Psalm 32: Glücklich, wer nicht mit schwerer Schuld belastet ist!Der Psalter als Buch des Messias

Ein reines Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen. Der Beter von Psalm 32 weiß davon zu singen – aus schmerzlicher Erfahrung – und gibt zwei Ratschläge.

Aufgeklappte Bibel / Psalmen
© Foto von Aaron Burden auf Unsplash

Der Vorgängerpsalm Ps 31 hatte das Thema "Schuld" nur einmal leicht gestreift, ist dann aber nicht weiter darauf eingegangen: "Dahingeglitten ist wegen meiner Schuld meine Kraft." (Ps 31,11). Ps 32 nimmt das Thema nun auf und entfaltet es breit. Es sieht so aus, als ob das Thema in Ps 31,11 erst eingefügt wurde, als der Psalm mit Ps 32 kombiniert wurde, denn ursprünglich stand in Ps 31,11 "in Armut" (LXX).

Ps 32 eröffnet mit der doppelten Seligpreisung in V. 1 und 2 einen neuen Zyklus von Psalmen, der über die Seligpreisungen in Ps 33,12 und 34,9 bis zu denen in Ps 40,3.5 und 41,2 reicht. Nimmt man das Verbum "seligpreisen" in Ps 41,3 dazu, sind das sieben Nennungen von "selig" in der Serie Pss 32-41. Sieben ist die Zahl der Vollkommenheit. Der Psalmenzyklus Pss 32-41, der letzte im ersten Psalmenbuch (Ps 1–41), warnt davor, auf Gewalterfahrungen mit Gewalt zu antworten, da Gott sich des Armen und Bedrängten annehmen wird.

Zur Struktur des Psalms

Ps 32 besteht aus zwei Hälften: Die erste (V. 1-5) wird von den Begriffen "Frevel" – "Sünde" – "Schuld" in V. 1-2 und "Sünde" – "Schuld" – "Frevel" – "Schuld" – "Sünde" in V. 4-5 gerahmt. Dazu kommen die Vergebungsausdrücke "wegtragen" – "bedecken" in V 1 und in V. 5. Die zweite Hälfte wird gerahmt von den Worten "Loyaler" (V. 6) und "umgeben" (V. 7) und "Loyalität umgeben" in V. 10. Die V. 1-2 preisen zunächst einen Menschen selig, der nicht von Schuld belastet ist:

"Selig, wem weggetragen wurde Frevel, zugedeckt Sünde. Selig ein Mensch, dem der Herr Schuld nicht anrechnet, weil in seinem Geist kein Trug ist!"

Der Psalmenbeter (traditionell: David) hat hier nicht einen Menschen vor Augen der noch nie einen Fehler begangen hat, sondern sich selbst, einen, der schwer in Schuld gefallen ist (2 Sam 11; 24), dem Gott aber vergeben hat. Der Punkt, auf den es hier aber ankommt, ist dieser: Sei froh, wenn du nicht von schwerer Schuld belastet bist, denn das Leben wird dadurch unerträglich! In den V. 3-5 folgt dann ein Erfahrungsbericht, der das veranschaulicht.

In schwere Schuld gefallen

Solange David seine Schuld, die ihn belastete, zu verdrängen suchte, "verfielen" seine "Gebeine" durch sein "Stöhnen den ganzen Tag". Seine innere Stabilität (das Knochengerüst) wurde brüchig, "da Tag und Nacht schwer auf mir lastete deine Hand". Weder Tagesbeschäftigung noch Nachtruhe verschafften ihm Entlastung, vielmehr fühlte er sich von Gott her unter Druck. Er trocknete innerlich aus: "Wegverwandelt war mein Mark in Sommergluten". Das Leben hatte jeden Saft, jede Frische verloren. Wer jemandem gegenüber in schwere Schuld gefallen ist, weil er einen großen Fehler gemacht hat, kann versuchen, so zu tun, als ob nichts wäre, aber es wird ihn schwer belasten. Sein Gewissen kommt nicht zur Ruhe. Unser Beter hielt die Last schließlich nicht mehr aus. Es hilft nicht, die Sache unter den Teppich zu kehren. So entschloss er sich zu einem ehrlichen und offenen Bekenntnis:

"Meine Sünde musste ich dir kundtun, und meine Schuld deckte ich nicht zu. ich sagte: Ich will ein Bekenntnis ablegen über meine Frevel vor dem Herrn! Da trugst du weg meine Sünde" (V. 5)

David hatte tatsächlich die Erfahrung gemacht, dass Gott im Nu vergibt, wenn einer ein ehrliches Bekenntnis ablegt (2 Sam 12,13). Der Beter rät nach dieser Erfahrung zunächst, nach schwerer Verfehlung nicht lange zuzuwarten, sondern möglichst schnell Vergebung zu erbitten, nicht im Innern wegzuschließen, sondern herauszulassen, um dem vom Beter einst erfahrenen Siechtum so bald wie möglich zu entkommen: "Deshalb soll beten jeder Fromme (‚Loyale‘) zu dir, sobald er [die Schuld] findet" (V. 6a)

"Ich will dich lehren den Weg, den du gehen musst"

David versichert dem, dem er das rät, er werde auf diese Weise Bedrängnissen, wie David sie durchgemacht hat, entgehen (V. 6b-7). David redet bisher als einer, der weiß, wie befreiend erfahrene Vergebung ist. Aber das Glück, das ein von Schuld nicht belastetes Leben bedeutet, meint ja mehr als nur, die Schuldbelastung wieder möglichst schnell loszuwerden. Viel besser ist es, gar nicht erst unter sie zu geraten. Daher interveniert in V. 8 Gott selbst und sagt zu David:

"Ich will dich verstehen lassen und dich lehren den Weg, den du gehen musst, ich will Rat geben, ruht doch mein Auge auf dir."

