Frankls Alter Ego Franz ist seinem Bruder Karl in das Lager gefolgt. Karl kommentiert das so:

"Ja, ich kenne deine ewige Opferei. Und ich sag dir offen, sie geht mir bis daher. Zuerst hättest du nach Amerika auswandern können – aber nein: du wolltest unsere Familie nicht im Stich lassen. Und der Effekt? Um dich vor der Gestapo zu retten, hat sich die Schwester geopfert. Und am Tod der Evi ist der Vater gestorben, vor Kummer und Kränkung. Dann kam ich zum Handkuß. Und jetzt ist die Mutter allein. Weiß Gott, ob sie überhaupt noch lebt. [...] So geht die Opferei weiter, und nichts schaut dabei heraus."

Es scheint, als würde sich Frankl diese Vorwürfe, die großteils autobiografisch sind, selbst machen und in diesem Theaterstück mit der Rechtfertigung seines Handelns ringen. Franz hält dagegen, dass das Leben nie etwas wert sei, wäre man nicht bereit, es für etwas anderes zu opfern – so allein könne selbst der Tod noch sinnvoll sein.

Diese Lagergespräche werden immer wieder durch das Gespräch der Philosophen unterbrochen. Eine direkte Kommunikation zwischen den Lebenden und Verstorbenen ist nicht möglich, allerdings können die Jenseitigen alles mitverfolgen, was auf der Erde geschieht.

Prüfung

Ein "schwarzer Engel" wird als SS-Mann in das Lager geschickt, mit dem Auftrag, den Bruder Karl zu prüfen (auch hier hört man das Buch Hiob durch: "Ich muss sie quälen – bis aufs Blut quälen. Dann wird man sehen, was an ihnen ist.") Karl ist nach einem Gespräch mit Franz nun doch fest entschlossen, standhaft zu bleiben, die Prüfung zu bestehen und so, wie es sein Bruder sagte, will nun er handeln:

"Nun – heute will ich opfern. Heute will ich mein Leben sinnvoll machen – nach deiner Theorie – und heut hol ich mir den sinnvollen Tod! […] Hast doch du mir immer wieder gepredigt: Das Leiden gehört dazu zum Leben – auch das Leiden hat Sinn!"

Er besteht also die Prüfung, stirbt aber dabei. In tiefer Trauer und doch hoffnungsvoll ob des sinnvollen Todes seines Bruders vergleicht Franz an dieser Stelle die ganze Erde mit einem Konzentrationslager, in dem der Mensch sich bewähren muss, in dem er stärker sein kann als seine eigene Natur, in dem er frei entscheiden kann, wie er sich zu seinen Umständen verhält. Er erkennt, dass in jedem Menschen – Häftling wie Wärter – gute und schlechte Anlagen sind und dass es für jeden möglich ist, sich für das Gute zu entscheiden, in jedem Augenblick. Franz nimmt sich vor, nach seiner Befreiung Menschen, die auf der falschen Seite standen, aber ab und an Gutes taten, zu beschützen; dabei beruft er sich auf das Mal, das Gott Kain nach dem Mord an seinem Bruder gegeben hat. Die Hoffnung, die aus tiefstem Leid erwächst, erweist sich hier als die auf eine bessere Welt, ein besseres Zusammenleben:

"Denk doch nur einmal darüber nach, was sonst geschehen wäre: Das Morden hätte einfach nicht mehr aufgehört, ein Mord hätte den andern ergeben, ein Unrecht das andre gezeugt –, wenn man immerfort Gleiches nur mit Gleichem heimgezahlt hätte. Nein! Endlich einmal soll die Kette des Bösen abgerissen werden!!"

Das nicht angenommene Opfer

Als Franz allerdings seinen Tod kommen spürt, schwankt er zwischen der Hoffnung zu überleben, um sein Werk fertig schreiben zu können, und dem Entschluss, den Tod tapfer anzunehmen:

"Und trotzdem! Irgend etwas – ist der Mensch – und bin vielleicht auch ich – und das schwebt – und das läßt sich nicht fassen – aber man muß es wirklich machen – darauf kommt es an […] Herr, laß mich sterben! […] Nicht den dort drüben, mich nimm hin – ich will zu dir. Nimm mich hin für ihn – ich geb‘ mich hin für ihn – […] Ich verzichte – ich verzichte auf das Stück und seine Vollendung – jetzt, jetzt bin ich so weit – so nahe den Dingen, so nahe dir, und jetzt weiß ich es: dieses Bruchstück von einem Leben wird ganz, wenn ich es lasse – wenn ich es hingebe… Nimm das Leben – nimm es an, das Opfer – für sie – für die andern."

