Hirten und Herde"... damit ihr seinen Spuren folgt": Der erste Petrusbrief

Schon im Urchristentum spielten Ämter eine wichtige Rolle. Welche Pflichten hatten die Gemeindevorsteher? Und welche Haltung der Gemeindemitglieder wurde erwartet bzw. als wahrhaft christlich betrachtet? Hier bietet der 1. Petrusbrief eine interessante Momentaufnahme der kirchlichen Ämterentwicklung.

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Das fünfte und letzte Kapitel des ersten Petrusbriefs verlässt für einen kurzen Moment das Thema "Leiden" und wendet sich den Strukturen innerhalb der Gemeinde zu. Der Beginn dieses Kapitels, 1 Petr 5,1-7, lässt einige Rückschlüsse auf das Amtsverständnis zu, das sich in diesem Brief spiegelt. Es geht sowohl um die Frage nach den Pflichten der Gemeindevorsteher – hier als "Älteste", Presbyter bezeichnet –, als auch um die Haltung der Gemeindemitglieder ihren Vorstehern gegenüber:

Eure Ältesten ermahne ich, als Mitältester und Zeuge der Leiden Christi, der auch an der Herrlichkeit teilhaben soll, die sich offenbaren wird. (1 Petr 5,1)

Der griechische Begriff "Presbyter", wörtlich "die Ältesten", bezieht sich nicht auf das Lebensalter, sondern er ist eine Aufgaben- beziehungsweise Amtsbezeichnung, die ihren Ursprung in der Struktur der jüdischen Gemeinde hat: Der sogenannte "Ältestenrat", das Presbyterium, war das Leitungs- und Entscheidungsgremium der Synagogengemeinde. Die neutestamentlichen Schriften übernehmen diesen Begriff, um Leitungsfunktionen in der christlichen Gemeinde zu benennen. Neben den Presbytern begegnen im Neuen Testament auch die sogenannten Episkopen, in der Einheitsübersetzung von 1980 noch mit "Bischöfe" übersetzt (vgl. Phil 1,1; im Singular: 1 Tim 3,2).

Momentaufnahme der kirchlichen Ämterentwicklung

Dieser Begriff kommt ursprünglich aus dem hellenistischen Vereinswesen und bezeichnet jemanden mit administrativer Funktion. Er wird im Neuen Testament alternativ und ergänzend zur Bezeichnung Presbyter gebraucht. Ganz klar voneinander abgegrenzt sind in den biblischen Schriften die Aufgaben und die Zuordnung von Episkopos und Presbyter nicht. Die Texte des Neuen Testaments bilden eine Art "Momentaufnahme" innerhalb der Ämterentwicklung in der Kirche ab, die als eine bemerkenswert rasche und sehr einheitliche Entwicklung in der Mitte des zweiten Jahrhunderts mit dem dreistufigen Amt "Diakon – Presbyter – Episkopos" voll ausgeprägt war. Da die Kanongrenze eine dogmatische, aber keine historische ist, haben frühe außerbiblische Schriften wie zum Beispiel der erste Clemensbrief (95 n. Chr.), der vielleicht zeitgleich mit dem ersten Petrusbrief entstanden ist, für das historische Verständnis der Ämterentwicklung keine geringere Zeugniskraft als die kanonischen Schriften. Im ersten Petrusbrief jedenfalls ist "Presbyter" die Amtsbezeichnung für die Vorsteher der Gemeinde, wobei die Ausübung der Leitungsaufgaben mit dem Verb episkopein (1 Petr 5,2) beschrieben wird.

Der Verfasser des Briefes hatte sich im Einleitungsgruß als "Petrus, Apostel Jesu Christi" vorgestellt (1 Petr 1,1). Hier zum Briefschluss hin bezeichnet er sich als "Mitältester". Damit stellt der Apostel sich an die Seite der "Ältesten" der Gemeinde. So zeigt er einerseits, dass die Aufgaben der Presbyter, ihre Mühen und Sorgen auch die seinen sind. Anderseits aber stellt er mit dieser Selbstbezeichnung die Presbyter auch an seine Seite, das heißt, er stellt ihr Amt auf die Stufe seines Apostelamts. Der zweite Titel, den Petrus in seiner Anrede an die Presbyter der Gemeinde verwendet, ist "Zeuge der Leiden Christi".

