Petrus, Apostel Jesu Christi, den erwählten Fremden in der Diaspora in Pontus, Galatien, Kappadokien, der Provinz Asia und Bithynien, 2 von Gott, dem Vater, erkannt und durch den Geist geheiligt, um gehorsam zu sein und besprengt zu werden mit dem Blut Jesu Christi. Gnade sei mit euch und Friede in Fülle! (1 Petr 1,1f)
Wer sind die "auserwählten Fremden"?
Über die Adressaten des Briefes erfahren wir bereits im Präskript deutlich mehr als nur ihre geographische Lage. Selbst diese ist aber durchaus interessant, denn die genannten Gebiete waren im ersten und zu Beginn des zweiten Jahrhunderts Zentren des christlichen Glaubens: Galatien und die Provinz Asia gehören zum Bereich der paulinischen Mission (vgl. Apg 16,7), Kappadokien, Pontus und Asia sind in der Pfingsterzählung (vgl. Apg 2,9) vertreten; in die großen Städte der Provinz Asia werden die sieben Sendschreiben der Johannesoffenbarung verschickt (vgl. Offb 1,4). Das Christentum in Pontus und Bithynien ist zu Beginn des zweiten Jahrhunderts bei dem römischen Beamten Plinius belegt, der in einem Brief an Kaiser Trajan dessen Meinung hören will über die Frage, wie er als Statthalter mit den Christen umgehen solle (ep. X 96). Diesen Brief werden wir an späterer Stelle kennenlernen.
Die Christen, an die der Brief gerichtet ist, werden mit zwei Begriffen bezeichnet, die im gesamten Schreiben eine ganz zentrale Rolle spielen: sie sind "Erwählte" und "Fremde". Der Begriff "erwählt" knüpft an den alttestamentlichen Sprachgebrauch an und sagt, dass die Christen durch Gottes Handeln ausgesondert sind von ihrer Umwelt; sie sind jetzt "heiliges Volk" (1 Petr 2,12;4,3), das sich von den anderen Völkern unterscheidet – weil Gott an ihnen wirkt. Im Verlauf des Briefes wird deutlich, dass die Adressaten Heidenchristen sind, so dass ihre Erwählung sie jetzt zu "Fremden" macht, und zwar an dem Ort, an dem sie vorher heimisch waren. Das griechische Wort an dieser Stelle, "parepidemos", ist ein sozial-politischer Begriff für jemanden, der an dem Ort, an dem er sich vorübergehend aufhält, nicht zuhause ist und keine entsprechenden Bürgerrechte besitzt. Die Christen haben allerdings ja nicht ihren Wohnsitz geändert, sondern sie sind an Ort und Stelle in ihrer angestammten Heimat geblieben, aber durch die Taufe sind sie in ein ganz neues "Wertesystem", in eine völlig andere Weltanschauung gewechselt, die sie für ihre einstmals vertrauten Lebenskontexte fremd werden lässt.
Mit diesen Schlagwörtern: "auserwählt", "fremd", "zerstreut" klingt das Hauptthema des Briefes an, der die Frage nach dem, was Christsein inmitten einer gottfernen Welt ausmacht, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven bespricht.
Dazu kommt ein weiterer Begriff, der in der Einheitsübersetzung sogar als Fremdwort in seinem griechischen Wortlaut stehengeblieben ist: "Diaspora". Auch dieser Begriff, wörtlich "Zerstreuung", "Versprengung", hat seinen Ursprung im Alten Testament und kennzeichnet zunächst die Situation des Gottesvolkes Israel seit der Zerschlagung des Königreichs Juda und der Vertreibung des Volkes aus der Heimat ins babylonische Exil im 6. Jh. v. Chr. Dieser Begriff prägt von Anfang an das Selbstverständnis der frühen Kirche; das wird auch deutlich am Beginn des Jakobsbriefs, der die "Diaspora" als Bild schlechthin für die Situation der Kirche verwendet, die in dieser Welt keine Heimat hat. Mit diesen Schlagwörtern: "auserwählt", "fremd", "zerstreut" klingt das Hauptthema des Briefes an, der die Frage nach dem, was Christsein inmitten einer gottfernen Welt ausmacht, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven bespricht.
