Psalm 24 – Der Heiden HeilandDie Psalmen als Weg zur Kontemplation

Unser Psalm behandelt ein Thema, das in der alttestamentlichen Exegese oft unterschätzt wird: die Bekehrung der Völker zum Gott Israels. Das Thema begegnet vor allem in späten Texten der Prophetie.

Bibel
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Besonders in den Sommermonaten werden die großen Kathedralen von vielen Touristen besucht. Nicht alle dürfen eintreten. Wer allzu leicht bekleidet ist, muss draußen bleiben. An den heiligen Stätten im Heiligen Land sind die Einlassbedingungen noch weitaus strenger: "Modestly dressed" steht mit entsprechendem Piktogramm am Eingang. Um Einlassbedingungen für das Heiligtum geht es auch in unserem Psalm: "Wer darf hinaufziehen zum Berg des HERRN, wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?" Diese Frage wurde schon einmal in Psalm 15 gestellt und beantwortet: "HERR, wer darf Gast sein in deinem Zelt, wer darf weilen auf deinem heiligen Berg?" Ein Vergleich beider Psalmen zeigt allerdings: Es geht um zwei unterschiedliche Gruppen. "In Ps 15 wurde gefragt, welcher Israelit auf dem heiligen Berg 'wohnen' darf. Ps 24 fragt, welcher Nichtisraelit dorthin 'hinaufsteigen' und dort 'stehen' darf" (D. Böhler SJ, Psalmen 1–50, HThK AT, Freiburg 2021, 448). In unserem Psalm 24 geht es um die Einlassbedingungen für Menschen aus den Völkern, für Heiden (gentes), die noch gar nicht wissen, wer JHWH ist, die aber Interesse haben, ihn kennenzulernen.

JHWH – Schöpfer der Welt und ihrer Bewohner

Der Psalm beginnt mit dem Gottesnamen JHWH. Dieser kommt insgesamt sechsmal vor; in der Mitte steht die Gottesbezeichnung Elohim ("Gott") – das ergibt genau sieben Nennungen Gottes. Dieser Gott wird in der ersten Strophe (V. 1–2) in Form eines Bekenntnisses als Schöpfer der Welt vorgestellt:

1b JHWH gehört die Erde und was sie erfüllt,
das Festland und seine Bewohner.
2 Denn er hat es über Meeren gegründet,
und über Strömen hat er es befestigt.

In vielen Mythen des altorientalischen Polytheismus war die Schöpfung ein Kampf, ein Kampf der Götter untereinander, bei dem am Ende der stärkere Gott den Sieg davontrug. In der biblischen Schöpfungserzählung des Buches Genesis ist von einem solchen Kampf so gut wie nichts mehr zu spüren: Gott spricht, und es geschieht (Gen 1). In einigen Psalmen ist das noch anders. Hier erweist sich JHWH als ein Gott, der die chaotischen, quasi-göttlichen Mächte besiegt, ihnen den Kopf abschlägt, um so aus dem lebensfeindlichen Chaos einen wunderbaren Kosmos zu erschaffen: "Du hast mit deiner Macht das Meer zerspalten, die Häupter der Drachen über den Wassern zerschmettert. Du hast die Köpfe des Leviatan zermalmt, ihn zum Fraß gegeben den Ungeheuern der See" (Ps 74,13f). "Du beherrschst den Aufruhr des Meeres; wenn seine Wogen toben – du glättest sie. Rahab hast du durchbohrt und zertreten, deine Feinde zerstreut mit starkem Arm. Dein ist der Himmel, dein auch die Erde; den Erdkreis und was ihn erfüllt, hast du gegründet" (Ps 89,10–12).

