Von Gottesfabrikanten und -verwalternBei Karel Čapek entgleist der menschliche Allmachtswahn

Was passiert, wenn den Menschen plötzlich das Absolutum zur Verfügung steht? Bleiben sie seiner Herr – oder gerät es außer Rand und Band? Und vermögen sie selbst dadurch anders zu werden? Teils grotesk, tief rabenschwarz aber vor allem, fällt die Perspektive eines großen tschechischen Autors aus.

Buchillustrationen zu Karel Čapeks
Buchillustrationen zu Karel Čapeks "Das Absolutum oder Die Gottesfabrik" von seinem Bruder Josef Čapek, 1922© gemeinfrei/Wikimedia Commons

I.

Die Geschichte verläuft nicht ganz so, wie ich sie mir der Überschrift nach vorgestellt hatte. Die Gottesfabrik: das klang nach Wachablösung. Der des allmächtigen Schöpfers, welcher nun durch einen "noch allmächtiger" gewordenen in Serie geht. Das klang nach dem souveränen Menschen als Optimierer der Welt, bis hin zur Ausrufung des Homo Deus in seiner "Prothesen-Vollkommenheit". So etwa hatte ich mir dessen Tenor gedacht, als ich das Buch erstmals zur Hand nahm. Doch bei dem grandiosen Autor aus dem böhmischen Vorland von Rübezahls Reich ist manches anders.

II.

Zu seiner Zeit war Karel Čapek (der von 1890 bis 1938 lebte) weltberühmt, und dies sehr zu Recht. Um einen fantastischen Autor handelt es sich bei ihm, nicht nur, was die Qualität seiner Texte anbelangt, sondern auch deren Inhalt. Mit der Antizipation von Zuständen im Gefolge unablässigen Fortschritts beschäftigen sie sich. Auf Vorboten künstlicher Intelligenz stoßen wir bereits: die Roboter, im 1920 (zwei Jahre vor der Gottesfabrik) entstandenen Drama R. U. R., abgeleitet aus dem tschechischen Wort für "sich abplagen" oder "Frondienste leisten". Der Schriftsteller als Igel, der dem Hasen realer Entwicklung immer schon voraus zu sein vermag, zeigt sich noch in einem anderen Text Čapeks, dem Roman Krakatit (1924). Dort nimmt er die "Atomzerstückelung, Atomexplosionen, großartige Dinge" vorweg.

III.

Das Absolutum oder Die Gottesfabrik (so der vollständige Titel auf Deutsch) beginnt im Keller eines Prager Ingenieurs und endet in der Kneipe. Dazwischen gibt es jede Menge Geschichten. Und global Katastrophales ereignet sich. Eine mélange aus Komik, Schrecken und intellektuellem Tiefgang rührt der kurze Roman an. Niemand, denke ich oft, schildert groteske Verhältnisse so wirklichkeitsgesättigt wie die begnadeten Fabulierer aus unserem Nachbarland. Wobei: grotesk ist bei Čapek nur die Einkleidung, nicht aber der Kern.

Buchumschlag zu "Das Absolutum oder Die Gottesfabrik" von Karel Čapek, gestaltet von seinem Bruder Josef Čapek, 1922
Buchumschlag, gestaltet von Josef Čapek, 1922 gemeinfrei/Wikimedia Commons

IV.

Zur Sache: Im Mittelpunkt der 1943 anlaufenden Handlung steht die revolutionäre Erfindung eines Apparats. Jener so genannte "Karburator" ermöglicht, was Einsteins Formel E = mc2 besagt: die Umwandlung von (ausdrücklich "atomischer") Materie in Energie. Damit aber wird auch "das Absolutum" freigesetzt. Čapek geht von der pantheistischen Prämisse aus, dass es allenthalben sive natura sei.  

Nun hat die Angelegenheit jedoch einen Pferdefuß. Trotz seiner Indienstnahme gehorcht der "Gott" nur eigener Steuerung. Ihre liebe Not haben die Menschen mit ihm, und zwar aus doppelter Warte: "erstens einigermaßen traditionell, zweitens entschieden modern". Satirisch werden unkontrollierbare Begleiterscheinungen der abrollenden Dynamik ausgemalt.

Vorneweg veranlasst die atmosphärische Berieselung mit dem Höchsten, dass es auf breiter Front merkwürdig religiös zuzugehen beginnt. Erleuchtungen finden statt, ja sogar Wunder. Massenhaft werden gute Werke vollbracht. So verschenken Banker alles ihnen verfügbare Geld an Bedürftige. Fließend sind die Übergänge zum Technik-Management. Wo ein Karburator-betriebener Bagger als eiserner Sakralraum gilt, beispielsweise, mit dem Personal "als Priestern".