Christliche Existenz als Spiegel des trinitarischen Gottes
Die Charakterisierung der Adressaten ist nicht damit abgeschlossen, dass ihre Erwählung durch Gott und deren Konsequenz, das Fremdsein in der Welt, benannt wird. Darüber hinaus setzt der Beginn des Briefes die christliche Existenz ganz ausdrücklich in einen Zusammenhang mit dem trinitarischen Gottesverständnis. Im griechischen Text wird das durch drei präpositionale Wendungen deutlich, die allesamt in einem Bezug zu dem Wort "Erwählung" stehen: "Von Gott dem Vater her", der die Erwählung vorherbestimmt, "im Geist", der heiligt, und "hin zu Christus" und zur Teilhabe an seinem "Gehorsam" durch die "Besprengung mit seinem Blut". Der trinitarische Gott ist also der Grund, die Verwirklichung und das Ziel für den besonderen Status, den die Christen haben.
Die Redeweise von der "Besprengung mit dem Blut" und dem "Gehorsam" übernimmt der Brief auch wieder der alttestamentlichen Tradition. In der Erzählung vom Bundesschluss zwischen Gott und dem Volk Israel im Buch Exodus besprengt Mose das Volk beim Vollzug des Bundes mit dem Blut der Opfertiere, und das Volk bestätigt den Bund mit dem Versprechen des Gehorsams gegenüber Gott: "Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun; und wir wollen es hören. Da nahm Mose das Blut, besprengte damit das Volk und sagte: Das ist das Blut des Bundes, den der Herr aufgrund all dieser Worte mit euch schließt." (Ex 24,7f). Im Neuen Testament ist es das Blut Jesu Christi, in dem Gott den neuen, endgültigen Bund schließt. Besonders der Hebräerbrief entwickelt das theologische Verständnis der Erlösung durch Christus (Soteriologie) mit den Begriffen und der Vorstellungswelt des Sinai-Bundes (vgl. Hebr 9,11-14). Aber auch der erste Petrusbrief setzt gleich im Präskript mit gewichtigen Schlagworten dieser Bundestheologie ein.
Der Brief erklärt den bedrängten Christen, wie sie ihre eigenen Leiden vom Passionsleiden Christi her verstehen und annehmen können.
Das Neue am neuen Bund ist, dass hier – dem christlichen Glauben an Christus als dem menschgewordenen Gott entsprechend – Gott gewissermaßen auf beiden Seiten steht und den "Vertrag" von beiden Seiten her garantiert; nur deshalb ist dieser Bund ewig und unzerstörbar und kann nicht mehr gebrochen werden wie der alte Bund, von dem der Prophet Jeremia konstatiert: "Das Haus Israel und das Haus Juda haben meinen Bund gebrochen, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe." (Jer 11,10) Der Gehorsam, in den der erste Petrusbrief die Christen ruft, ist darum auch keine rein menschliche Angelegenheit mehr, die aufgrund der Schwäche des Menschen zum Scheitern verurteilt wäre. Vielmehr ist der Gehorsam Teilhabe am Gehorsam Jesu Christi, den er als der menschgewordene Sohn Gott dem Vater erwiesen hat und damit den neuen Bund besiegelt.
