Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit"... damit ihr seinen Spuren folgt": Der erste Petrusbrief

In dieser Passage kontrastiert der Brief die heidnische, lasterhafte Lebensweise mit dem neuen, ganz auf Gott ausgerichteten Leben der Christen. Ein Zurück in die frühere Welt gibt es für sie nicht mehr. Sie werden vielmehr zum Störfaktor hedonistischer Selbstbezogenheit.

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"Lange genug habt ihr in der Vergangenheit getan, was die Heiden wollen" (1 Petr 4,3). Der Abschnitt 1 Petr 4,1-6 offenbart deutlich, dass die Adressaten des ersten Petrusbriefs keine jüdischen Wurzeln haben, sondern "Heidenchristen" sind. Während für Christen, die aus der jüdischen Tradition kommen, die Vorstellung und die Erfahrung vom "Leiden der Frommen" etwas Vertrautes gewesen sein wird, weil sie fest in der Geschichte und in den Heiligen Schriften Israels verankert ist, wie insbesondere die Psalmen, das Buch Hiob oder auch die Prophetenbücher Jeremia und Jesaja bezeugen, müssen sich die Christen, die sich "von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen" (1 Thess 1,9), auf eine völlig neue Erfahrung einstellen: Dass sie wegen ihres Glaubens diskriminiert, gehasst und verfolgt werden.

Konfrontation mit heidnischer Vergangenheit

Die Auseinandersetzung mit der Erfahrung von Leiden aufgrund der Zugehörigkeit zur Kirche erweist sich als das durchgängige Thema des ersten Petrusbriefs. Der Brief deutet das Leiden der Christen von ihrer existenziellen Verbundenheit mit Christus her, und zwar mit Blick auf verschiedene Situationen (Christen und Staat) und Personengruppen (Sklaven, Frauen). Das Besondere des folgenden Abschnitts, 1 Petr 4,1-6, besteht darin, dass der Autor die Christen mit ihrer heidnischen Vergangenheit konfrontiert und den Sinn ihres Leidens unter dem Aspekt zu erschließen sucht, dass ihre neue Lebensorientierung dem Willen Gottes entspricht:

1 Da Christus im Fleisch gelitten hat, wappnet auch ihr euch mit diesem Gedanken, denn wer im Fleisch gelitten hat, für den hat die Sünde ein Ende. 2 Darum richtet euch, solange ihr noch auf Erden lebt, nicht mehr nach den menschlichen Begierden, sondern nach dem Willen Gottes! (1 Petr 4,1f)

Der Brief stellt seinen Adressaten wiederum Christus als Vorbild vor Augen, knüpft thematisch an die christologische Passage 1 Petr 3,18-22 an und zeigt hier die Konsequenzen der Leidensgemeinschaft von Christus und den Christen auf. Hinter der Aussage: "Wer im Fleisch gelitten hat, für den hat die Sünde ein Ende", steht der Sprachgebrauch aus der paulinischen Theologie, dem gemäß das "Fleisch" der Sitz der Sünde im Menschen ist. Paulus unterscheidet zwischen "Fleisch" und "Geist", wobei der Apostel mit "Fleisch" keineswegs allein die körperlich-materielle Dimension des Menschen meint. Ein solches Verständnis wäre eine Engführung des paulinischen Menschenbilds. Vielmehr verwendet Paulus den Begriff "Fleisch", um all jenes Streben und Trachten des Menschen zu bezeichnen, das sich nicht vom Geist Gottes leiten lässt, sondern egoistischen Motiven entspringt.

Leiden als Weg zu aus der Selbstbezogenheit

Mit "Fleisch" ist der Mensch in seinem Wollen und Handeln bezeichnet, insofern er mit allen Kräften danach strebt, Schmerz zu vermeiden und Lust zu gewinnen. Leiden passt nicht in dieses Konzept, es ist etwas, das von Natur aus gemieden wird. Der Glaube an Christus transformiert den Menschen von seiner "fleischlichen" Existenz in die "geistliche". Eine ganz ähnlich Aussage wie hier im Petrusbrief findet sich im Galaterbrief: "Die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt. Wenn wir im Geist leben, lasst uns auch im Geist wandeln!" (Gal 5,24f)

