Psalm 1 – "Gepflanzt an Wasserbächen"Die Psalmen als Weg zur Kontemplation

Der erste Psalm preist denjenigen glücklich, der gelernt hat, Nein zu sagen zu falscher Gemeinschaft. Er mag zunächst einsam sein, ist aber stabil und fruchtbar.

Bibel
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Wer mit dem Lesen, Meditieren und Beten der Psalmen beginnt, wird herzlich willkommen geheißen: "Glückselig der Mann", so heißt es im ersten Vers des ersten Psalms. Ob damit Frauen ausgeschlossen sind – mit dieser Frage werden wir uns später noch beschäftigen. Doch schon jetzt kann gesagt werden: Alle sind eingeladen, denn im letzten Vers des zweiten Psalms heißt es: "Glückselig sind alle, die sich bergen in ihm", das heißt in: Gott.

Nein sagen

Wie die Bergpredigt (Mt 5,3ff), so beginnt auch der Psalter mit einer Seligpreisung. Allerdings wird dem, der mit dieser Formel feierlich begrüßt wird, kein Sand in die Augen gestreut. Ihm wird nicht das Blaue vom Himmel versprochen. Er muss mit Herausforderungen rechnen. Frevler, Sünder und Spötter melden sich zu Wort, sobald sich jemand anschickt, über die "Weisung des HERRN" nachzudenken, sein Leben von ihr bestimmen zu lassen.

Psalm 1 preist denjenigen glücklich, der gelernt hat, Nein zu sagen: "Glückselig der Mann, der nicht einging auf den Rat von Frevlern und den Weg der Sünder nicht betrat und sich nicht setzte in der Sitzung der Spötter" (Ps 1,1). In der Aufzählung liegt eine Steigerung vor: gehen, betreten, sich setzen. "Nicht eingehen auf den Rat von Frevlern" bedeutet, "nicht auf sie hören"; "ihre Wege nicht betreten" heißt "ihre Lebensweise nicht übernehmen"; "an ihrer Sitzung nicht teilnehmen" heißt "bei ihnen kein Mitglied werden". Die Frevler, Sünder und Spötter sind viele, sie stehen im Plural, der Seliggepriesene steht im Singular, er ist zunächst allein. Er hätte Gemeinschaft haben können, "aber die der Sünder wollte er nicht" (Dieter Böhler, Psalmen 1–50, HThK AT, Freiburg 2021, 70).

Meditieren

Doch auch er hat einen Ort, an dem er sich aufhält: die Weisung (Tora) des HERRN: "An (in) der Tora (Weisung) des HERRN ist sein Gefallen und in seiner Tora meditiert (murmelt) er Tag und Nacht" (Ps 1,2). Das hier verwendete Verbum meint das leise, murmelnde Rezitieren des Textes; es erinnert an das Gurren einer Taube (Jes 38,14) oder das Knurren eines Löwen (Jes 31,4). Im Unterschied zum lauten Rufen und Rezitieren "auf der Straße, auf den Plätzen und an der Stadttoren" (vgl. Spr 1,20f; Hebräisch: qara – damit verwandt ist das Wort: Qur'an), wie wir es vom Muezzin kennen, ist hier das murmelnde, halblaute, memorierende Lesen gemeint.

Damit einher geht ein Prozess des Nachdenkens. Die lateinische Bibelübersetzung gibt den hebräischen Text durchaus treffend mit in lege eius meditabitur die ac nocte wieder – "der in seinem Gesetz meditiert bei Tag und bei Nacht". Damit ist die textgestützte Meditation gemeint, die zum Markenzeichen jüdischer und christlicher Spiritualität geworden ist.