In einem anonym überlieferten lateinischen Kommentar zum ersten Petrusbrief, der aus dem 7. Jahrhundert stammt und vielfach Bezug auf frühere Kirchenväterauslegungen nimmt, wird die "Besprengung mit dem Blut Jesu Christi" bemerkenswerterweise auf das Blutzeugnis für Christus im Martyrium bezogen. Sein Blut sei für die Märtyrer Vorbild und Beispiel gewesen (vgl. Anonymus in 1 Pt. 1,2 = CC 108B,28). Dieser Gedanke geht vermutlich über das hinaus, woran der Autor des Briefes mit der "Besprengung durch das Blut Christi" gedacht hat, aber im Blick auf die gesamte Stoßrichtung des Schreibens sagt er etwas sehr Richtiges: Der Brief erklärt den bedrängten Christen, wie sie ihre eigenen Leiden vom Passionsleiden Christi her verstehen und annehmen können.
Gnade und Friede in Fülle!
Die letzten Worte des Präskripts stellen eine Segensformel dar, die wir auch aus anderen neutestamentlichen Briefen kennen (vgl. Röm 1,7; 1 Kor 1,3 u.a.). Die beiden Worte "Gnade" und "Friede" sind dabei aber weit mehr als nur formelhafte Floskeln. Sie begegnen uns im Verlauf des Briefes wieder und bekommen dort eine konkrete inhaltliche Füllung. Zu beiden Begriffen ließe sich vieles sagen; ich beschränke mich hier auf zwei ganz kurze Hinweise: Das Wort "Gnade" ist inzwischen zu einem religiösen Spezialwort geworden; außerhalb bestimmter religiös geprägter Kreise wird es kaum verwendet und vermutlich auch nicht mehr verstanden.
Während wir heute unter "Frieden" vielleicht eher einen Zustand verstehen, sieht der erste Petrusbrief im Frieden etwas Dynamisches: Frieden ist etwas, das wächst, das größer wird, das sich ausbreitet.
Umgangssprachlich kommt es höchstens im Zusammenhang mit der Gerichtssprache vor – "begnadigen" – oder in Gangsterfilmen – "um Gnade winseln". Beide Verwendungen haben mit dem biblischen Sinn des Wortes gar nichts zu tun. Umschrieben wird die biblische "Gnade" gern mit "Zuwendung Gottes". Das ist richtig und zeigt, dass es um eine ganz und gar gute, positive Sache geht, die nichts mit einer irgendwie herablassenden Haltung oder Geste zu tun hat. Dem zugrundeliegenden griechischen Begriff, charis, eignet eine Bedeutungsnuance, die im deutschen Fremdwort "Charme", "charmant" noch ein bisschen erhalten ist: das Liebenswürdige, Wohlgefällige, Anmutige. Gottes Zuwendung zu den Menschen hat etwas Liebenswürdiges. Das schwingt in der Grußformel auch mit.
Und schließlich der "Friede in Fülle": Genau genommen steht an dieser Stelle im griechischen Text eine Verbform: "Möge der Friede voller werden!" Es geht um das Wachsen und um die Ausbreitung des Friedens, der von Gott kommt. Während wir heute unter "Frieden" vielleicht eher einen Zustand verstehen, sieht der erste Petrusbrief im Frieden etwas Dynamisches: Frieden ist etwas, das wächst, das größer wird, das sich ausbreitet. Das erinnert der Sache nach an die Wachstumsgleichnisse in der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu (vgl. Mt 13par).
Der erste Petrusbrief macht seinen Auftakt mit einer geballten Ladung an theologisch hochqualifizierten Begriffen und Ausdrucksweisen, die ganz auf der biblisch-alttestamentlichen Tradition fußen. Bei den Adressaten wird damit ein hohes Maß an Schriftkenntnis vorausgesetzt, eine Vertrautheit mit der Symbolik und theologischen Tragweite dieser Begriffe. Es sind offensichtlich Menschen, die nicht gerade erst die Grundlagen des christlichen Glaubens kennenlernen, sondern die in diesem Brief eine Hilfe erhalten, sich bewusst zu ihrer Identität als Christen zu bekennen. Die Adressaten des ersten Petrusbriefs bekommen im weiteren Verlauf des Briefes ein immer deutlicheres Profil.