Zusammen mit dem Abschnitt aus dem Römerbrief (Röm 13,1-7), der folgendermaßen beginnt: "Jeder ordne sich den Trägern der staatlichen Gewalt unter. Denn es gibt keine staatliche Gewalt außer von Gott; die jetzt bestehen, sind von Gott eingesetzt" (Röm 13,1), gehören die Verse 1 Petr 2,13f mit ihrer erstaunlich positiven Haltung gegenüber dem Staat zu jenen neutestamentlichen Texten, die auf heutige Leser höchst fragwürdig wirken:
13 Unterwerft euch um des Herrn willen jeder menschlichen Ordnung: dem Kaiser, weil er über allen steht, 14 den Statthaltern, weil sie von ihm entsandt sind, um die zu bestrafen, die Böses tun, und die auszuzeichnen, die Gutes tun! (1 Petr 2,13f)
Wie aus dem Kontext des Abschnitts im Römerbrief hervorgeht, setzt Paulus bei seiner Aufforderung an die Christen, sich den Trägern der staatlichen Gewalt unterzuordnen, einen Rechtsstaat voraus; diktatorische Regimes mit menschen- und freiheitsverachtendem totalitären Anspruch hat er nicht vor Augen. Ähnliches lässt sich auch bei der Passage aus dem ersten Petrusbrief feststellen.
Zusammenhang von Schöpfungsordnung und politischer Ordnung
Das zeigt sich bei einem näheren Blick auf die Wortwahl im griechischen Text: Der in der deutschen Übersetzung in V. 13 mit "Ordnung" wiedergegebene Begriff, ktisis, wird in allen neutestamentlichen Schriften immer nur im Zusammenhang mit dem göttlichen Schaffen verwendet (vgl. Mk 13,19; Eph 3,9; Offb 4,11). Gemeint ist daher ungefähr folgender Sinn: Weil Gott der Herr der Schöpfung ist und den Kosmos, also die Weltordnung, geschaffen hat, hängt jede (gute) menschliche Ordnung mit seinem Schöpfersein zusammen und bildet seinen Schöpferwillen ab. Das gilt auch für einen heidnischen Staat, weil Gott als Schöpfer der Welt und Herr der Geschichte auch der Herr über alle Völker und ihre Herrscher ist.
Im Alten Testament wird diese Vorstellung an der Bezeichnung des – heidnischen – Perserkönigs Kyros als "Gesalbter Gottes" deutlich (vgl. Jes 45,1). Darum bedeutet die Unterwerfung unter diese menschliche Ordnung im Grunde eine Anerkennung jener Ordnung Gottes, die er in seine Schöpfung gelegt hat. Gottes Schöpfung ist Kosmos, Ordnung, und nicht Chaos. Darum anerkennt der Petrusbrief die gesellschaftliche Organisation im Staat mit seiner hierarchischen Struktur von Kaiser und Statthaltern als grundlegende Ordnung für alle Menschen und versteht den Staat als Schützer des Rechts und als Wahrer der gottgesetzten Ordnung. Deshalb wird an die staatliche Gewalt auch der Anspruch gestellt, dass sie zwischen Gut und Böse unterscheiden kann und das auch tut. So argumentiert ebenfalls Paulus im Römerbrief (vgl. Röm 13,4).
Zum Prinzip der Ordnung gehört wesentlich eine Ethik, die dieser Ordnung, das heißt im Grunde der göttlichen Ursprungsordnung, entspricht. Jedenfalls ist dieses Verständnis der staatlichen Ordnung das "theologische" Fundament für die grundsätzlich positive Haltung der Christen gegenüber einer staatlichen Verfassung und ihrer Macht.
"Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!"