Allerdings nimmt Gott – zu dem er hier spricht – sein Lebensopfer nicht an, Franz überlebt. Zunächst erfährt er dies als sein Unwürdig-Sein, gelobt dann aber:

"O ja, glaub mir. Ich bin verurteilt, zum Weiterleben, zum Fortführen dieses Dreckslebens. Aber es soll kein Drecksleben bleiben: ich will es fruchtbar machen, und ich werde vollenden, was ich begonnen habe, und nicht früher werde ich enden – jetzt weiß ich es."

In einem großen Ringen also wandelt er die Art des Für-Andere-Seins: Nicht mehr sein Lebensopfer ist gefragt, sondern sein Auftrag ist nun, das Leben fruchtbar für Andere zu leben:

"Mutter – Karl – Herr – jetzt bin ich allein – allein mit euch. Und jetzt verspreche ich euch, den Auftrag zu erfüllen, den ich – vielleicht mir nur einbilde. Aber Einbildung oder nicht – diese Frage läßt sich nur entscheiden im Handeln, durch mein Tun. Wir werden ja sehen…"

Viktor Frankl thematisiert in diesem Stück die Frage des Opfers – auch des scheinbar abgelehnten Opfers – und die je stärkere Hoffnung im Angesicht des überwältigenden Bösen.

Diese erweist sich als Hoffnung wider alle Hoffnung, und das in mehrfachem Sinn.

Heilende Erkenntnis

Zunächst überrascht es Frankl-Kenner nicht, dass sein Lebensthema, die Sinnfindung im Leiden, auch hier zentral ist. Die Möglichkeit, selbst in extremen Leidsituationen einen Sinn zu finden, gibt den Charakteren Hoffnung, indem es ihnen erlaubt, ihre Erfahrungen in einen größeren Kontext einzuordnen. Nach Viktor Frankl ist dies die heilende Erkenntnis, dass seine eigene Lage nicht die Ganzheit der Wirklichkeit ist – ein Aspekt, der Hoffnung geben und das eigene und auch gemeinsame Weltverhalten verändern, ja umkehren kann. Besonders auch die Anwesenheit der Philosophen Sokrates, Kant und Spinoza als metaphysische Beobachter suggeriert eine höhere Ordnung und einen übergeordneten Sinn, was Hoffnung in der scheinbaren Sinnlosigkeit des Lagers vermittelt. Auch wenn dieser Sinn jetzt nicht verstanden werden kann, appelliert Frankl eindringlich an das "Vertrauen in einen Übersinn". Die hier existenziell dramatisch dargestellte letzte menschliche Freiheit, die eigene Einstellung zu wählen – Frankl nennt es auch die Erleidenswerte –, bietet Hoffnung auf unverlierbare Würde und Selbstbestimmung im und über das irdische Leben hinaus. Noch im Tod kann dem Leben ein Sinn gegeben werden.

Im Stück klingt auch die Hoffnung auf Überwindung von Hass und die Wiederherstellung von Menschlichkeit in der zu gestaltenden Welt durch. Der Mensch hat Verantwortung für das Kommende, er hat eine Aufgabe. Auch die Figur Franz spürt, dass er noch Aufgaben vor sich hat, was ihm Hoffnung und einen Grund zum Weiterleben gibt – für Viktor Frankl war es die Vollendung seines vor der Verhaftung begonnenen Werkes "Ärztliche Seelsorge".

Es lohnt sich, dieses kleine Theaterstück einmal ganz zu lesen und auf sich wirken zu lassen. Es eignet sich auch als Einstieg für Interessierte an Viktor Frankls Werk, finden sich doch seine zentralen Grundgedanken in eindringlicher Kürze. Hier ist autobiografisch-literarisch ausgedrückt, wie das Leben in Pilgerschaft in Hoffnung scheinbar wider alle Hoffnung – Trotzdem! – gelebt werden kann.

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