Im Neuen Testament wird der Begriff "Zeuge" in einem doppelten Sinn verwendet: Zum einen für die Augenzeugenschaft, die in der Antike höchste Beweiskraft hatte. Der Evangelist Lukas etwa beruft sich im Vorwort seines Evangeliums auf die Augenzeugen der Geschichte Jesu, die für die "Zuverlässigkeit" seiner Darstellung bürgen (vgl. Lk 1,2f). Zum anderen ist der Zeuge, griechisch martys, derjenige, der mit seiner ganzen Existenz bekennend und werbend für die Sache, die er bezeigt, eintritt. Wenn Petrus sich als "Augenzeuge der Leiden Christi" präsentiert, fließen beide Bedeutungen der Zeugenschaft zusammen: Er hat alles mit eigenen Augen gesehen, und er tritt mit seinem Leben für diese Wahrheit ein. Das verleiht ihm besondere Autorität, die er bei seinen Mahnungen an die Gemeindeleiter und die Gemeindeglieder ins Spiel bringt:

Weidet die euch anvertraute Herde Gottes, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie Gott es will; auch nicht aus Gewinnsucht, sondern mit Hingabe; seid nicht Beherrscher der Gemeinden, sondern Vorbilder für die Herde! (1 Petr 5,2f)

"Weide meine Schafe!"

In 1 Petr 2,25 hatte der Brief Christus selbst als den "Hirten und Hüter eurer Seelen" vorgestellt. Die Presbyter tragen seine Aufgabe; das Leitungsamt besteht darin zu hüten, die "Herde Gottes zu weiden". Diese Metapher kommt im Neuen Testament auch an anderen Stellen und bei ganz verschiedenen Autoren vor: In der Apostelgeschichte erteilt Paulus den Presbytern der Gemeinde von Ephesus den Auftrag:

Gebt Acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Vorstehern bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche des Herrn sorgt, die er sich durch sein eigenes Blut erworben hat! (Apg 20,28)

Im Brief an die Epheser bezieht sich der Verfasser auf Jesus selbst, der "die einen als Apostel einsetzte, andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer" (Eph 4,11). Schließlich überliefert der Evangelist Johannes genau diesen Auftrag Jesu an Petrus: "Weide meine Schafe!" (Joh 21,16)

Die Mahnungen, die der Petrusbrief den Presbytern erteilt, werfen ein Licht auf die Umstände, die dieses Amt offensichtlich mit sich brachte. Sie sollen ihren Dienst "freiwillig" tun, könnte als ein Hinweis darauf gelesen werden, dass das Leitungsamt durchaus als eine Bürde empfunden wurde, vielleicht weil es in Zeiten der Verfolgung für seinen Träger lebensgefährlich war oder aber auch, weil damit zahlreiche Pflichten verbunden waren, die sich auf längere Zeit als lästig und kräftezehrend erwiesen. Diese Mahnung zur "Freiwilligkeit" deutet darauf hin, dass das Amt offenbar auf Dauer verliehen wurde. Überdies sollen die Amtsträger nicht gewinnsüchtig sein. Diese Warnung lässt darauf schließen, dass es durchaus die Möglichkeit und auch die Versuchung gab, sich am Amt persönlich zu bereichern. Die Mahnung entspricht der Forderung in den Pastoralbriefen, der Episkopos solle uneigennützig und frei von Habsucht sein (vgl. 1 Tim 3,3; Tit 1,7.11).

Vorbildliche Amtsträger

Auch die Didache, eine christliche Schrift vom Ende des 1. oder Anfang des 2. Jahrhunderts, betont, dass "Geldgier", womit wahrscheinlich auch das Verlangen nach sozialem Aufstieg und Prestige gemeint ist, ein Ausschlusskriterium für die Besetzung eines kirchlichen Leitungsamts ist: "Wählt euch Bischöfe und Diakone, würdig des Herrn, Männer, mild und ohne Geldgier und wahrhaftig und erprobt." (Did 15,1) Die der Gewinnsucht entgegengesetzte Haltung, hier mit "Hingabe" übersetzt, bedeutet soviel wie "Bereitschaft sich einzusetzen", und zwar mit innerer Begeisterung. Der Amtsträger soll in seinem Führungsstil "Vorbild" sein, und nicht "Beherrscher". Das zugrundeliegende griechische Wort für "beherrschen", katakyrieuein, verwendet Jesus, um den absoluten Kontrast zwischen weltlichen Machtzusammenhängen und kirchlicher Herrschaft zu benennen:

Da rief Jesus seine Jünger zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken (katakyrieuein) und die Großen ihre Vollmacht gegen sie gebrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. (Mt 20,25-27)

Dienstbereitschaft und Hingabe treten an die Stelle von Macht, Gewalt, Unterdrückung und Missbrauch. Jesus gibt seinen Jüngern übrigens genau genommen keine Anweisung, sondern er stellt einen Zustand fest, wörtlich heißt es: "Bei euch ist es nicht so." – Und wo es doch so ist, da sind nicht die Jünger Jesu. Die Aufgabe, Vorbild zu sein, hat auch für den Apostel Paulus große Bedeutung für sein Selbstverständnis: "Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme!" (1 Kor 11,1) Das "Vorbild", das der Amtsträger darstellen soll, ist schließlich Jesus Christus selbst, der im Petrusbrief als der "Erzhirte" vorgestellt wird:

Wenn dann der oberste Hirt erscheint, werdet ihr den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen. (1 Petr 5,4)

"Ordnet euch den Ältesten unter!"

