Auf die Haustafel (1 Petr 2,11-3,12) folgt nun mit 1 Petr 3,13-4,6 ein längerer Abschnitt, in dem der Brief die Erfahrungen von gesellschaftlicher Diffamierung bis hin zur Verfolgung der Christen reflektiert und theologisch einordnet. Wie schon im bisherigen Verlauf des Briefes zu sehen war, zeichnet sich auch dieser Abschnitt dadurch aus, dass das Leiden der Christen in einen Zusammenhang mit dem Kreuzesleiden Jesu Christi gestellt wird. Christus als der Leidende ist ihr Vorbild; aus seinem Beispiel schöpft der Brief Trost und Zuversicht, indem er nicht nur aufzeigt, wie die Bedrängnisse, denen die Christen ausgeliefert sind, in das Leiden Christi hineingezeichnet sind, sondern vor allem auch, wie das Leiden des Gottessohnes erlösende Kraft hat, die in den Glaubenden ihre Wirkung entfaltet.
"Und wer wird euch Böses zufügen, wenn ihr euch voll Eifer um das Gute bemüht? Aber auch wenn ihr um der Gerechtigkeit willen leidet, seid ihr seligzupreisen. Fürchtet euch nicht vor ihnen und lasst euch nicht erschrecken." (1 Petr 3,13f)
Auf den ersten Blick könnte man meinen, der Brief würde den Christen hier zusprechen, dass ihnen die Erfahrung von Leid und Schmerz erspart bliebe, wenn sie denn selbst Gutes tun. Ausgesagt ist jedoch genau das Gegenteil: Sie leiden gerade deshalb, weil ihr Leben unter dem Anspruch der Gerechtigkeit steht. Und dennoch kann ihnen niemand "Böses zufügen". Das klingt zunächst widersprüchlich. Zum Verständnis hilfreich kann ein Blick auf den Wortlaut des griechischen Textes sein, denn dieser lässt offen, ob es das Gute oder der Gute ist, worauf sich das Bemühen der Christen richtet. Ist "der Gute", das heißt Gott, gemeint, dann erschließt sich der Sinn dieser Aussage besser: Wer sein Leben auf Gott, den Guten, ausrichtet und seine ganze Aufmerksamkeit auf ihn lenkt, der ist vor dem Bösen geschützt.
Entscheidendes Wissen um das "danach"
Das Böse steht also für alles, was danach trachtet, den Menschen aus der Gemeinschaft mit Gott zu trennen. Wenn, so sagt es der Petrusbrief hier, die Glaubenden sich ganz bewusst und aktiv um die richtige Orientierung ihres Lebens bemühen, hat nichts und niemand die Macht, ihnen in ihrer Seele Schaden zuzufügen. Das wirklich und einzig Böse, das einem Menschen geschehen kann, ist der Verlust seiner Bindung an Gott. Diese kann aber nicht von außen zerstört werden, selbst nicht durch Kräfte, die das physische Leben zu vernichten imstande sind. Getragen ist diese Zuversicht von Jesu Wort: "Euch aber, meinen Freunden, sage ich: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, danach aber nichts weiter tun können!" (Lk 12,4)
Für den christlichen Glauben und die Haltung gegenüber dem Leben und Sterben ist das Wissen um das "danach", von dem Jesus spricht, ganz entscheidend: Der Tod bedeutet für Gottes Macht und Liebe keine Grenze. Diesen Gedanken beschreibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom folgendermaßen:
"Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert. (…) Ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn." (Röm 8,35.38f)
Um diese Erfahrung geht es auch im Petrusbrief. Dabei will der Brief die Christen angesichts der aktuellen Bedrängnisse keineswegs auf ein zukünftiges Wohlergehen vertrösten, sondern er ruft ihnen mit den Worten der Bergpredigt genau für die Situation, in der sie sich jetzt befinden, die Seligpreisung zu: "Wenn ihr um der Gerechtigkeit willen leidet, seid ihr seligzupreisen" (V. 14, vgl. Mt 5,10). Der Brief spricht die Haltung und das Handeln der Christen in der Gegenwart an; durch ihre Lebens- und Leidensgemeinschaft mit Christus erhalten sie jetzt schon das Prädikat "selig". Seligkeit ist ein Begriff, der in der klassischen Antike einen Zustand beschrieb, der allein den Göttern vorbehalten war. Im biblischen Sprachgebrauch, sowohl im Alten wie im Neuen Testament, wird die Seligkeit Menschen zugesprochen, die Gottes Nähe suchen und die in seine Gegenwart hineingenommen sind (vgl. Psalm 1; Lk 11,28).