Am Ende des Psalms wird deutlich: Wer von den Völkern dem siegreichen Kämpfer, dem "Held des Krieges", dem "König der Herrlichkeit" folgt, sich zu ihm bekennt, der darf mit ihm hinaufziehen zum Berg des HERRN und stehen an der Stätte seines Heiligtums.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb in der letzten Strophe JHWH als starker Held des Krieges die Bühne betritt. "Wer ist dieser König der Herrlichkeit? JHWH, ein Starker, ein Held, JHWH, ein Kriegsheld" (V. 8). Siegreicher Kampf gehört auch noch in Teilen der Bibel zur Schöpfung. Am Ende des Psalms wird deutlich: Wer von den Völkern dem siegreichen Kämpfer, dem "Held des Krieges", dem "König der Herrlichkeit" folgt, sich zu ihm bekennt, der darf mit ihm hinaufziehen zum Berg des HERRN und stehen an der Stätte seines Heiligtums. Wie genau stellt sich unser Psalm diesen Prozess vor?

Abkehr vom Götzendienst

Nach dem Bekenntnis zu JHWH als dem Schöpfergott ergeht in der zweiten Strophe (V. 3–5) die Frage: "Wer darf hinaufziehen zum Berg des HERRN, wer darf stehen an der Stätte seines Heiligtums?" Das Wort "hinaufziehen" ist Fachbegriff für die Wallfahrt. "Sich hinstellen" meint in diesem Zusammenhang kein sight seeing, sondern die liturgische Haltung des Stehens vor Gott, die Anbetung. Es geht um die Völkerwallfahrt zum Zion, die in einigen späten prophetischen Texten für eine zukünftige Zeit in der Geschichte Israels angekündigt wird. Bekannt ist die Doppelüberlieferung bei den Propheten Jesaja und Micha: "Viele Völker gehen und sagen: Auf, wir ziehen hinauf zum Berg des HERRN und zum Haus des Gottes Jakobs" (Jes 2,1–5; Mi 4,1–3). Die Initiative geht von den Völkern aus. Sie haben sich bisher in Kriegen gegenseitig zugrunde gerichtet, jetzt halten sie Ausschau nach einer Weisung (Tora), die ihnen Wege des Friedens zeigt, so dass sie ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden können.

Wer von den Völkern, so fragt nun unser Psalm, darf zum Gott Israels hinaufziehen und an seiner Verehrung teilnehmen? Die beiden folgenden Verse geben die Antwort:

4 Der unschuldige Hände hat
und ein reines Herz,
der seine Seele nicht erhob zu einem Nichts
und nicht zugeschworen hat einem Trug(bild).
5 Er wird empfangen ("erheben") Segen vom HERRN
und Gerechtigkeit vom Gott seiner Rettung.

V. 4 formuliert zunächst grundsätzlich: Es geht um das rechte Tun ("Hände") und die dem Tun zugrundeliegende Gesinnung ("Herz"). Was damit gemeint ist, wird in der Fortführung gesagt. Mit dem "Nichts" sind die nichtigen Götter gemeint, Werke von Menschenhand, die machtlos sind und nichts bewirken (Jes 44,9–20). Ein solcher Götzendienst kann mit prachtvollen Umzügen einhergehen, mit Lärm, Vergnügen und exzentrischem Gehabe. Der Tanz ums goldene Kalb beschreibt eine solche Veranstaltung. Hauptverantwortlich für diese Ursünde war Aaron, der Ahnherr der Priester. Er hatte sich dumm gestellt und das Volk verwildern lassen. Mose war entsetzt: "Mose sah, wie verwildert das Volk war. Denn Aaron hatte es verwildern lassen, zur Schadenfreude ihrer Widersacher" (Ex 32,25). Fremdgötterverehrung und sexuelle Ausschweifungen gehen oft Hand in Hand: "Als sich Israel in Schittim aufhielt, begann das Volk mit den Moabiterinnen Unzucht zu treiben, indem jene das Volk zu den Opferfesten ihrer Götter einluden. Das Volk aß mit ihnen und sie warfen sich vor ihren Göttern nieder" (Num 25,1f). Wer an solchen Veranstaltungen teilnimmt, darf nicht hinaufziehen zum Berg des HERRN (vgl. 1 Kor 12,2).

