Das Denken auf Gott vorbereiten"... damit ihr seinen Spuren folgt": Der erste Petrusbrief

Was heißt es, ein christliches Leben zu führen? Der erste Petrusbrief empfiehlt eine vernunftgeleitete Nüchternheit und ein gehöriges Maß an Selbstbeherrschung. Nur wenn sich der Christ frei macht von allen weltlichen Banden und Begierden und seine ganze Hoffnung auf Christus richtet, ist er auf dem rechten Weg.

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Die Eröffnungs-Eulogie des Briefes (1 Petr 1,3-12), so hatten wir gesehen, stellt den Empfängern die Einzigartigkeit ihrer geschichtlichen Situation vor Augen: Ihnen wurde die Offenbarung zuteil, die allen suchenden und hoffenden Menschen der früheren Zeiten in ihrer Fülle verschlossen geblieben und selbst den Engeln Gottes vorenthalten war: Dass die Menschwerdung Gottes in Jesus, sein Tod am Kreuz und seine Auferstehung, die ersehnte und endgültige Rettung gebracht hat. Durch die Verkündigung des Evangeliums wissen sie, dass die Wende der Zeiten erreicht ist und Gott die Geschichte nun zu ihrem heilvollen Ende führen wird, das nahe bevorsteht. Dieses Wissen, gerettet zu sein, ist für die Adressaten des Briefes durch die Taufe zur sakramentalen Realität geworden und hat ganz konkrete Auswirkungen auf ihr Leben. Um diese Konsequenzen geht es im Hauptteil des Briefes, der nun beginnt:

13 Deshalb umgürtet euch und macht euch bereit! Seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch bei der Offenbarung Jesu Christi geschenkt wird! 14 Als Kinder des Gehorsams gebt euch nicht den Begierden hin, wie früher in eurer Unwissenheit! 15 Wie er, der euch berufen hat, heilig ist, so soll auch eure ganze Lebensführung heilig sein. 16 Denn es steht geschrieben: Seid heilig, weil ich heilig bin!

"Umgürtet eure Gesinnung"

Nachdem der Brief den Adressaten zunächst ins Bewusstsein gerufen hat, wer sie sind, folgt nun die Aufforderung, ihr Leben entsprechend auszurichten: "Umgürtet euch und macht euch bereit!" (V. 13) An dieser Stelle lohnt es sich, einen Blick auf den griechischen Originaltext zu werfen, denn wörtlich heißt es hier anstelle von "macht euch bereit": "Umgürtet eure Gesinnung". Die Gesinnung, griechisch dianoia, ist das Denkvermögen, die Fähigkeit, sich eine Sache durch den Kopf gehen zu lassen. Dort beginnt der Weg des Christseins, nämlich mit einer Entscheidung. Die dianoia begegnet im Neuen Testament noch in einem weiteren wichtigen Zusammenhang: Jesus ergänzt in seiner Antwort auf die Frage nach dem ersten Gebot das "Höre, Israel" (Dtn 6,4f), das die Liebe zu Gott "aus ganzem Herzen, ganzer Selle und ganzer Kraft" verlangt, mit der dianoia: Du sollst Gott lieben "mit deinem ganzen Denken" (Mk 12,30). Im Denken, in der Gesinnung, verwirklicht der Glaubende seine Liebe zu Gott, denn die Gesinnung gibt jeder Lebensäußerung ihre Richtung.

Der Begriff Hoffnung bezieht sich in diesem Zusammenhang nicht so sehr auf die Zukunftserwartung, sondern ist eher zu verstehen als das, was dem Leben als Christ überhaupt Sinn verleiht. Sie ist geschenkt durch die Gnade Gottes.

Der Petrusbrief fordert die Christen nun auf, bevor sie ihren Glauben in die Tat umsetzen, zuerst ihr Denken vorzubereiten. Dazu verwendet der Brief das Bild vom "Umgürten", das im Neuen Testament für die Aufbruchsbereitschaft und für die richtige Ausrüstung steht, um einen langen Weg (vgl. Mk 6,8) oder einen Kampf (vgl. Eph 6,14-17) durchzustehen. Die entsprechend vorbereitete Gesinnung ist der Schlüssel für die praktische Lebensgestaltung. "Nüchtern" sollen die Christen sein, das bedeutet, ihr Denken soll von keinem falschen Faktor mitbestimmt und eingetrübt sein. Welche Faktoren das sein können, die der Gesinnung die Nüchternheit nehmen, wird an anderen Stellen im Petrusbrief ausgeführt: Es sind die verführerischen Attacken des Teufels, der die Christen dazu bringen will, den Glauben zu verlieren (vgl. 1 Petr 5,8); es sind "irdische Begierden", an die Christen sich binden können (vgl. 1 Petr 2,11), und es sind die Versuchungen, Menschen anstelle Gottes zu verehren (vgl. 1 Petr 3,14). Das nüchterne Denken, so sagt es Petrus, ist ganz durchtränkt und geprägt von der Hoffnung. Der Begriff Hoffnung bezieht sich in diesem Zusammenhang nicht so sehr auf die Zukunftserwartung, sondern ist eher zu verstehen als das, was dem Leben als Christ überhaupt Sinn verleiht. Sie ist geschenkt durch die Gnade Gottes. Auch hier wird noch einmal deutlich, dass der Glaube weder aus der eigenen Initiative des Menschen noch aus einer "religiösen Leistungsfähigkeit" hervorgeht. Glauben bedeutet vielmehr: das Geschenk Gottes annehmen.