Nur an dieser Stelle im ganzen Neuen Testament kommt diese Bezeichnung für Jesus Christus, "Erzhirte" bzw. "oberster Hirt", vor. Eine vergleichbare Formulierung kennt der Hebräerbrief, der von Jesus als dem "großen, erhabenen Hirten" spricht (Hebr 13,20). Er wird den guten Hirten seiner Kirche den "nie verwelkenden Kranz" überreichen.

In der Antike wurden erfolgreiche Sieger bei sportlichen Wettkämpfen, aber auch hervorragende städtische Beamte für ihre administrativen Tätigkeiten mit einem Kranz geehrt. Diese Symbolik übernehmen die biblischen Schriften und setzen den Kranz als Bild für Ehre, Belohnung und Herrlichkeit ein (vgl. Jes 28,5; Sir 47,6; 2 Tim 4,8; Offb 2,10 u.a.). Im zweiten Teil des Abschnitts über die Gemeindestruktur wendet sich der Brief einer weiteren besonderen Gruppe innerhalb der Gemeinde zu:

Sodann, ihr Jüngeren: Ordnet euch den Ältesten unter! Alle aber begegnet einander in Demut! Denn Gott tritt Stolzen entgegen, Demütigen aber schenkt er seine Gnade. (1 Petr 5,5)

Obgleich der Brief den Begriff für die "Älteren" als Bezeichnung für die Amtsträger verwendet, sind mit den "Jüngeren" offensichtlich tatsächlich die jungen Leute in der christlichen Gemeinde gemeint. In den Pastoralbriefen gibt es ähnliche Formulierungen (vgl. 1 Tim 5,1f; Tit 2,6) und auch im Brief des Bischofs Polykarp von Smyrna († 155) an die Christen in Philippi: "Desgleichen (sollen) auch die jungen Leute untadelig (sein) in allem (…) im Gehorsam gegen die Presbyter und die Diakone wie gegen Gott und Christus." (Pol Phil 5,3)

Demut als entscheidende Tugend

Der Auftrag an die jungen Leute ist ihre Bereitschaft zur Unterordnung unter das kirchliche Leitungsamt. Diese Unterordnung vollzieht sich im Rahmen der Haltung, die von beiden Seiten gefordert, mit dem Wort tapeinophrosyne bzw. tapeinos ausgedrückt und mit "Demut" übersetzt ist. Dieser Begriff und seine Bedeutung als die charakteristische Eigenschaft und Haltung Jesu selbst wurde bereits im Beitrag zu 1 Petr 3,8-12 besprochen. Hier in diesem Zusammenhang verwendet, weist er darauf hin, dass Demut die entscheidende christliche Tugend ist und je nach Aufgabe in der Kirche ihre spezifische Ausdrucksform verlangt.

Der Petrusbrief untermauert die Bedeutung der Demut noch durch ein Schriftzitat aus dem Alten Testament (vgl. Spr 3,34), das ebenfalls im Jakobusbrief herangezogen wird, um den Wert der Demut in den Augen Gottes auszusagen (vgl. Jak 4,6). Demut spiegelt einerseits die Haltung wider, die den gegenseitigen Umgang der Christen prägt, anderseits ist sie auch die Haltung, die alle in der Kirche Gott entgegenbringen:

Beugt euch also in Demut unter die mächtige Hand Gottes, damit er euch erhöht, wenn die Zeit gekommen ist! Werft alle eure Sorge auf ihn, denn er kümmert sich um euch! (1 Petr 5,6f)

Die "Hand Gottes" steht im Alten Testament sowohl für den Schutz, den Gott gewährt, als auch für die Züchtigung und Strafe, die von ihm ausgeht (vgl. Psalm 18,36; 32,4). Im Petrusbrief scheinen beide Aspekte zum Zuge zu kommen. Bemerkungen wie in 1 Petr 4,19: "Darum sollen alle, die nach dem Willen Gottes leiden müssen, Gutes tun und dadurch ihr Leben dem treuen Schöpfer anbefehlen", zeigen, dass Gottes Hand als auf der Gemeinde schwer lastend empfunden wurde (vgl. ebf. 1 Petr 1,6; 3,17). Zugleich macht der Brief aber die eschatologische Perspektive stark; er ist sich ganz sicher, dass Gott letztlich nicht niederdrücken, sondern "erhöhen" (V. 6) wird, und dass alle Sorge bei ihm aufgehoben ist (V. 7).

Wer zutiefst auf Gott vertraut, muss sich keine Sorgen machen. Das wusste schon der Psalmist: "Wirf deine Sorge auf den Herrn, er wird dich erhalten! Niemals lässt er den Gerechten wanken" (Ps 55,23), und Jesus legt das Vertrauen auf Gott seinen Jüngern ans Herz:

Deswegen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen oder trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt! (…) Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn nach alldem streben die Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. (Mt 6,25.32f)

Mit diesem Aufruf zur Zuversicht mitten in der Bedrängnis leitet der Brief dann in den Schlussteil über.

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