Realitätscheck des Glaubens"... damit ihr seinen Spuren folgt": Der erste Petrusbrief

Die Adressaten des ersten Petrusbriefs haben den irdischen Jesus von Nazareth nie gesehen, und dennoch sind sie in der Lage, ihm persönlich so zu begegnen, dass sie ihn wirklich lieben können. Wie ist das möglich?

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© Jessica Mangano auf Unsplash

"Christus habt ihr nicht gesehen, und dennoch liebt ihr ihn." (1 Petr 1,8) – Was hier von den Empfängern des Briefes gesagt ist, dass sie der historischen Gestalt Jesus von Nazareth nie begegnet sind, gilt spätestens seit der Entstehungszeit des Briefes gegen Ende des 1. Jahrhunderts für alle Christen durch alle Zeiten. "Dennoch", heißt es im Brief, lieben sie ihn. Wie das möglich ist – auch für uns heute –, werden wir im Folgenden besprechen, und noch einiges darüber hinaus, denn im mittleren Abschnitt der sogenannten "Eingangs-Eulogie" des ersten Petrusbriefs, 1 Petr 1,6-9, stehen noch mehr Dinge, die damals wie heute auf die Christen zutreffen:

6 Deshalb seid ihr voll Freude, wenn es für kurze Zeit jetzt sein muss, dass ihr durch mancherlei Prüfungen betrübt werdet. 7 Dadurch soll sich eure Standfestigkeit im Glauben, der kostbarer ist als Gold, das im Feuer geprüft wurde und doch vergänglich ist, herausstellen - zu Lob, Herrlichkeit und Ehre bei der Offenbarung Jesu Christi. 8 Ihn habt ihr nicht gesehen und dennoch liebt ihr ihn; ihr seht ihn auch jetzt nicht; aber ihr glaubt an ihn und jubelt in unaussprechlicher und von Herrlichkeit erfüllter Freude, 9 da ihr das Ziel eures Glaubens empfangen werdet: eure Rettung. 

Sie erinnern sich, liebe Leserin, lieber Leser, dass der ganze Abschnitt 1 Petr 1,3-12, von dem wir bisher die Verse 3-5 besprochen haben, im griechischen Originaltext aus einem einzigen langen Satz besteht. Deshalb gilt für das, was nun kommt, immer noch: "Gepriesen sei Gott!", obgleich die deutsche Übersetzung in Vers 6 mit einem neuen Hauptsatz beginnt und damit den Blick auf die Situation der Empfänger des Briefes richtet. Genau genommen ist ihre Situation aber ein Bestandteil des Lobpreises. Offensichtlich befinden sie sich in einer ambivalenten Lage: "Voll Freude" sind sie, doch zugleich werden sie "betrübt durch Prüfungen". Die Verse 6 und 7 lassen mit diesem Kontrast das zentrale Thema des Briefes erst einmal nur kurz anklingen, wobei die wichtigste Aussage schon hier auf den Punkt gebracht wird: Christ zu sein, bringt notwendig die Erfahrung von Trauer und Leiden ein, doch die bedrückende Situation dauert nur "kurze Zeit", sie ist aushaltbar und überstehbar, weil sich "Freude" als das tragende Fundament des christlichen Lebens erweist. Diese Freude ist möglich und realistisch, weil sie begründet ist. Was heißt das im Einzelnen?

Kann man angesichts von Verfolgung jubeln?

Was im ersten Petrusbrief über die christliche Freude angesichts der Erfahrung von echtem Leid gesagt ist, steht im Neuen Testament nicht allein. Im griechischen Text von 1 Petr 1,6 finden wir ein besonders intensives Wort für "Freude", genau genommen steht hier eine Verbform (agalliasthe), die im Bedeutungsspektrum von "sich freuen" einen ganz bestimmten Akzent setzt. Dasselbe Wort begegnet auch in der letzten Seligpreisung der Bergpredigt, in der gleich zwei Ausdrücke für "sich freuen" vorkommen: "Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen. Freut euch (chairete) und jubelt (agalliasthe): Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel." (Mt 5,12) Das "Jubeln" ist das Wort, das 1 Petr 1,6 verwendet. Kann man angesichts von Verfolgung jubeln? Der erste Petrusbrief antwortet mit "Ja!", allerdings meint er damit wohl kaum, dass die Christen das Leiden, das sie aufgrund ihres Glaubens ertragen müssen, nicht ernst nehmen, herunterspielen oder verbrämen sollen.