Der erste Petrusbrief nimmt aber sehr deutlich auch das praktische Problem in den Blick, dass die Christen in Staat und Öffentlichkeit nicht fair behandelt werden und fährt fort:
15 Denn es ist der Wille Gottes, dass ihr durch eure guten Taten die Unwissenheit unverständiger Menschen zum Schweigen bringt. (1 Petr 2,15)
"Unwissenheit" und "Unverstand" klingen fast wie eine Entschuldigung der staatlichen Benachteiligung und gesellschaftlichen Diskriminierung, der die Christen ausgesetzt sind. Zumindest unterstellt der Verfasser des Briefes hier dem Staat noch keine böse beziehungsweise feindliche Absicht gegenüber den Christen. Er sieht als Ursache für das Verhalten der Heiden ein Defizit an Wissen und Verständnis, aber keine Bosheit. Möglicherweise lässt sich mit dieser Erklärung die Vergebungsbitte Jesu am Kreuz assoziieren: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!" (Lk 23,34) Bemerkenswert ist die Aufforderung an die Christen, dem Verhalten ihrer Umwelt mit "guten Taten" entgegenzutreten. Das bringt ein deeskalierendes Moment in die angespannte Beziehung. Im Hintergrund dürfte das Gebot der Feindesliebe stehen, das in der Fassung des Lukasevangeliums hier fast wörtlich anklingt: "Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen!" (Lk 6,27)
Im weiteren Verlauf des Briefes, besonders in den Kapiteln 3 und 4, wird allerdings auch deutlich, dass der Verfasser sehr mit der Frage ringt, wie es zu beurteilen ist, dass der Staat, dessen Aufgabe die Wahrung des Rechtes ist, die Christen ungerecht verurteilt. Schließlich steht am Schluss des Schreibens sogar die Identifikation der Hauptstadt des römischen Imperiums mit der ausdrücklich gottfeindlichen Macht, die in den biblischen Schriften mit der Chiffre "Babylon" benannt ist (vgl. 1 Petr 5,13). Damit ist der Petrusbrief schon sehr nahe am Urteil der Johannesoffenbarung über das römische Reich, das ebenfalls mit Babylon chiffriert wird (vgl. Offb 17), aber auch als ein "Tier" gezeichnet wird, dessen Macht ihm vom Satan gegeben ist (vgl. Offb 13).
Aber auch schon hier in Kapitel 2 zeigt der Verfasser des Briefes, dass die eingangs geforderte Unterwerfung unter die staatliche Ordnung die Christen nicht in Unfreiheit zwängt:
16 Handelt als Freie, ohne die Freiheit als Deckmantel der Bosheit zu benutzen, sondern als Knechte Gottes! (1 Petr 2,16)
Christen als "freie Knechte" Gottes
"Handelt als Freie!" – Damit meint Petrus die innere Freiheit der Christen gegenüber jedem Machtanspruch, der nicht von Gott selbst kommt. Die christliche Freiheit ist darin begründet, dass Christen "Knechte Gottes" beziehungsweise wörtlich "Sklaven Gottes" sind. Das mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, und mit einem modernen Autonomieverständnis ist dieses biblische Menschenbild auch tatsächlich kaum vereinbar. Schon im antiken Denken konnten Freiheit und Abhängigkeit, wie sie das biblische Gottesverhältnis beschreibt, nicht zusammengebracht werden; in Platons Dialog "Gorgias" äußert Kallikles sich gegenüber Sokrates entsprechend: "Wie könnte der glücklich sein, der irgend jemand dient!" (Gorg. 491). Das biblische Menschenbild allerdings betont die Geschöpflichkeit des Menschen, und gerade deswegen, weil er geschaffen ist von dem ganz freien Gott und ihm gehört, hat kein anderes Geschöpf Macht über den Menschen, also auch keine politische, wirtschaftliche oder weltanschauliche Macht. Je intensiver der Mensch seine Bindung an Gott realisiert, desto freier ist er von allen Mächten und Götzen dieser Welt (vgl. 1 Kor 8,5f).