Verwurzelt sein

Wer das tut, wer sich auf die von den Frevlern, Sündern und Spöttern angebotene Gemeinschaft nicht einlässt, sondern stattdessen die Weisung des HERRN meditiert, der, so heißt es in Vers 3, "wird sein wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht geben wird zu seiner Zeit und dessen Laub nicht welken wird. Alles, was er tut, wird ihm gelingen." Der Baum ist nicht von Natur aus an Wasserbächen gewachsen, sondern er ist dorthin verpflanzt worden, er hat sich – wie auch immer – dorthin begeben. So ist der hebräische Text hier zu verstehen. Treffend hat es Hieronymus in seiner lateinischen Übersetzung wiedergegeben: tamquam lignum transplantatum iuxta rivolos aquarum – "wie ein Baum, der verpflanzt (transplantiert) wurde an Wasserläufe."

Während die Lebensform des glücklich zu preisenden Menschen mit drei Versen recht ausführlich beschrieben wird, ist die von den Frevlern gewählte Lebensform kaum der Rede wert. Sie wird mit nur einem Vers kurz erwähnt: "Nicht so die Frevler, vielmehr wie Spreu, die der Wind verweht" (Vers 4). "Der Baum steht einsam, die Spreu ist pure Vielheit. Der Vergleich ist sprechend: Der Mensch aus Vers 1 ist durch seine Entscheidung einsam, aber stabil und fruchtbar. Die Frevler sind viele, aber steril und haltlos" (Böhler 72).

Eine neue Gemeinschaft

In den letzten beiden Versen wird ein Fazit gezogen. Jetzt ist der anfangs Alleinstehende nicht mehr allein. Er hat eine Gemeinschaft, die der "Gerechten": "Darum werden nicht bestehen die Frevler im Gericht, noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten. Denn der HERR kennt den Weg der Gerechten, aber der Weg der Frevler führt in den Abgrund" (Vers 6). Streng genommen ist erst hier von zwei Wegen die Rede, die einander gegenübergestellt werden. Doch der Weg der Frevler ist eigentlich gar kein Weg, er verliert sich. Gott greift hier nicht ein, die Lebensform der Frevler bricht in sich selbst zusammen.

Anders der Weg der Gerechten. In Vers 6a ist JHWH das Subjekt des Satzes: "Denn JHWH (der HERR) kennt den Weg der Gerechten." Hieronymus hebt den Unterschied hervor, indem er "Weg" (hebräisch däräk) nicht konkordant, sondern einmal mit via ("Weg der Gerechten"), einmal mit iter ("Straße der Frevler") übersetzt. "Von Gott gekannt werden, von Ihm einen Namen erhalten haben ist Bedingung des Lebens, das einen Sinn, eine Bedeutung hat. (…) Das Gesetz des HERRN ist die Partitur des richtigen Lebens. Es sind Noten zu einer Musik, die man nur hört, indem man sie zugleich spielen lernt" (Robert Spaemann, Meditationen eines Christen über die Psalmen 1–51, Stuttgart 2014, 21; 17)

Wer ist der Mann?

Wer ist der Mann, der in Vers 1 glückselig gepriesen wird? Ausdrücklich sagt der Text das nicht. Doch er legt eine Spur, die wir aufnehmen werden. Wenn wir zum folgenden Psalm 2 kommen, stellt sich eine Vermutung ein. Es gibt einige Stichworte, die die beiden Psalmen miteinander verbinden: Auch in Psalm 2 wird "gemurmelt", auch dort ist von einem Weg die Rede, der in den Abgrund führt, auch dort stehen viele auf gegen einen, und dieser eine wird von JHWH gestützt; es ist der auf Zion eingesetzte König.

Ist vielleicht schon in Psalm 1 von einem König die Rede, der, wie es das Gesetz in Dtn 17,18f vorschreibt, sich eine Abschrift von der Tora anfertigen lassen, sie immer bei sich tragen und in ihr "sein Leben lang lesen soll, damit er lernt, den HERRN, seinen Gott zu fürchten und alle Worte dieser Weisung […] zu halten und sein Herz nicht über seine Brüder zu erheben"?

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