1 Petr 1,6 nimmt durchaus echte Traurigkeit und Bedrückung im Leben der Christen wahr. Der "Jubel" hat aber einen soliden Grund in dem, wovon in den Versen 3-5 die Rede war: die Erfahrung der "Neugeburt" durch die Auferstehung Christi. Für die Christen ist diese neue Existenz die eigentliche Realität, von der her sie alle ihre Erfahrungen bewerten. Diese Existenz liegt in ihrer ganzen Fülle noch in der Zukunft, "am Ende der Zeit" (V. 5), "bei der Offenbarung Jesu Christi" (V. 7), aber die Christen sind jetzt bereits in diese Existenz "hineingeboren" (V. 3), so dass diese neue Wirklichkeit mehr ist als bloß eine reine Zukunftserwartung. Das ist ein echter Trost, keine Vertröstung. Beim Apostel Paulus finden wir einen ähnlichen Gedanken; er unterscheidet aufgrund seiner Glaubenserfahrung zwischen dem "äußeren" und dem "inneren" Menschen. "Der äußere", so sagt er im Blick auf alle Mühe, Sorgen und Nöte, die er aushalten muss, "wird aufgerieben", dagegen wird "der innere Tag für Tag erneuert" (2 Kor 4,16). Der "innere Mensch" bei Paulus entspricht dem durch die Taufe neugeborenen im ersten Petrusbrief. Für die Christen ist der Beginn dieses neuen Lebens etwas ganz Reales.

Die negativen Erlebnisse und bedrückenden Umstände sind ein "Test" ihres Glaubens, aber eindeutig mit dem Ziel, seine Kraft zu beweisen, nicht etwa seine vermeintliche Schwäche bloßzulegen: "Kostbarer als Gold" ist dieser Glaube, da ist sich Petrus ganz sicher.

Die feste Zuversicht und das Wissen darum, dass es sich so verhält, gründet im Glauben (vgl. V. 7). Und dieser Glaube wird auf seine "Standfestigkeit" (V. 7) geprüft. Das Bild vom Gold in der Feuerprobe, das der Brief in diesem Zusammenhang verwendet, ist in der biblischen Tradition ganz geläufig. Es begegnet dort, wo es um die schwierige Frage geht, warum unschuldige und gerechte Menschen leiden müssen. Im alttestamentlichen Buch der Weisheit heißt es: "Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand und keine Folter kann sie berühren. (…) Gott hat sie geprüft und fand sie seiner würdig. Wie Gold im Schmelzofen hat er sie erprobt" (Wsh 3,1.5f). Das Leiden wird als Läuterung gedeutet, und genau das macht Petrus in diesem Brief auch, indem er den Christen erklärt, wie sie die Tatsache einordnen und verstehen sollen, dass sie wegen ihres Glaubens und den Konsequenzen, die dieser Glaube für ihre Lebensgestaltung und ihre Werteordnung hat, in der heidnischen Gesellschaft mit enormen Herausforderungen konfrontiert sind: Die negativen Erlebnisse und bedrückenden Umstände sind ein "Test" ihres Glaubens, aber eindeutig mit dem Ziel, seine Kraft zu beweisen, nicht etwa seine vermeintliche Schwäche bloßzulegen: "Kostbarer als Gold" (V. 7) ist dieser Glaube, da ist sich Petrus ganz sicher.