V.

Aber auch fatale Züge der Hervorbringung werden offenbar. Leistungsstark ist das Absolutum, doch maßlos und blind dabei. "Früher hat es die Welt erschaffen; jetzt hat es sich" (dem zur gleichen Zeit Fahrt aufnehmenden Kapitalismus ähnelnd) "auf die Produktion gestürzt", von Unmengen an Gütern, rasend schnell. Ökonomisch scheint dieser "Gott" unbeleckt zu sein, mit argen Folgen auch anderweitig. So wirbelt der Einbruch seiner unfassbar wundersamen Macht die Weltordnung rasch ins Chaos. 

Vermöge der Mechanisierung und Automatisierung des Lebens kreieren die Erdenbewohner etwas, das ihnen über den Kopf wächst und ihrer Kontrolle Hohn spricht. "Alles, was wir berühren, verwandelt sich in ein Werkzeug", sagt eine Figur in Čapeks frühem Erzählband Gottesmarter: "Auch der Mensch. Nur der da oben entzieht sich uns." Nun ist letzteres nicht mehr und eben doch der Fall.

VI.

Mit Bedacht wirft der Autor Seitenblicke auf die für solche Fragen zuständige Institution. "Weder die gläubige noch die ungläubige Menschheit", bemerkt ein Weihbischof anfangs, könne "einen wirklichen und tätigen Gott brauchen." Wie sehr er den Nagel damit auf den Kopf treffen mag, ist ihm vielleicht gar nicht bewusst. Und diesen möglichen Störfaktor betreffend weiter, pro domo: "denken Sie um Gottes willen nicht, dass die Kirche Gott in der Welt einführt! Die Kirche bindet ihn und reguliert ihn nur." Nach zweckhaften Kriterien verwaltet sie ihn, als vermeintlich ihr anheim gegebenes Argument. Auf den Karburator reagiert sie verspätet, dann aber radikal. Angesichts von dessen allseits verehrter Präsenz wird das neue Phänomen feierlich zum höchsten Gut erklärt, um bloß nicht an gesellschaftlicher Relevanz zu verlieren.

VII.

Dieser benachbart setzt Čapek eine zweite Pointe, und sie ist noch bitterer. Obschon der Mensch mit "Gott" überfordert bleibt, beansprucht er ihn doch zu seinen Zwecken, über das Praktische hinaus, und zwar jeweils exklusiv, mit hegemonialer Gebärde. Besitz und Herrschaft: anderes zu denken kann weder das Individuum noch der Staat. Von Moralbekundungen begleitet, nur den hehrsten Zielen folgend sowieso, finden technikgestützte Allmachtsphantasien ihre Fortsetzung in solchen auch geistiger Weltdominanz. Samt den damit verbundenen Kräften der Zerstörung sind sie jedenfalls stärker als die frommen Ausstrahlungen des Karburators. Durch sein reines Vorhandensein als "Maschine, in welcher der Glaube steckt", wird derlei sogar befeuert.

"Gott" (so stellt sich heraus) gerät zur strategischen Ideologie, für die man wechselseitig bereit ist, gegen andere zur Waffe zu greifen. Ein tief rabenschwarzes Bild zeichnet Čapek nicht nur von der Verstrickung des homo sapiens in seine neuen Möglichkeiten, sondern von ihm selbst als Unheils-Produzenten im Namen angeblicher "Werte".

VIII.

Erst vor dem Hintergrund eines verheerenden Untergangsszenarios kommt die nun ausbrechende Gewaltorgie aller gegen alle zur Ruhe. "Wir aber wissen", blickt der Erzähler nüchtern über 1943 dann ja tatsächlich schon Eingetretenes hinaus, "dass es in einigen Dezennien gelingen wird, einen noch größeren Krieg zu arrangieren, denn auch in dieser Richtung steigt die Menschheit höher und höher."

IX.

Am Stammtisch, wo sich zum Schluss wenige übrig gebliebene Mannsbilder unter philosophierenden Plaudereien an einer Schlachtplatte laben, Blut- und Leberwürsten auf leckerem Kraut, kommt dem Herrn Brych etwas in den Sinn: "Ein jeder meint es unendlich gut mit der Menschheit, nicht aber mit jedem einzelnen Menschen", findet er: "Und das ist nicht recht …"

Karburatoren immerhin gibt es (bis auf weiteres) nun keine mehr.

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