Wo Du war, soll Es werdenErnst Jünger und die Theologie

Das Wort Gott droht semantisch zu zerbröseln, seine personale Spitze zwischen theologischer Kritik und raunendem Alleinen zerrieben zu werden. Aber es gibt Widerlager, die sich dagegen wehren, aus dem ansprechbaren Du ein unpersönliches Es werden zu lassen – und die die Erinnerung daran wachhalten, dass Gott allein Herr der Geschichte ist.

Jan-Heiner Tück
© privat

I.

Die Semantik des Wortes Gott droht unscharf zu werden. Zwar gibt es die Gottprotzigkeit mancher Prediger, die nur zu genau wissen, was es mit dem göttlichen Geheimnis auf sich hat. Aber nicht minder droht die Gefahr, dass das Wort "Gott" im Laboratorium der wissenschaftlichen Theologie zerlegt wird oder im raunenden Beschwören des Numinosen semantisch zerbröselt. In einer Aufzeichnung aus Siebzig verweht von Ernst Jünger, die selbst auf ein Zitat rückbezogen ist, steht:

"'Das Wort Gott stammt aus germanischem Erbe, es war ursprünglich Neutrum, worin sich andeutet, daß es etwas Unnennbares, Unfaßbares meint. Noch im Althochdeutschen heißt der heidnische Gott daz abgot, steht also im Neutrum. In der Übersetzung von deus, dem persönlichen Gott des Christentums ins Germanische, wandelt das Wort got seine Bedeutung und wird Maskulin. Hier vollzieht sich nicht nur der Einbruch einer neuen Idee, sondern die Veränderung ursprünglicher Empfindungen und Auffassungen, des geistigen und seelischen Habitus.' Diese Stelle (aus Gerd Tellenbachs Essay 'Mentalität' aus der FS für Clemens Bauer) scheint mir wichtig, weil sich gerade in dieser Hinsicht ein neuer Mentalitätswandel ankündet. Die Personalität ist nicht nur sozial und politisch, sondern auch theologisch in Gefahr, und zwar weniger durch Aufklärung als durch wachsende und anonyme Vergeistigung. Die Person wird in der Mutterlauge aufgelöst; es fragt sich, was sich kristallisieren wird. Neue Worte werden nicht nur geboren; sie wollen auch getauft sein." (Siebzig verweht II, 324)

II.

Aus dem Neutrum ist in der Bibel eine Person geworden, die nun wieder neutralisiert und auf ein namenloses "Es" zurückgenommen werden soll. Diese Dämmerung der Personalität Gottes ist auch in Spielarten der gegenwärtigen Theologie zu beobachten, die eine Nähe zum Monismus suchen, um die Differenz zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung zu verflüssigen. Es erscheint als vorkritisch und naiv, Gott als Du zu fassen. Dadurch, dass man sich den Heiligen und Unaussprechlichen als ansprechbare Person vorstelle, werde Gott verendlicht, so lautet der Einwand. Das Absolute, das in Beziehung zu anderen steht, ist nicht mehr absolut! Wenn der unendliche Gott in Relation zum endlichen Menschen steht, dann wird er gerade durch diese Relation relativiert – und ist nicht mehr Gott.

Was aber, wenn der Unendliche selbst in Relation zum Endlichen stehen will? Diese Frage ist der blinde Fleck der Kritik am personalen Gottesverständnis der Bibel.

Seit Johann Gottlieb Fichte ist dieser Einwand in vielen Variationen geäußert worden. Was aber, wenn der Unendliche selbst in Relation zum Endlichen stehen will? Wenn die Unbegreiflichkeit des göttlichen Geheimnisses darin besteht, dass er sich dem anderen seiner selbst begreiflich machen will und dem Menschen auf menschliche Weise nahekommt? Diese Frage ist der blinde Fleck der Kritik am personalen Gottesverständnis der Bibel. Stattdessen wird gefordert, das biblische Gottesverständnis, das vormodern und mythologisch gefärbt sei, zu entpersonalisieren und auf ein namenloses Geheimnis zurückzunehmen, kurz: Was Gott war, soll das Göttliche werden. Denn alles, was war, ist und kommt, ist einbegriffen in das Walten des Unbegreiflichen, des All-Einen. "In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir", sagt doch schon Paulus in der Apostelgeschichte (Apg 17,28).

