Vom Sinn des Leidens"... damit ihr seinen Spuren folgt": Der erste Petrusbrief

Gott ist der Schöpfer der Welt. Deshalb ist ihm alles, was er geschaffen hat, nicht gleichgültig, sondern er behütet und erhält seine Schöpfung. Leiden interpretiert der Petrusbrief daher als Versuchung, auf welche Christen mit Treue, Zuversicht und dem Tun des Guten reagieren sollten.

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Der Abschnitt 1 Petr 4,12-19 greift das Thema des Leidens der Christen erneut auf. Er wiederholt Gedanken, die bereits in 1 Petr 1,6f und 1 Petr 3,13-4,6 zum Ausdruck kamen, und führt sie insofern fort, als er versucht, den Sinn des Leidens zu erklären und in einem weiteren Schritt die Bedeutsamkeit der gegenwärtigen Situation angesichts des nahe bevorstehenden Gerichts Gottes über die Welt zu erfassen:

12 Geliebte, lasst euch durch die Feuersglut, die zu eurer Prüfung über euch gekommen ist, nicht verwirren, als ob euch etwas Ungewöhnliches zustoße! 13 Stattdessen freut euch, dass ihr Anteil an den Leiden Christi habt; denn so könnt ihr auch bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit voll Freude jubeln. Wenn ihr wegen des Namens Christi beschimpft werdet, seid ihr seligzupreisen; denn der Geist der Herrlichkeit, der Geist Gottes, ruht auf euch. (1 Petr 4,12-14)

Leiden als Feuerprobe

Die Anrede "Geliebte" signalisiert, dass hier ein neuer Abschnitt beginnt. Zunächst stellt der Verfasser des Briefes seinen Adressaten vor Augen, dass das, was ihnen geschieht, nichts Außergewöhnliches oder Befremdliches ist. An früherer Stelle hatten wir bereits gesehen, dass die Konfrontation der Christen mit den Vorstellungen, Absichten und Gewohnheiten der Gott feindlich gesinnten "Welt" notwendig Leiden hervorbringt. Der Brief charakterisiert dieses Leiden, so wie bereits im ersten Kapitel (vgl. 1 Petr 1,6f), als Feuerprobe. Sie hat zum Ziel, die Stärke der Christen ans Licht zu bringen, und nicht, sie zu schwächen oder zu Fall zu bringen. Darum kann das Leiden die Christen auch nicht verwirren oder irre machen. Sie wissen, dass sie leiden müssen, allein deshalb, weil sie Christen sind. Im Prolog des Johannesevangeliums heißt es über das Wort Gottes: "In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst." (Joh 1,4f) Die Finsternis hat mit allen Kräften versucht, Christus, das Licht zu überwältigen, aber es ist ihr nicht gelungen.

Im Philipperbrief stellt Paulus die Christen dar als "Kinder Gottes ohne Makel mitten in einer verkehrten und verwirrten Generation, unter der ihr als Lichter in der Welt leuchtet" (Phil 2,15). Die Christen teilen das Schicksal Christi, ihr Leiden ist Teilhabe an seinem Leiden. Die Feindschaft der Welt zu Christus ist Feindschaft zu den Christen. Darum kann ihnen Leiden nichts Fremdes sein. Auch dieser Gedanke wurde im Brief bereits ausgeführt und findet sich auch in den Evangelien, sowohl in der synoptischen Tradition: "Der Jünger muss sich damit begnügen, dass es ihm geht wie seinem Meister" (Mt 10,25), als auch im Johannesevangelium: "Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen" (Joh 15,20). Die Gemeinschaft mit Christus im Leiden bedeutet zugleich auch Gemeinschaft mit seiner Herrlichkeit. Dieser untrennbare Zusammenhang ist im Neuen Testament breit bezeugt: "Wenn wir nämlich mit Christus gestorben sind, werden wir auch mit ihm leben." (2 Tim 2,11; vgl. Röm 8,17 u.a.)