Vor allem aber bewirkt die Zugehörigkeit zu Gott die Freiheit von der Sünde, wie Paulus im Brief an die Römer ausführt: "Jetzt aber, da ihr aus der Macht der Sünde befreit und zu Sklaven Gottes geworden seid, habt ihr eine Frucht, die zu eurer Heiligung führt und das ewige Leben bringt." (Röm 6,22) Entsprechend mahnt der Petrusbrief deshalb, diese Freiheit nicht zu missbrauchen, um mit der Berufung auf sie böses Verhalten zu kaschieren. Christliche Freiheit gründet und äußert sich in der Gemeinschaft mit Christus. Paulus bringt das auf den Punkt: "Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit." (2 Kor 3,17) Das Freiheitsverständnis des ersten Petrusbriefs hängt eng mit der paulinischen Theologie der Freiheit zusammen.
Vers 17 spricht die Grundlinien des Verhaltens der Christen in der Öffentlichkeit noch einmal zusammenfassend und zugleich deutlich differenzierend an:
17 Erweist allen Menschen Ehre, liebt die Brüder und Schwestern, fürchtet Gott und ehrt den Kaiser! (1 Petr 2,17)
In diesem Satz werden zwei Gruppen jeweils polar einander zugeordnet: "alle Menschen" und die "Brüder und Schwestern", sowie "Gott" und der "Kaiser". Gegenüber diesen unterschiedlichen Gruppen wird ein jeweils entsprechendes Verhalten gefordert. "Ehre" soll allen Menschen entgegengebracht werden, das heißt, es geht um die gebührende Anerkennung des jeweiligen gesellschaftlichen Ranges und um die Achtung und Wertschätzung eines jeden Menschen als Mensch. Das zugrundeliegende griechische Wort ist das Verb timao, das auch im vierten Gebot zum Zuge kommt: "Ehre deinen Vater und deine Mutter" (Dtn 5,16). "Liebe" dagegen ist den christlichen Brüdern und Schwestern vorbehalten. Im griechische Text steht anstelle der "Brüder und Schwestern" der Begriff adelphotes, was so viel wie "Bruderschaft" oder "Gemeinschaft" bedeutet.
Unterscheidung von Ehre und Furcht
Die Liebe richtet sich auf die Gemeinschaft der Glaubenden und von ihr her wird sie jedem und jeder einzelnen als Glied dieser Gemeinschaft zuteil. Schließlich unterscheidet der Petrusbrief sehr deutlich zwischen der Haltung gegenüber Gott und dem Kaiser. Den Kaiser sollen die Christen "ehren" – es ist das identische Wort wie oben bei "allen". Das heißt, der Kaiser steht auf derselben Stufe wie alle übrigen Menschen, und die Ehre gebührt ihm in Bezug auf sein Amt. Das richtige Verhalten gegenüber Gott dagegen ist "Furcht". Im Matthäusevangelium ermutigt Jesus seine Jünger: "Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch eher vor dem, der Seele und Leib in der Hölle verderben kann!" (Mt 10,28) Mit der Unterscheidung von "Ehre" und "Furcht" zieht der erste Petrusbrief eine klare Grenze hin zu jeder Form von Menschenvergötterung und zum Kaiserkult.
Die grundsätzlich positive Haltung der Christen gegenüber dem Staat ist alles andere als naiv oder gar opportunistisch. Sie gründet in der Überzeugung, dass Gott als Schöpfer der Welt immer auch Herr ihrer Geschichte ist; der Staat spiegelt die göttliche Ordnung, aber dort, wo er sich gegen Gottes Ordnung und gegen Gottes Willen aufbäumt, ist für die Christen klar, wo ihre Position ist. Das zeigt auch sehr schön ein Fürbittgebet aus dem ersten Clemensbrief, einer frühchristlichen Schrift, die vermutlich etwa zur selben Zeit wie der erste Petrusbrief entstanden ist:
Du, Herr, hast ihnen die Befugnis zur Königsherrschaft gegeben durch deine erhabene und unaussprechliche Macht, damit wir erkennen die von dir ihnen gegebene Herrlichkeit und Ehre, uns ihnen unterzuordnen, keineswegs aber deinem Willen zu widersprechen; schenke ihnen, Herr, Gesundheit, Frieden, Einigkeit und Stärke, damit sie ohne Anstoß ihre von dir verliehene Herrschaft ausüben. (1 Clem 61,1)