Der erste Petrusbrief sieht im Leiden einen Weg, der den Menschen zum Willen Gottes hinführt und ihn aus seiner Selbstbezogenheit befreit; er wird frei von der "Sünde", das heißt von dem, was ihn von Gottes Willen und Gottes Liebe fernhält. Vorbild für diesen "Transformationsprozess" ist Christus selbst: Er "hat im Fleisch gelitten". Obgleich alle neutestamentlichen Schriften – wie wir bereits gesehen hatten – an der Sündelosigkeit Jesu fraglos festhalten, spielt der Gedanke, dass Jesus durch sein Leiden mit dem Willen Gottes vertraut gemacht wurde, eine wichtige Rolle: "Obwohl er der Sohn war, hat er durch das, was er gelitten hat, den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden" (Hebr 5,8).

So deutet der Hebräerbrief das Leiden Jesu und drückt zugleich – genau wie der Petrusbrief – aus, dass allein das Leiden Jesu Christi erlösende Kraft hat, während das Leiden der Christen dann von der Sünde befreit, wenn es als Teilhabe an Christi Leiden verstanden und gelebt wird. Es wäre ein großes Missverständnis des christlichen Glaubens, würden Schmerz und Leid als Wert an sich oder gar als Instrument der Selbsterlösung "verherrlicht" werden, wie in der Denkspur von Friedrich Nietzsche bis in die Gegenwart hinein immer wieder über das Christentum gemutmaßt wird. Vielmehr, so zeichnet es der erste Petrusbrief, ist das Leiden Christi und der Christen die unvermeidbare, ja zwingende Folge ihrer Konfrontation mit allem menschlichen Denken und Handeln, das von Gott nichts wissen will und sich gegen Gottes Willen und seine Liebe richtet.

Kritik der heidnischen Lebensweise

Der Brief hebt die Erfahrung ins Wort, wie das Leben der Adressaten "ohne Gott" aussah: "Lange genug habt ihr in der vergangenen Zeit getan, was die Heiden wollen, und habt ein ausschweifendes Leben voller Begierden geführt, habt getrunken, geprasst, gezecht und frevelhaften Götzenkult getrieben." (1 Petr 4,3) Mit diesem sogenannten "Lasterkatalog" beschreibt der Petrusbrief die Denk- und Lebensweise der Heiden. Diese feste literarische Form des "Katalogs", also einer beispielhaften – nicht vollständigen – Aufzählung bestimmter Verhaltensweisen, kommt im Neuen Testament an vielen Stellen vor. Bei Paulus stehen ganz ähnliche Listen; im Römerbrief fordert er auf: "Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht!" (Röm 13,13), und im Brief an die Galater:

"Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid, maßloses Trinken und Essen und Ähnliches mehr" (Gal 5,19-21).

Die "Schnittmenge" aller drei Kataloge liegt in der Maßlosigkeit des Essens und Trinkens. Darin scheint nach Auffassung dieser Briefe also heidnische Lebensweise ganz besonders zum Ausdruck zu kommen. Warum ist das so? Ein Blick in die Evangelien zeigt, dass auch Jesus vor der Maßlosigkeit im Essen und Trinken warnt: "Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euer Herz nicht beschweren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht" (Lk 21,34).

Der Zusammenhang, in dem Jesus vor der "Maßlosigkeit" warnt – im griechischen Text des Evangeliums und der Briefe steht, auch wenn die deutsche Übersetzung verschiedene Wörter verwendet, immer derselbe Begriff –, ist die Aufforderung an seine Jünger, bereit zu sein für das Reich Gottes: "Sucht zuerst Gottes Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben" (Mt 6,34). Das maßlose Essen und Trinken zeigt die dem Reich Gottes entgegengesetzte Lebensorientierung an. Die "Neues Leben Bibel" (1990) gibt eine Bemerkung des Paulus in Phil 3,19 in diesem Sinne wieder:

"Ihr Gott ist ihr Bauch; sie sind stolz auf Dinge, für die sie sich schämen müssten, und denken an nichts anderes als an das Leben hier auf der Erde."