Die drückende Schuld hatte der Beter empfunden als Gottes schwer auf ihm lastende Hand (V. 4). Gott selbst sagt ihm zu, er wolle lieber sein wohlwollendes Auge auf ihm ruhen lassen. Dazu reicht es aber nicht, für Fehler Verzeihung zu suchen. Dazu ist es nötig, solche Verfehlungen zu vermeiden und Gottes Wege zu gehen, ohne grob von ihnen abzuweichen. David erweitert auf diese Intervention Gottes hin seinen Rat an die anderen, indem er sie mit "ihr" anspricht:

"Werdet nicht wie ein Ross, wie ein Maultier ohne Verstand! Mit Zaum und Zügel, ihrem Geschirr, muss man sie bändigen, sonst bleiben sie nicht nah bei dir" (V. 9)

Der Beter selbst hatte erst nach schmerzvoller Erfahrung zu Gott zurückgefunden. Statt vorausgehender Einsicht hatte nachfolgende Qual ihn zur Besinnung gebracht. Er rät nun, es anders zu machen: Mach meine Fehler gar nicht erst, damit du nicht durch schmerzliche Belehrung auf den rechten Weg zurückgeführt werden musst!

"Zahlreich sind die Schmerzen des Frevlers, wer aber auf den Herrn vertraut, den wird (seine) Loyalität umgeben" (V. 10).

Durch Einsicht gleich das Richtige zu tun, ist besser als erst durch Schaden klug zu werden. Wenn der allerdings schon eingetreten ist, ist es gut, wenn er eine Lehre ist. Abschließend spricht er die an, die sich vor schweren Fehltritten gehütet haben: "Freut euch am Herrn und jauchzt, ihr Gerechten, und jubelt alle, die gerade sind von Herzen!" (V. 11).

"Selig die Herzensgeraden!"

Das erste Wort des Psalms war "selig!" (aschre), das letzte ist Herzensgerade (jischre) – "selig die Herzensgeraden!" ist die Summe des Psalms. Nur wer unbelastet ist von schwerer Schuld, kann ungebeugt durchs Leben gehen, wie Gott es will (Lev 26,13) – und das heißt "selig", glücklich sein.

Ps 32 ist ein Seligpreisungspsalm, der einen Seligpreisungszyklus eröffnet (Pss 32–41). Der Psalter, der in Ps 1,1 (und 2,12) mit zwei Seligpreisungen beginnt, ist in der Bibel überhaupt das Buch der Seligpreisungen. Wenn Jesus in Mt 5,3 "Selig" sagt, um seine Bergpredigt zu eröffnen, denken alle seine israelitischen Hörer sogleich an den Psalter. Dass das berechtigt ist, bestätigt der Fortgang von Jesu Beglückwünschungen. Jesu dritte Seligpreisung (Mt 5,5: "selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben") zitiert dann nämlich direkt Ps 37,11, und die sechste (Mt 5,8: "selig, die rein sind von Herzen, denn sie werden Gott schauen") nimmt Ps 24,3-4 auf.

Psalm 32 in paulinischer Lesart

Auch für Paulus ist der Psalter das wichtigste Buch der Bibel (mit der Genesis und Jesaja). Ps 32 ist für ihn als Theologen aber besonders bedeutsam. In Röm 4 will der Völkerapostel zeigen, was es bedeutet: dass Abrahams Glaube diesem als Gerechtigkeit "angerechnet wird" (Gen 15,6). Abraham glaubte, dass Gott seine Verheißungen auch dann erfüllen kann, wenn Abraham Gottes Befehl, Isaak zu opfern, gehorcht. Abraham glaubte, dass Gott auch den geopferten Isaak zu einem großen Volk hätte machen können (Gen 22,2; 12,2), weil er die Macht hat, Tote zu erwecken (Hebr 11,17-19).

"Doch nicht allein um seinetwillen steht geschrieben, es wurde ihm angerechnet, sondern auch um unseretwillen, denen es angerechnet werden soll, uns, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat" (Röm 4,23-24).

Was bewirkt nach Paulus der Auferweckungsglaube Abrahams in Gen 15,6? Er wird ihm angerechnet zur Gerechtigkeit. Nach einem rabbinischen exegetischen Verfahren (gezerah schawwah) überträgt Paulus in Röm 4,7-8 die Verse Ps 32,1-2 auf den Genesis-Text "Sein Glaube wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet" (Gen 15,6) bedeutet demnach "seine alten Sünden wurden ihm nicht mehr angerechnet" (Ps 32,1-2). Abraham, der ehemalige Götzendiener (Jos 24,2-3; Jdt 5,6-9), wurde wegen seines Auferweckungsglaubens für "gerecht" erklärt, sein früheres Heidentum vergeben. Um das zu zeigen, nutzt Paulus Ps 32 als theologisches Argument.

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