Der Löwe brüllt"... damit ihr seinen Spuren folgt": Der erste Petrusbrief

Zum Schluss ruft der 1. Petrusbrief den Christen noch einmal in Erinnerung, wachsam und nüchtern zu sein: Es gilt, die Verlockungen des Bösen zu erkennen und ihnen zu widerstehen, aber auch, die Zuversicht im Blick auf die Zukunft nicht zu verlieren. (Letzter Teil unserer Serie zum Ersten Petrusbrief)

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Den Schlussteil seines Briefes beginnt der Verfasser pointiert mit einer Formel, mit der schon der Apostel Paulus im vermutlich ältesten Text des Neuen Testaments, dem ersten Thessalonicherbrief, auf den Punkt gebracht hat, worauf es für Christen in dieser Welt ankommt: "wach und nüchtern zu sein" (1 Thess 5,6).

Seid nüchtern, seid wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. (1 Petr 5,8)

Im ersten Petrusbrief erklingt der Aufruf zur Nüchternheit hier zum dritten Mal. Am Beginn des Hauptteils des Briefes wird die Nüchternheit als ein Grundzug des christlichen Denkens vorgestellt; die Nüchternheit erweist sich darin, dass das Denken der Christen sich nicht von falschen Ängsten oder Vertröstungen einlullen lässt, sondern von der Hoffnung auf Christus geleitet und geprägt ist (vgl. 1 Petr 1,13). An späterer Stelle wird von den Christen Nüchternheit angesichts des nahe bevorstehenden Endes dieser Welt gefordert: Christen können aufgrund ihrer Nüchternheit, nämlich dem Wissen um "das nahe Ende aller Dinge", den Realitäten dieser Welt illusionsfrei begegnen (vgl. 1 Petr 4,7). Hier, am Schluss des Briefes, wird die Nüchternheit ausdrücklich mit der Wachsamkeit verbunden.

Wachsamkeit üben

Der Ruf, wach zu bleiben, wachsam zu sein, zu wachen – im griechischen Text immer dasselbe Wort – dringt durch sämtliche Schriften des Neuen Testaments hindurch, angefangen von den Evangelien (vgl. Mk 13,35.37; Mt 25,13; Lk 21,36) bis hin zur Johannesoffenbarung (vgl. Offb 3,3; 16,5). Die Wachsamkeit hat eine doppelte Ausrichtung, einerseits auf Gott und den endgültigen Durchbruch seiner Herrschaft hin, wie es der Prophet Amos ins Wort gefasst hat: "Mach dich bereit, deinem Gott gegenüberzutreten!" (Am 4,12), anderseits aber auch im Sinne einer gesteigerten Aufmerksamkeit dem gegenüber, der von Gott ablenken will. Im Petrusbrief ist das der "Widersacher, der Teufel". In der biblischen Überlieferung kommt der Teufel, hebräisch "Satan", als eine Gestalt vor, der gegen die Menschen agiert und sie vor Gott anklagt (vgl. Ijob 1,6-12; Sach 3,1f.); in den außerbiblischen Schriften des Frühjudentums, wie zum Beispiel im sogenannten Äthiopischen Henoch (3. Jh. v. Chr.), nimmt er als Anführer der gefallenen Engel vor allem die Rolle des Verführers an, der die Menschen vom Glauben abbringen will (vgl. 1 Hen 6-16).

Die griechische Übersetzung verwendet den Begriff diabolos, der auch in 1 Petr 5,8 steht und wörtlich "der Verwirrer" bedeutet. Das "Diabolische" besteht darin, die Dinge durcheinander zubringen, undurchschaubar zu machen, vollkommen zu verdrehen. Durchschlagenden Erfolg hatte der Diabolos bei Adam und Eva, indem er – in Gestalt der besonders klugen Schlange – den Blick der beiden Menschen so verwirrte, dass sie nicht mehr die Großzügigkeit Gottes sehen konnten, der ihnen das ganze Paradies geschenkt hatte, sondern einzig auf den einen verbotenen Baum fokussiert waren. Diese Verwirrungstaktik ging auf, denn die Menschen hielten Gott nun für einen Despoten, der ihnen das wirklich Gute vorenthält (vgl. Gen 3,1-7).