Deshalb sind die Christen in ihrem Leiden keineswegs "passiv":
"Heiligt in eurem Herzen Christus, den Herrn! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt." (1 Petr 3,15)
Rechenschaft geben über die Hoffnung
Bei der Wendung: Christus "im Herzen heiligen", handelt es sich um eine Formulierung, die auch im Alten Testament begegnet, wenn es darum geht auszudrücken, dass das Volk Israel Gott anerkennen und ihm Ehrfurcht bezeugen soll (z.B. Jes 29,23). Diese Anerkennung Jesu Christi ereignet sich "im Herzen". Damit ist der ganze Mensch gemeint. Wenn Christus, der wesentlich Heilige, im Herzen anerkannt wird, macht er den Menschen zum "Heiligen" und bewahrt ihn in der Gemeinschaft mit Gott.
Die Aufforderung hat auch eine christologische Dimension: Mit ihrer ganzen Existenz sollen die Christen Christus als den "Herrn" bekennen und bezeugen. Der "Herr" (griechisch: kyrios) war in der Übersetzung der hebräischen Bibel in die griechische Sprache das Wort, mit dem der für Juden nicht auszusprechende Gottesname JHWH wiedergegeben wurde. Das neutestamentliche Bekenntnis zu Christus als dem "Herrn" muss vor diesem Hintergrund gesehen werden. Er ist von Ewigkeit her Gott, sagt der erste Petrusbrief an anderer Stelle (vgl. 1 Petr 1,11.20).
Dieses Bekenntnis kann von den Christen zu jeder Zeit und in jeder Situation gefordert werden; sie sollen "stets bereit" sein, jedem "Rede und Antwort zu stehen", der "Rechenschaft" fordert, und zwar über ihre Hoffnung. Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Brief hier den Begriff "Hoffnung" verwendet und nicht etwa "Glauben". Obgleich beide Begriffe in ihrer neutestamentlichen Bedeutung nahezu austauschbar sind, liegt bei der "Hoffnung" der Akzent vielleicht ein bisschen stärker auf der lebensgestaltenden Kraft des Glaubens. Hoffnung kann als die Ausstrahlungskraft des Glaubens beschrieben werden. Papst Benedikt XVI. schreibt zu Beginn seiner Hoffnungsenzyklika:
Uns wurde "Hoffnung geschenkt (…), eine verlässliche Hoffnung, von der her wir unsere Gegenwart bewältigen können: Gegenwart, auch mühsame Gegenwart, kann gelebt und angenommen werden, wenn sie auf ein Ziel zuführt und wenn wir dieses Ziels gewiss sein können; wenn dies Ziel so groß ist, dass es die Anstrengung des Weges rechtfertigt" (Spe salvi 1).