Unser Psalm behandelt ein Thema, das in der alttestamentlichen Exegese oft unterschätzt wird: die Bekehrung der Völker zum Gott Israels. Das Thema begegnet vor allem in späten Texten der Prophetie.

Das folgende Kolon nimmt eine weitere Präzisierung vor. Der altorientalische Polytheismus konkretisierte sich in der Verehrung von Götterbildern. Beides wird im Dekalog verboten, weshalb in der Deuteronomium-Fassung des Dekalogs Fremdgötter- und Bilderverbot als ein Verbot gezählt werden. "Einem Trug(bild) zuschwören" meint, sich einem in einem Götterbild dargestellten Gott anvertrauen; sich zum loyalen Diener dieses Gottes erklären. Unser Dichter sagt mit wenigen Worten klipp und klar: "Wer in Tat und Gesinnung sich vom Götzendienst fernhält, der hat Zutritt zum Gottesdienst Israels" (Böhler, ebd. 449).

Das ist zunächst ein großer Verlust. Die reichhaltige und vielfältige Welt der Götter und die damit einhergehenden polyamoren Lebensform hinter sich zu lassen, ist für die Betroffenen damals wie heute mit einem tiefen sozialen Einschnitt verbunden. Doch der Verlust wird mehr als aufgewogen: "Er wird empfangen Segen von JHWH und Gerechtigkeit vom Gott seiner Rettung" (V. 5). Aus dem Vielerlei der Zerstreuung findet der Konvertit zur Fülle des Lebens, zum Segen, der von dem Einen kommt, den allein zu lieben das biblische Hauptgebot ihm ans Herz legt (Dtn 6,4).

Die Bekehrung der Völker

Unser Psalm behandelt ein Thema, das in der alttestamentlichen Exegese oft unterschätzt wird: die Bekehrung der Völker zum Gott Israels. Das Thema begegnet vor allem in späten Texten der Prophetie. Im Buch des Propheten Sacharja wird in Aussicht gestellt: "Viele Völker und mächtige Nationen werden kommen, um in Jerusalem JHWH Zebaoth [den HERRN der Heerscharen] zu suchen und das Angesicht JHWHs gnädig zu stimmen" (Sach 8,22). Ähnlich schaut Jesaja in eine Zeit, da die Völker zum Zion pilgern werden, um dort zu opfern und zu beten: "Der Fremde, der sich dem HERRN angeschlossen hat, soll nicht sagen: Sicher wird er mich ausschließen aus seinem Volk. […] Ihre Brandopfer und Schlachtopfer werden Gefallen finden auf meinem Altar, denn mein Haus wird ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden" (Jes 56,3.7; vgl. Mk 11,17 par.).

In unserem Psalm geht es um Nichtisraeliten, die sich zum Gott Israels bekehren und an Israels Gottesverehrung teilnehmen wollen. Das Neue Testament knüpft nahtlos an diese Linie an. Matthäus beendet sein Evangelium mit dem Auftrag des Auferstandenen zur Völkermission (docete omnes gentes) (Mt 28,19f). Paulus versteht "die Übereignung der Heiden in das Heiligtum Gottes" als "das Ziel seiner Verkündigung" (M. Wolter, Der Brief an die Römer, EKK VI/2, Ostfildern 2019, 426): "Denn die Heiden sollen eine Opfergabe werden, die Gott wohlgefällig ist" (Röm 15,16).