"Realitätscheck" des Glaubens

Im ersten Korintherbrief hält der Apostel Paulus ausdrücklich fest, dass Gott die Menschen nicht auf die Probe stellt, um sie zu Fall zu bringen: "Noch ist keine Versuchung über euch gekommen, die den Menschen überfordert. Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch mit der Versuchung auch einen Ausweg schaffen, sodass ihr sie bestehen könnt." (1 Kor 10,13) Das müssen wir auch als Hintergrund für den ersten Petrusbrief annehmen. Darum handelt es sich bei den "Prüfungen", auf die der Brief anspielt, so könnte man vielleicht sagen, um einen "Realitätscheck" des Glaubens, und zwar in dem Sinn, dass sich herausstellen wird, wie stark die Adressaten des Briefes bereits in der Wirklichkeit ihrer neuen Existenz Fuß gefasst haben.

Wie tragfähig erweist sich die Freude über das neue Leben und die Hoffnung auf die zukünftige Erfüllung angesichts der aktuellen Bedrängnisse, Verspottung und Leiden? Die Empfänger, so wird aus dem Brief deutlich, sind von dieser Freude ganz und gar erfüllt und durchdrungen. Und das hat einen guten Grund, der in V. 8 ausgesprochen wird: Ihre Liebe zu Christus. Und diese Liebe, das betont der Verfasser des Briefes gleich zweimal, ist ganz real, obwohl die Adressaten des Briefes Christus "nicht gesehen haben" und "auch jetzt nicht sehen" (V. 8). In Vers 8 finden wir die bemerkenswerte Aussage, dass die Liebe zu Christus nicht auf dem Sehen, sondern auf dem Glauben beruht. Spontan kann man hier das Wort des Auferstandenen bei seiner Begegnung mit Thomas assoziieren: "Selig, die nicht sehen und doch glauben!" (Joh 20,29)

Glaube öffnet die Augen für eine Realität, die für die oberflächliche Wahrnehmung nicht sichtbar ist. Wer nicht glaubt, sieht nur den äußeren Menschen, der in diesem Leben aufgerieben wird; wer glaubt, erkennt und erfährt in seinem Leben die Macht und das Wirken Gottes.

"Glaube kommt vom Hören"

Eine weiterführende Parallele scheint mir aber in der Aussage des Apostels Paulus in 2 Kor 5,7 zu liegen, die in der Einheitsübersetzung folgendermaßen lautet: "Als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende." Aus dem Zusammenhang, in dem dieser Satz steht, wird deutlich, dass Paulus hier weniger die Vorläufigkeit oder Minderwertigkeit des Glaubens gegenüber der seligen Gottesschau meint, sondern dass es ihm vielmehr darum geht zu sagen, dass der Glaube ein Leben aus einer tieferen Wirklichkeit heraus ermöglicht, die mehr ist als das, was man vordergründig zu sehen vermag: Glaube öffnet die Augen für eine Realität, die für die oberflächliche Wahrnehmung nicht sichtbar ist. Wer nicht glaubt, sieht nur den äußeren Menschen, der in diesem Leben aufgerieben wird; wer glaubt, erkennt und erfährt in seinem Leben die Macht und das Wirken Gottes.

Die Adressaten des ersten Petrusbriefs haben den irdischen Jesus von Nazareth nie gesehen, und dennoch sind sie in der Lage, ihm persönlich so zu begegnen, dass sie ihn wirklich lieben können. Wie ist das möglich? Die entscheidende Antwort gibt Paulus im Brief an die Römer (vgl. Röm 10,14-21); seine Ausführungen an dieser Stelle sind später auf die Formel gebracht worden: "Glaube kommt vom Hören." Und genau das haben die Adressaten des ersten Petrusbriefs getan: Sie haben der Verkündigung der christlichen Missionare zugehört – das wird am Ende der Eulogie in Vers 12 eigens betont –, haben dadurch Jesus kennengelernt und können ihn deshalb lieben: "Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt." (Joh 14,21)

Und zu diesen Missionaren gehört an prominenter Stelle der Apostel Petrus, der (traditionelle) Verfasser dieses Briefes. Er als Augenzeuge des irdischen und des auferstandenen Christus – wir werden diesem Aspekt im Laufe des Briefes noch tiefer begegnen – ist ein sehr geeigneter Vermittler für alle Christen, die Christus lieben, ohne ihn gesehen zu haben.

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