Logik der Hoffnung
Beachtenswert scheint mir die Tatsache, dass der Petrusbrief es nicht bloß für möglich, sondern sogar für notwendig hält, dass Christen in der Lage sind, ihre Hoffnung zu kommunizieren. Im griechischen Text findet sich eine Art Wortspiel: Von den Christen wird "logos" gefordert, und sie geben dem Fordernden "apo-logia". Es geht um die "Logik" der Hoffnung. Und diese Logik charakterisiert der Petrusbrief folgendermaßen:
"Antwortet aber bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen, damit jene, die euren rechtschaffenen Lebenswandel in Christus in schlechten Ruf bringen, wegen ihrer Verleumdungen beschämt werden." (1 Petr 3,16)
Hinter dem Wort "bescheiden" steht das griechische Wort "praüs", das im Neuen Testament sowohl als Selbstaussage Jesu begegnet: "Lernt von mir, denn ich bin gütig (praüs) und von Herzen demütig" (Mt 11,29), als auch in der dritten Seligpreisung der Bergpredigt: "Selig die Sanftmütigen (praeis); denn sie werden das Land erben" (Mt 5,5). Die Antwort der Christen auf die Herausforderung ihrer Umwelt hat das Gesicht von Güte und Sanftmut, von Freundlichkeit und Gewaltlosigkeit. Zudem soll ihre Antwort "ehrfürchtig" sein; hier steht der Begriff der "Furcht" im Hintergrund, der – wie wir bereits gesehen hatten – die Haltung gegenüber Gott kennzeichnet, nicht die Furcht vor Menschen, die der Brief ja ausdrücklich ausschließt.
Damit hat die "Apologie" der Christen eine doppelte Ausrichtung: auf die Menschen und auf Gott. Die "Furcht vor Gott", von der die Antwort der Christen erfüllt ist, bringt das Bewusstsein ihrer Verantwortung vor Gott zum Ausdruck in Bezug auf das, was sie als ihre Hoffnung verkünden. Im ersten Korintherbrief kritisiert Paulus, dass manche der Christen in Korinth das, was die Hoffnung der Christen wesentlich ausmacht, so verkürzt haben, dass sie den Glauben und sich selbst der Lächerlichkeit preisgeben: "Wenn wir allein für dieses Leben unsere Hoffnung auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran als alle anderen Menschen." (1 Kor 15,19)
"Rechtschaffener Lebenswandel"
Beide Aspekte der christlichen Antwort, "bescheiden und ehrfürchtig", drücken sich schließlich ganz konkret in einem entsprechenden Lebenswandel aus und werden im Alltag sichtbar. Die christliche Lebensweise bezeichnet der Brief als "rechtschaffenen Lebenswandel"; im griechischen Text steht hier dasselbe Wort wie oben in Vers 13: "sich um das Gute bemühen". Rechtschaffen, gut, ist das Leben der Christen deshalb, weil sie es "in Christus" führen. Das ist eine Formel, die Paulus geprägt hat und in seinen Briefen mehr als 160 Mal verwendet: Christen "existieren in Christus", weil alles in Christus erschaffen ist (vgl. Kol 1,16), weil in Christus alle erlöst sind (vgl. Röm 3,24) und weil Christus als der erhöhte Herr in seinem Geist gegenwärtig ist und alle und alles erfüllt (vgl. 2 Kor 3,17). Weil die Christen, so der erste Petrusbrief, ihr Leben ganz in Gemeinschaft mit Christus führen, ist ihr Lebenswandel gut. Nicht, weil sie gut sind, sind sie Christen, sondern weil Christus in ihnen ist, sind sie gut.
Der Abschnitt schließt mit einem Satz, der in ganz ähnlicher Gestalt bereits im Abschnitt über die christlichen Sklaven begegnete (vgl. 1 Petr 2,20):
"Denn es ist besser, für gute Taten zu leiden, wenn es Gottes Wille ist, als für böse." (1 Petr 3,17)
Hier formuliert der Petrusbrief ein Prinzip, das ebenfalls aus der philosophischen Ethik bekannt ist; auf Sokrates geht die Einsicht zurück: "Es ist besser, Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun." (Gorgias 508) In der christlichen Ethik wird diese moralische Überzeugung so umgewandelt, dass sie einen neuen Begründungszusammenhang bekommt: den Willen Gottes. Gott, "der Gute", ist der Ausgangs- und Zielpunkt des christlichen Handelns und des guten Lebenswandels.