Gott und sein Volk

In der dritten Strophe (V. 6–10) wird nun die Gruppe der Wallfahrer näher vorgestellt, allerdings mit einer Überraschung. Zu erwarten wäre eine Aussage in Analogie zu Ps 105,4: "Fragt nach dem HERRN und seiner Macht, sucht sein Angesicht allezeit." Unser Psalm verwendet die gleichen Verben, überrascht jedoch mit einem Wechsel des Objekts von der dritten zur zweiten Person: "Da ist das Geschlecht, das nach ihm fragt, die dein Angesicht suchen, Jakob." Angesprochen ist Jakob, also Israel. Die Botschaft lautet: Der Weg zum wahren Gott führt über Jakob, das heißt: über Israel, das Volk, das den wahren Gott verehrt! Die Gruppe, die nach ihm (das heißt: nach JHWH) fragt, sucht dein Angesicht, Jakob, um sich bei dir nach dem wahren Gott zu erkundigen. Der Psalm thematisiert den inneren Zusammenhang von Theologie und Ekklesiologie: Der Weg zum wahren Gott führt über die Gemeinschaft derer, die ihn aufgrund der ihr zuteil gewordenen Offenbarung verehrt.

Der folgende Vers bringt eine weitere Überraschung. Tore werden angesprochen; deren Kapitelle, genauer: deren Stürze sollen sich heben. Es kann sich nur um die Tore des Tempels handeln. Offensichtlich sind sie zu eng, um die Gruppe der Pilger aufzunehmen. Noch überraschender ist die Fortsetzung: Nicht die vorgestellte Gruppe zieht ein, sondern "der König der Herrlichkeit." Eine Stimme fragt: "Wer ist das, dieser König der Herrlichkeit?" Und sogleich folgt die Antwort: "JHWH, ein Starker, ein Held, JHWH, ein Kriegsheld." Mit leichten Variationen werden Frage und Antwort wiederholt.

Der siegreiche König der Herrlichkeit kehrt zur Stätte seines Heiligtums zurück und die vielen aus den (ursprünglich feindlichen) Völkern, die den Götzendienst hinter sich gelassen haben, sind keine Gefangenen, sondern ziehen freiwillig hinter ihrem neuen und wahren König her.

Was ist das für ein eigenartiges Bild, das uns hier vor Augen gestellt wird? Hier wird der Triumphzug eines siegreichen Feldherrn geschildert. Dieser kehrt natürlich nicht mit leeren Händen in sein Reich zurück. Er hat sich eine Schar aus den Völkern erworben, die er mit nach Hause führt. Dieses dem Krieg entnommene Bild wird nun tiefgreifend umgeformt. Der siegreiche König der Herrlichkeit kehrt zur Stätte seines Heiligtums zurück und die vielen aus den (ursprünglich feindlichen) Völkern, die den Götzendienst hinter sich gelassen haben, sind keine Gefangenen, sondern ziehen freiwillig hinter ihrem neuen und wahren König her.

Jetzt wird auch der Zusammenhang zu den benachbarten Psalmen deutlich. Vom Zeugnis unter den Völkern des vom HERRN Geretteten sprach bereits Ps 22,28–32: "Gedenken sollen und sich hinkehren zu JHWH alle Enden der Erde. Niederfallen sollen vor dir alle Geschlechter der Nationen." Vor diesem Hintergrund konnte der anschließende Psalm 23 als Bekenntnis eines Konvertiten gelesen werden: "JHWH, und keiner sonst, ist mein Hirt". Das Bild vom göttlichen Hirten wandelt sich gegen Ende des Psalms in das des Königs, der den Zug zum "Haus des HERRN" anführt (Ps 23,6). Dieser König bittet nun um Einlass für Nichtisraeliten. Hatte der Konvertit von Ps 24,4 seine Seele nicht zu Nichtigem erhoben, so bekräftigt er zu Beginn des folgenden Psalms: "Zu dir, JHWH, habe ich meine Seele erhoben" (Ps 25,1). Der Abwendung von den Götzen entspricht die Hinwendung zu JHWH.

Das Adventslied "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich, ein Heiland aller Welt zugleich" (GL 218) deutet mit Motiven aus Psalm 24 das Kommen Christi in die Welt. Die Evangelien erzählen uns, was das für einer ist, dieser "König der Herrlichkeit."

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