"Gleicht euch nicht an … wie früher"

Durch die Annahme des Geschenks werden die Beschenkten verwandelt: Sie sind jetzt "Kinder des Gehorsams" (V. 14). Vorher waren sie "Unwissende". Der diesem Wort zugrundeliegende griechische Begriff agnoia setzt sich aus dem verneinenden Präfix "a-" und dem Wort für "Wissen", "Erkenntnis", gnosis, zusammen und findet sich in der Bezeichnung "Agnostiker" wieder, mit der die Haltung eines Menschen beschrieben wird, der sich in Bezug auf die Frage nach der Existenz Gottes nicht festlegen will. Die Christen haben sich aber festgelegt, und das macht sie fähig, in eine Beziehung zu Gott einzutreten, die der Petrusbrief "Gehorsam" nennt und damit die Fähigkeit bezeichnet, Antwort auf das Gehörte – die Botschaft des Evangeliums – zu geben. Der Verweis auf den "früheren" Zustand der Unwissenheit ruft noch einmal den Gedanken von der Zeitenwende ins Bewusstsein.

In V. 14 steht im griechischen Text noch eine weitere bemerkenswerte Formulierung, die in der deutschen Übersetzung leider nicht so gut zur Geltung kommt. Wo wir in der Übersetzung lesen: "Gebt euch nicht den Begierden hin", heißt es eigentlich: "Gleicht euch nicht an … wie früher". Denselben Ausdruck, "sich nicht angleichen", benutzt Paulus im Römerbrief, wenn er die Christen dazu ermahnt, sich nicht dem Druck oder auch der vermeintlichen Attraktivität des Zeitgeists anzupassen und anzubiedern: "Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist." (Röm 12,2) Dem Willen Gottes stehen im Petrusbrief die "Begierden" entgegen; das sind die menschlichen Sehnsüchte, die den Menschen in die falsche Richtung, weg von Gott und hin zu sich selbst, ziehen. Im ersten Johannesbrief gibt es eine Erklärung dessen, was das Neue Testament unter "Begierden" versteht:

Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, in dem ist die Liebe des Vaters nicht. 16 Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. 17 Die Welt vergeht und ihre Begierde; wer den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit. (1 Joh 2,15-17) 

Unterwegs zu einem "heiligen" Leben

Die "Begierden", das wird in diesen Versen klar, sind all jene Bestrebungen im Menschen, die mit der Liebe Gottes und der Liebe zu Gott nicht vereinbar sind. Unter der "Begierde des Fleisches" lassen sich alle Ausprägungen egoistischen Verhaltens fassen. Die "Begierde der Augen" benennt das, was an Sehnsüchten durch äußere Einflüsse geweckt wird. In der Antike waren es zum Beispiel die Einwohner der Stadt Athen, die, wie Lukas in der Apostelgeschichte berichtet, ganz versessen darauf waren, immer die neuesten Neuigkeiten zu hören und zu verbreiten (vgl. Apg 17,21); ihr Interesse an dem, was Paulus zu sagen hatte, war dagegen ziemlich gering. Heute ist es vielleicht vieles, was unter den Begriff "Social Media" fällt, was die "Begierde der Augen" bedient. Schließlich gehört zu dem, was dem Willen und der Liebe Gottes entgegensetzt ist, noch das "Prahlen mit dem Besitz". Damit ist im Tiefsten das Streben des Menschen gemeint, sich ganz von Gott loszulösen, die eigene Geschöpflichkeit und Begrenztheit zu leugnen, um sich völlig autonom und unabhängig zu fühlen. Der sogenannte Transhumanismus, der die biologischen und geistigen Grenzen des Menschen mit Hilfe der Technik zu überwinden sucht, könnte vielleicht als eine moderne Form des "Prahlens mit dem, was man hat und kann" betrachtet werden.

Der erste Petrusbrief ruft seinen Adressaten ins Bewusstsein, dass sie ihr Leben nicht mehr "wie früher" an diesen "Begierden" orientieren sollen, weil sie durch die Taufe eine echte Transformation ihrer Existenz vollzogen haben. Das soll keine bloß innerliche Umgestaltung bleiben, sondern in der ganzen Lebensführung sichtbar werden. Das Leben der Christen soll "heilig" sein (V. 15). Hier zitiert Petrus aus dem Alten Testament die vor dem Gottesvolk Israel oft wiederholte und damit eingeprägte Aufforderung: "Seid heilig, weil ich (Gott) heilig bin." (vgl. Lev 11,44f; 19,2; 20,7,26) Die Zugehörigkeit zum Heiligen, zu Gott, färbt gewissermaßen ab auf die, die "von ihm berufen" (V.15) sind: sie selbst sind "Heilige". Was mit dem "heiligen Leben" konkret gemeint ist, wird dann im Verlauf des Briefes näher erläutert werden.

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