Den Alltag ertragen – mit der Kraft des Heiligen Geistes

Auch das Motiv von der Freude im Leiden ist schon an früherer Stelle im Petrusbrief begegnet (vgl. 1 Petr 1,6). Freude inmitten des Leidens ist ein wichtiges Thema in den Paulusbriefen; es durchzieht wie ein roter Faden den ganzen Philipperbrief und wird vom Apostel auch an anderer Stelle bezeugt: "Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Ich ergänze in meinem irdischen Leben, was an den Bedrängnissen Christi noch fehlt an seinem Leib, der die Kirche ist." (Kol 1,24) Ebenfalls wiederholt der Brief den Verweis auf die Seligpreisung der um der Gerechtigkeit willen verfolgten Jünger (vgl. Mt 5,11; 1 Petr 3,14) und ergänzt die Seligpreisung noch um die Zusage, dass gerade in einer solchen bedrängenden Situation der Heilige Geist, und zwar als der "Geist der Herrlichkeit", anwesend ist und die Christen schützend umgibt.

Der Geist "ruht" auf ihnen. Das ist wohl im Sinn von "Ruhe verschaffen" zu verstehen, eine Atempause mitten in der Bedrängnis ermöglichen. Das zugrundeliegende griechische Verb, anapauein, kommt unter anderem in Psalm 23,2 vor: "Er führt mich zum Ruheplatz am Wasser". Dass der Heilige Geist "Ruhe" schenkt mitten in den größten Mühen, Bedrängnissen und Anstrengungen, hat schließlich auch in die Pfingstsequenz Eingang gefunden: In labore requies – "in der Mühe bist du Ruhe". Noch einmal zeigt sich an dieser Stelle das Verständnis des Petrusbriefs hinsichtlich der Geistesgaben: Das Wirken des Heiligen Geistes bringt nicht außergewöhnliche Phänomene und aufsehenerregende Fähigkeiten zum Vorschein, sondern der Geist befähigt die Christen dazu, ihren Alltag mit all seinen Lasten und schwierigen Bedingungen zu bestehen.

Der Brief betont noch einmal eigens, dass es nicht um Leiden im Allgemeinen geht, das hier theologisch bewältigt wird, sondern ganz konkret um das Leiden, das sich als Konsequenz des Christseins zeigt: "Wenn einer von euch leiden muss, soll es nicht deswegen sein, weil er ein Mörder oder ein Dieb ist, weil er Böses tut oder sich in fremde Angelegenheiten einmischt." (1 Petr 4,15) Der Brief zählt vier Straftaten auf, zwei davon, Mord und Diebstahl, sind fraglos schwere Verbrechen. Im Blick auf die anderen konnte in der Forschung nicht geklärt werden, ob an ein konkretes Vergehen gedacht ist bei dem, "der Böses tut" – im griechischen Texte ein Substantiv, wörtlich: "Übeltäter" (kakopoios) – und dem, "der sich in fremde Angelegenheiten mischt" – im Urtext ebenfalls ein Substantiv, wörtlich: "ein nach-Fremdem-Gucker" (allotriepiskopos). Als Deutungsmöglichkeiten sind Habgier, Denunziantentum, auch blinder Glaubenseifer ins Spiel gebracht worden.

Leiden um der Zugehörigkeit zur Kirche willen

Eine interessante Frage ist jedoch, ob diese schweren Verbrechen einen realen Anhaltspunkt in der christlichen Gemeinde hatten oder ob sie nur rhetorisches Mittel sind. Aus dem ersten Korintherbrief ist bekannt, dass es einen Fall von Blutschande unter Christen gab (vgl. 1 Kor 5), und der Epheserbrief legt mit der Warnung: "Der Dieb soll nicht mehr stehlen" (Eph 4,28) nahe, dass unter Christen solche Verbrechen vorkamen. Bereits im Abschnitt über die Sklaven ließ der Brief anklingen, dass christliche Sklaven sich durchaus auch so verhalten konnten, dass sie eine "verdiente" Strafe erhielten (vgl. 1 Petr 2,20). Ebenso lassen die sogenannten "Lasterkataloge" darauf schließen, dass es notwendig war, soziales Fehlverhalten in den christlichen Gemeinden zu korrigieren. Die Briefe des Neuen Testaments verbrämen die Tatsache nicht, dass es unter den Christen auch solche gab, deren moralische Integrität höchst fragwürdig schien. Das dürfte auch für die Adressaten des Petrusbriefs zutreffen. Wenn er aber leidet, weil er Christ ist, dann soll er sich nicht schämen, sondern Gott darin verherrlichen. (1 Petr 4,16)