Die einzigartige Selbstoffenbarung Gottes in der Wüste am Sinai "Ich bin der Ich bin da" (Ex 3,14) soll im Licht der Inschrift von Sais "Ich bin alles, was ist, was gewesen ist und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben" umgedeutet und so zu einem Kosmotheismus umgestaltet werden, der in der Vielgestaltigkeit der Welt das verborgene Walten des All-Einen zu erkennen glaubt. Der Preis eines solchen Kosmotheismus ist, dass er die biblische Rede von Gott als einem Gott der Geschichte und des Bundes kassiert.

III.

Aber: Der scheinbar unaufhaltsame Siegeszug des Alleinheitsdenkens, das philosophisch und naturwissenschaftlich besser anschlussfähig zu sein scheint, wird aufgehalten durch die anhaltende Frömmigkeitspraxis gläubiger Menschen. Solange die Psalmen Israels als Partituren von Dank, Lob, Bitte und Klage in Gebrauch sind, solange in Klöstern das Stundengebet verrichtet und das Vaterunser von unzähligen Menschen täglich gebetet wird, gibt es performative Widerlager, aus dem ansprechbaren Du ein unpersönliches Es werden zu lassen. Auch hier könnte es sein, dass der einfache Hirtenjunge David in seinem frommen Grundvertrauen am Ende siegreicher ist als der intellektuell schwer bewaffnete Goliath in seiner ausgeklügelten Reflexivität.

Was wäre das für ein Gott, der vor dem Tribunal der menschlichen Vernunft in Verlegenheit geriete, weil er die Gleichbehandlungsimperative verletzt hätte? Würde er die Wucht der Theodizeefrage nicht ganz neu auf sich ziehen, wenn er den einen helfen, die anderen aber sitzen lassen würde? 

IV.

Die Theologinnen und Theologen sind, so Ernst Jünger, oft "Nachzügler". So sind sie heute mehrheitlich übereingekommen, dass der Interventionismus der einfachen Gläubigen überwunden werden müsse. Gott könne nicht auf menschliches Flehen hin eingreifen und den Lauf der Geschichte ändern, er würde ja dann die Gesetze, die er als Schöpfer in die Natur hineingelegt habe, selbst durchbrechen. Das wäre ein Selbstwiderspruch! Überdies erscheint es ungerecht, wenn er dem Flehen der einen entsprechen, das Gebet der anderen aber unerhört lassen würde. Was wäre das für ein Gott, der vor dem Tribunal der menschlichen Vernunft in Verlegenheit geriete, weil er die Gleichbehandlungsimperative verletzt hätte? Würde er die Wucht der Theodizeefrage nicht ganz neu auf sich ziehen, wenn er den einen helfen, die anderen aber sitzen lassen würde? Kurz: Der alte Supranaturalismus hat ausgedient, er ist in der Moderne nicht mehr vermittelbar, sagt die moderne Theologie.

V.

So berechtigt das Unbehagen ist, bestimmte Vorkommnisse in der Welt direkt auf das Wirken Gottes infolge inniger Gebete zurückzuführen, genauso misslich ist es, wenn einzelne Theologen meinen, göttliche Interventionen in der Geschichte grundsätzlich ausschließen zu können. Beide wissen zu viel und werden damit zu Advokaten usurpativer Theologie: Die einen, wenn sie meinen, genau sagen zu können, wo Gott handelt und wo nicht. Die anderen, wenn sie meinen bestimmen zu können, dass Gott in der Geschichte gar nicht handelt – oder in einer raffinierteren Variante, dass er nur handelt, indem er nicht handelt! Etwas weniger aber wäre mehr – und würde das Mysterium Gottes vor menschlichen Zu- und Übergriffen schützen und den Raum für die unmögliche Möglichkeit des Handelns Gottes in der Geschichte offenhalten. Das neue Dogma des Anti-Interventionismus aber dekretiert einen Gott, der in der Geschichte nicht handeln kann oder will – und droht so, das Bekenntnis zu Gott als dem Herrn der Geschichte zu einem Phantom der Grammatik, zu einer Fiktion der Frömmigkeit zu machen.

VI.

Wenn die "Innovation" einer anti-interventionistischen Theologie auf jene Amputation Gottes hinausläuft, die schon der englische Deismus vertreten hat, dann ist sie am Ende alt und überflüssig.

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