Von Fressgelagen und Orgien

Sicher überspitzt, aber ganz und gar nicht unrealistisch, vermittelt die Episode vom "Gastmahl des Trimalchio" aus dem Roman "Satyricon" des römischen Dichters Petronius – ein Zeitgenosse des Apostels Paulus – einen Eindruck vom Lebensgefühl der römischen Kaiserzeit, das sich in regelrechten Fressgelagen und Orgien Ausdruck verschafft. Maßlosigkeit im Essen und Trinken kann gewissermaßen als Symbol für eine Lebenseinstellung betrachtet werden, die mit Gott nicht rechnet und darum auch so etwas wie Verantwortung vor Gott und seiner Schöpfung nicht kennt.

Wir finden diese in der Antike verbreitete Philosophie, die den Genuss an oberste Stelle setzt und darin den Sinn des Lebens sucht oder vielleicht auch die Frage nach ihm zu betäuben sucht, auch im Gleichnis vom reichen Kornbauern, der – vom Evangelisten Lukas literarisch subtil in einen doppelten Monolog gekleidet – sagt: "Ich werde zu meiner Seele sagen: Seele, nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink und freue dich!" (Lk 12,19)

Heidnische Lebensweise kulminiert in der Ausrichtung des ganzen Lebens auf sich selbst. Die Christen werden, wie der Petrusbrief fortführt, offenbar als ein massiver Störfaktor dieser Selbstbezogenheit wahrgenommen: Darüber sind sie empört und sie lästern, weil ihr euch nicht mehr mittreiben lasst im Strom der Leidenschaften. (1 Petr 4,4) "Empörung" ist eine starke emotionale Reaktion; insofern beschreibt der Brief an dieser Stelle eine Form des antireligiösen Affekts. Die Existenz der Christen mitten in der heidnischen Gesellschaft löst ein aggressives Verhalten ihrer Umwelt aus. Das ist genau das Gegenteil zum Verhalten der Christen, die im Brief aufgefordert werden, über ihren Glauben "Rede und Antwort zu stehen" (1 Petr 3,15), also die Auseinandersetzung mit Kritik auf der rationalen Ebene zu suchen.

Antireligiöse Affekte

Das Phänomen des antireligiösen Affekts ist nicht neu. Das alttestamentliche Buch der Weisheit lässt die Frevler über den Gerechten sagen: "Er rühmt sich, die Erkenntnis Gottes zu besitzen, und nennt sich einen Knecht des Herrn. Er ist unserer Gesinnung ein Vorwurf, schon sein Anblick ist uns lästig; denn er führt ein Leben, das dem der andern nicht gleicht, und seine Wege sind grundverschieden." (Weish 2,13-15) Die Christen sind aus dem "Strom der Leidenschaften" ausgestiegen, sie machen nicht mehr mit, und das empfinden ihre Mitbürger offensichtlich als Kränkung; es folgen Verdächtigungen und Verleumdungen. Zwar verweigern die Heiden den rationalen Dialog mit den Christen, aber vor Gott werden sie sich letztlich verantworten müssen.

Von der Perspektive der Zukunft her blickt der Brief auf die Situation der Gegenwart und rückt sie ins richtige Licht: Aber sie werden vor dem Rechenschaft ablegen müssen, der schon bereitsteht, um die Lebenden und die Toten zu richten. (1 Petr 4,5) Mit der Vorstellung von Christus als dem Richter über Lebende und Tote greift der Petrusbrief auf eine biblische gebräuchliche Formel zurück (vgl. Röm 14,9; 2 Tim 4,1; Apg 10,42).

Die allumfassende und ausnahmslose Dimension des Gerichts bringt der Brief schließlich zum Ausdruck, indem er erneut betont, dass das Wort Gottes bis in die Unterwelt hineinreicht und seine Schöpfermacht an den Toten offenbart: Denn auch Toten ist das Evangelium dazu verkündet worden, dass sie zwar wie Menschen gerichtet werden im Fleisch, aber wie Gott das Leben haben im Geist. (1 Petr 4,6) Das christliche Leben unter dem Eindruck der nahen Vollendung der Welt wird dann das Thema im folgenden Abschnitt des Briefes sein.

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