Mit Vers 16 spricht der Brief einen wichtigen Sachverhalt an: Das Leiden um der Zugehörigkeit zur Kirche willen kann dazu führen, dass die Christen "sich schämen". Und diese Scham birgt eine große Gefährdung des Glaubens in sich. Nach einem Wort Jesu im Markusevangelium hat das "sich schämen" den Rückzug aus der Jüngerschaft zur Folge: "Denn wer sich vor dieser treulosen und sündigen Generation meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er mit den heiligen Engeln in der Herrlichkeit seines Vaters kommt." (Mk 8,38) Die Angst vor dem Urteil der Außenstehenden, obgleich "treulos und sündig", ist groß; es wird als peinlich empfunden, zu den Jüngern zu gehören. Das "Leiden" der Adressaten des Petrusbriefs besteht also auch in der Herausforderung zu ertragen, dass sie als Christen in der Öffentlichkeit schlecht dastehen. Das Urteil der Öffentlichkeit jedoch, so der Petrusbrief, ist vollkommen bedeutungslos, allein das Urteil Gottes zählt. Deshalb soll das Bewusstsein, dass Gottes Gericht nahe bevorsteht, dabei helfen, das Leiden zu verstehen und richtig einzuordnen:

17 Denn jetzt ist die Zeit, in der das Gericht beim Haus Gottes beginnt; wenn es aber bei uns anfängt, wie wird dann das Ende derer sein, die dem Evangelium Gottes nicht gehorchen? 18 Und wenn der Gerechte kaum gerettet wird, wo wird man dann die Frevler und Sünder finden? (1 Petr 4,17f)

Das Gericht über die Welt ist kein rein zukünftiges Ereignis, sondern es hat bereits begonnen, und zwar beim "Haus Gottes", das heißt bei der Kirche. Dass Gott mit seinem Volk als erstes ins Gericht geht, bezeugen auch einige Texte des Alten Testaments, zum Beispiel der Prophet Jeremia: "Denn siehe, bei der Stadt, über der mein Name ausgerufen ist, beginne ich mit dem Unheil und da solltet ihr ungestraft bleiben? Nein, ihr werdet nicht ungestraft bleiben; denn ich rufe das Schwert gegen alle Bewohner der Erde – Spruch des Herrn der Heerscharen." (Jer 25,29; vgl. ebf. Ez 9,6) In der Endzeitrede des Markusevangeliums stellt Jesus die Verfolgung und Misshandlung seiner Jünger als "Auftakt" des Jüngsten Gerichts dar (vgl. Mk 13,9). In Vers 18 zitiert der Brief ein Wort aus dem Buch der Sprichwörter, wobei er eine deutliche Akzentverschiebung vornimmt. Das Schriftzitat lautet: "Wird dem Gerechten vergolten auf der Erde, dann erst recht dem Frevler und Sünder." (Spr 11,31)

Gott ist nicht gleichgültig: Er behütet und beschützt

Der Petrusbrief stellt nicht mehr die Frage nach dem Ergehen von Gerechten und Frevlern auf der Erde, sondern ihn bedrängt die Frage: Wo wird der Sünder am Ende des Gerichts sein? Auch Jesus spricht davon, dass die endzeitliche Not so groß sein wird, dass selbst die gerechten Menschen kaum bestehen können (vgl. Mk 13,19f). Darum sollen alle, die nach dem Willen Gottes leiden müssen, Gutes tun und dadurch ihr Leben dem treuen Schöpfer anbefehlen. (1 Petr 4,19)

Will Gott das Leiden? Vom Leiden nach dem Willen Gottes war schon in 1 Petr 2,15 und 1 Petr 3,17 die Rede. Die Aussageabsicht des Briefes zielt darauf, deutlich zu machen, dass in dieser Welt nichts geschieht, was außerhalb der Macht Gottes liegt. Gott ist der "Schöpfer" der ganzen Welt – es handelt sich übrigens um die einzige Stelle im gesamten Neuen Testament, in der dieses Gottesprädikat vorkommt – und deshalb ist ihm alles, was er geschaffen hat, nicht gleichgültig, sondern er behütet und erhält seine Schöpfung.

"Treu" ist Gott, sagt der Petrusbrief, und Paulus erläutert, worin die Treue Gottes besteht: "Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch mit der Versuchung auch einen Ausweg schaffen, sodass ihr sie bestehen könnt." (1 Kor 10,13) Das Leiden, dem die Christen ausgesetzt sind und das sie ertragen müssen, ist eine solche Versuchung. Sie können sich aber auf ihren "treuen Schöpfer" verlassen. Und aus dieser Zuversicht heraus sind sie ihrem Schicksal nicht passiv ausgeliefert, sondern sie schöpfen sogar die Kraft "Gutes zu tun".

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