Vom Teufel "verschlungen" wird nur, wer den Glauben aufgibt

Um das Gottesbild, konkret um die Vertrauenswürdigkeit Gottes, und zwar angesichts des Leidens, das den Christen zugemutet wird, geht es letztlich auch im ersten Petrusbrief, mit dem Unterschied, dass der Teufel nicht elegant und subtil auftritt wie in der Geschichte aus den ersten Tagen der Menschheit, sondern "wie ein brüllender Löwe", der raubgierig und hungrig unterwegs ist. Seine Absicht ist es, die Christen vom Glauben abzubringen. Und sein "Gebrüll" sind die Leiden, die sie ertragen müssen, weil sie ihre Hoffnung auf Christus setzen und ihr Leben gemäß dieser Hoffnung gestalten. Die theologische und geistliche Bewältigung der unterschiedlichen Leidenssituationen hatte der Brief immer mit dem Blick auf den leidenden Christus angestrebt. Am Ende kommt noch ein bemerkenswertes Argument hinzu:

Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens! Wisst, dass eure Brüder und Schwestern in der Welt die gleichen Leiden ertragen. (1 Petr 5,9)

Der Glaube, den der Teufel ausrotten will, ist selbst das Instrument des Widerstands gegen ihn. Vom Teufel "verschlungen" wird nur, wer den Glauben aufgibt. Der Glaube – und das ist ein neuer Aspekt –, bezieht seine (Widerstands-)Kraft aus der Gemeinschaft der Glaubenden, und das sind nicht nur die Mitchristen vor Ort, sondern die Christen "auf der ganzen Welt". Diese Gemeinschaft (griech. adelphotes) – hier übersetzt mit "Schwestern und Brüder" – begegnete auf der Ebene der Ortsgemeinde bereits in 1 Petr 2,17, wo der Brief die gegenseitige Liebe als Haltung der Christen untereinander beschrieb, die noch etwas anderes ist als der "Respekt", den sie ausnahmslos allen Menschen erweisen sollen.

Im Blick auf die weltweite Kirche spendet nicht nur die (lokale) Erfahrung der Liebesgemeinschaft, sondern auch das Wissen um die (globale) Leidensgemeinschaft Trost und Stärkung. Die Bedeutung der Kirche als weltumfassende, "katholische" Gemeinschaft kommt hier zum Tragen. Einsamkeit kann die Widerstandskraft brechen, jedoch gilt das Wort, das Papst Benedikt XVI. geprägt hat: "Wer glaubt, ist nie allein." In diesem Sinn resümiert der Brief:

Der Gott aller Gnade aber, der euch in Christus zu seiner ewigen Herrlichkeit berufen hat, wird euch, die ihr kurze Zeit leiden müsst, wieder aufrichten, stärken, kräftigen und auf festen Grund stellen. Sein ist die Macht in Ewigkeit. Amen. (1 Petr 5,10f)

Der Brief betont noch einmal, dass die Zeit des Leidens "kurz" ist, und ruft in Erinnerung, dass Gott selbst durch die Gnade, die er schenkt, dem Teufel entgegentritt und seine Kirche bereitet: Gott richtet auf, macht stark und sorgt für ein festes Fundament. Er lässt die Seinen nicht im Stich.

Zuversichtlicher Blick auf die Zukunft

Sehr ähnlich, auch im Hinblick auf die Verbindung der Hauptbegriffe "Leiden" und "Herrlichkeit", spricht Paulus im Römerbrief den Christen Trost zu: "Ich bin nämlich überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll." (Röm 8,18) Aus diesem Grund ist auch der Blick des ersten Petrusbriefs mit Zuversicht und Freude nach vorn gerichtet, und zwar trotz einer offenkundig sehr schwierigen, bedrängenden und beunruhigenden Situation für die Kirche insgesamt, aber auch ganz besonders für einzelne Christen, Frauen und Männer in ihrem jeweiligen sozialen Umfeld, das ihnen aufgrund ihres Glaubens verächtlich oder sogar feindlich entgegentritt. Es folgen ganz am Ende, dem sogenannten Postskript, noch einige persönliche Nachrichten und Grüße:

Durch Silvanus, den ich für einen treuen Bruder halte, habe ich euch kurz geschrieben: Ich habe euch ermahnt und habe bezeugt, dass dies die wahre Gnade Gottes ist, in der ihr stehen sollt. Es grüßt euch die mitauserwählte Gemeinde in Babylon und Markus, mein Sohn. (1 Petr 5,12-13)

