Das Heilige als ZielscheibeWie mit Provokationen umgehen?

Eine Schweizer Politikerin benutzt eine Darstellung der Madonna als Ziel bei einer Schießübung und postet Bilder davon auf Instagram. Antireligiöse Provokationen häufen sich. Darüber müssen wir reden.

Revolver
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Man solle sich doch bitte schön nicht so aufregen, wenn immer wieder einmal christliche Symbole lächerlich gemacht oder demoliert werden. In den Chor der Beleidigten einzustimmen, das sei doch eine prekäre Sache. Mit der im Grundgesetz garantierten Kunst- und Meinungsäußerungsfreiheit ist für religiöse Menschen eben auch eine erhöhte Toleranzbereitschaft gefordert, Persiflage und Satire auszuhalten. Außerdem bewirtschafte anschwellende Empörung nur die Aufmerksamkeitsdynamik, auf die es die Provokateure anlegen.

Der Ratschlag, sich zurückzuhalten, kann in der Tat Ausdruck von Besonnenheit sein. Man muss nicht alles kommentieren, was an religiösen Provokationen so vorkommt. Die freie Gesellschaft kennt Zumutungen, die bekennende Christinnen und Christen tolerieren müssen. Sie profitieren ja auch von ihr. Hinter der Beschwichtigung keep cool! kann sich aber auch eine gewisse Abstumpfung, vielleicht sogar ein Quäntchen Feigheit verbergen, für das Eigene öffentlich einzustehen. Ein selbst auferlegtes Schweigegebot dürfte jedenfalls dann nicht mehr situationsgemäß sein, wenn sich die Fälle häufen, in denen christliche Symbole lächerlich gemacht oder demoliert werden. Oder hat das gesteigerte Sensorium für Vulnerabilität hier einen blinden Fleck?

Soeben hat in den sozialen Medien der Fall einer Grünen-Politikerin aus der Schweiz Aufsehen erregt. Die 32-jährige Sanija Ameti hat auf eine mittelalterliche Darstellung Mariens mit dem Jesuskind geschossen. Zwei Bilder auf Instagram zeigten das von Kugeln perforierte Marienbild und die Politikerin, wie sie mit der Waffe auf das Objekt zielt. "Zum Abschalten" steht darunter – nach einem stressigen Politiker-Alltag.

Wir brauchen dringend eine freimütige Debatte darüber, wie wir mit religionsfeindlichen Provokationen in der offenen Gesellschaft umgehen.

Ist es bloßes Versehen, wie die Politikerin, die sich inzwischen entschuldigt hat, glauben machen will? Sie habe das Bild aus einem Auktionskatalog herausgerissen und als Zielscheibe benutzt, versichert sie, ohne näher auf das religiöse Sujet zu achten. Aber warum hat sie dann die zerstörte Madonna mit dem Jesuskind gepostet und den Akt der symbolischen Gewalt gegen ein christliches Bild publik gemacht? War ihr wirklich nicht bewusst, dass sie das, was anderen heilig ist, zur Zielscheibe der Zerstörung gemacht hat? Der Präsident der Grünliberalen Partei hat Ametis Aktion als "nicht akzeptabel" bezeichnet und von einer "vorsätzlichen Provokation" gesprochen.

Es ist nur ein Fall unter vielen. Es ist gewiss falsch, reflexhaft auf antichristliche Provokationen zu reagieren und so die affektive Polarisierung in der Gesellschaft zu steigern. Genauso falsch ist es, einen Habitus des Wegsehens zu kultivieren und jede Verunglimpfung hinzunehmen. Der Respekt gegenüber dem Heiligen sollte auch nichtgläubigen Menschen zumutbar sein. Das Heilige, das für Gläubige nicht zur Disposition steht, tastet man nicht ohne Not an. Auch bei den "ungläubigen Söhnen und Töchtern der Moderne" (Jürgen Habermas) sollte so viel an staatsbürgerlicher Empathie vorausgesetzt werden dürfen, einen solchen als unantastbar ausgezeichneten Bezirk zu respektieren. Das dient dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und hat so lange zu gelten, als das Heilige nicht dazu benutzt wird, die liberale Rechtsordnung infrage zu stellen. Das ist die Grenze für eine zu gewährende Unantastbarkeit. Wer im Namen des Heiligen morden und schänden möchte, gehört ebenso demaskiert und delegitimiert wie der, der aus purer Provokationslust das Heilige zur Zielscheibe der Gewalt macht.

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