Die Gestalt des Silvanus ist eine wichtige Figur der ersten christlichen Generation. Er gehörte zur Urgemeinde in Jerusalem (vgl. Apg 15,22-34), begleitete Paulus auf seiner zweiten Missionsreise (vgl. Apg 15,40-18,5) und wird in einigen Briefen erwähnt (vgl. 1 Thess 1,1; 2 Thess 1,1; 2 Kor 1,19). Die Formulierung, Petrus habe diesen Brief "durch" Silvanus geschrieben, kann bedeuten, dass Silvanus den Brief an die Adressaten überbracht hat, dass er ihn als Sekretär geschrieben hat – so wie Tertius den Römerbrief (vgl. Röm 16,22) – oder sogar, dass er selbst der Verfasser ist, und zwar im Auftrag des Petrus. Historisch ist diese Frage nicht zu klären. Die Grußformel am Schluss nennt den Ort der Abfassung des Briefes, Babylon. Über die Chiffre Babylon wurde schon am Beginn dieser Auslegungsreihe gesprochen; sie ist hier wie auch in zahlreichen frühjüdischen Schriften (z.B. 4 Esra 3,1f) und in der Johannesoffenbarung (Offb 14,8; 16-18) ganz eindeutig Deckname für die Stadt Rom, Symbol für die gottfeindliche Macht und Gesinnung schlechthin.

"Grüßt einander mit dem Kuss der Liebe!"

Außer Silvanus nennt der Brief noch einen weiteren prominenten Namen aus der Zeit des Urchristentums, Markus. Nach Irenäus von Lyon (2. Jh.) war Markus "Schüler und Dolmetscher des Petrus" (haer. 3,1,1) Verfasser des nach ihm benannten Evangeliums. Dass neben dem Verfasser, Petrus, auch noch diese beiden Namen, Silvanus und Markus, erwähnt werden, zeigt, wie sehr es dem Brief ein Anliegen ist, seine Verwurzelung in den apostolischen Ursprüngen der Kirche zu betonen. Der Apostel Petrus als der Augen- und Lebenszeuge Jesu Christi ist das Verbindungsglied zwischen Jesus und den Adressaten des Briefes, Christen, die Jesus "nicht gesehen haben und ihn dennoch lieben" (1 Petr 1,8). Diese Liebe zu Jesus äußert und verwirklicht sich in der Liebe zueinander, zu der Petrus innerhalb des Briefes mehrfach aufgefordert hat und dies auch noch im allerletzten Satz seines Schreibens tut:

Grüßt einander mit dem Kuss der Liebe! Friede sei mit euch allen, die ihr in Christus seid! (1 Petr 5,14)

Die meisten Briefe des Apostels Paulus enden mit einer Aufforderung zum Kuss als Zeichen der Verbundenheit und Gemeinschaft (vgl. 1 Thess 5,26; Röm 16,16 u.a.). Das an sich ist also nichts Besonderes. Aber bei Paulus ist es immer der "heilige Kuss", während Petrus zum "Kuss der Liebe" aufruft. Der "heilige Kuss" betont vielleicht eher den kultisch-liturgischen Aspekt der Gemeinschaft der Kirche, während im "Kuss der Liebe" die persönlich-existenzielle Hingabe anklingt, zu der Jesus auffordert: "Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt." (Joh 13,34f) Und nicht zuletzt könnte auch die Gestalt des Apostels Petrus selbst Pate stehen für den "Kuss der Liebe", insofern als die Ostererzählung im Nachtragskapitel des Johannesevangeliums diesen Petrus mit seiner dreifachen Beteuerung: "Herr, du weißt, dass ich dich liebe" (Joh 21,15.16.17) als die Symbolfigur der Liebe zu Jesus schlechthin präsentiert.

Schließlich wiederholt der Brief noch einmal den Friedenswunsch vom Beginn (vgl. 1 Petr 1,2). Dieser Friede ist Wirklichkeit für alle, die nicht mehr in der Enge, den Ängsten und der Unerlöstheit ihres eigenen Ichs gefangen sind, weil sie durch den Glauben "in Christus" sind, durch ihn und in ihm befreit hinein in seinen Frieden.

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