"Es kommt ein Schiff geladen", ein Lied zu singen im vorgerückten Advent, zu singen nicht im Gestus eines lautstarken "Jauchzet frohlocket", sondern in stiller Vorfreude, wie gemacht für den Sonntag Gaudete. Der Erfinder oder die Erfinderin sind nicht bekannt. Ein Lied aus der mystischen Tradition besingt ein Schiff, von dem gesagt werden kann: Ganz sicher kein "Schiff, das sich Gemeinde nennt". Das gibt zu denken.
Schon Horaz warnte in seinem Carmen 1,14: "O navis referent in mare te novi fluctus, o quid agis? Fortiter occupas portum." (dt. Soll dich von neuem, o Schiff, tragen ins Meer die Flut? Heftig behaupte den Hafen) – und er dachte dabei an das Staatsschiff. Sich nun das Leben der Kirche als Schiffsreise vorzustellen, scheint demgegenüber zunächst ein elementar maritimes und mitreißendes Bild zu sein. Die Vorstellung mag elektrisieren, sich den Wind um die geistliche Nase pfeifen, den frommen Kopf durchpusten zu lassen, so das menschliche Haupt zu erheben und sich im Auf und Ab des Wellengangs im Rhythmus der Lebensbewegungen einschwingen zu lassen. Auf dem Meer des Lebens unterwegs sein in der Weite der See im Horizont funkelnder Sterne, gaudete! … Aussichten auf Lebensglücksmomente, symbolisiert doch das Schiff die bergende Kraft der Arche Noah, und verkörpert zugleich die Hoffnung, dass – wenn es ganz blöd kommt im Leben – dennoch Leib und Seele irgendwie in einer Arche eingepackt bleiben. Irgendwann wird Land in Sicht sein.
Unterwegs wie Odysseus
"Alle Winde pfiffen um das Floß … her. Sein Herz, seine Knie zitterten. Leise jammerte er in sich hinein … Das Floß geriet in einen Wirbel; das Ruder fuhr ihm aus der Hand. Da ging das Floß in Stücke, er selbst taumelte weit von dem erschütterten Fahrzeug; Mastbaum und Segelstangen trieben da und dort über das tobende Meer hin. Er tauchte in die Brandung unter … seine nasse Kleidung zog ihn immer tiefer hinab. Endlich tauchte er wieder auf, spuckte das Salzwasser, das er geschluckt hatte aus und schwamm den Trümmern des Floßes nach, packte das größte Stück, konnte sich darauf niederlassen und erreichte mitten darauf…" das rettende Ufer.
So kann das eben auch sein. Odysseus unterwegs, wie vor 2.500 Jahren geschildert. Nicht jedes Schiff hat Arche-Noah-Qualitäten. Wo Schiffe auf dem Wege sind, da ist auch Schiffbruch ein Thema. Stark erzählt einst von Homer – von Gustav Schwab Mitte des 19. Jahrhunderts in packende Prosa gefasst –, wirkt das tauglich für heute: Auch dieser Tage gibt es zitternde Knie, Standunsicherheit in der Lebensbestimmung, – das Ruder fährt aus der Hand – und es folgt ein misslicher Steuerungsverlust auf dem Fuße, den das "Handbuch Unternehmenskommunikation" euphemistisch in die Bewegung "Von der Kommunikationshoheit zur Polyphonie" transformiert und damit schwerlich überzeugt. Über einen echten Reinfall, ein Hinabtaumeln in Abgründe kann regelmäßig berichtet werden, und wenn es gut geht, treibt irgendwo eine Planke umher, an der sich das strauchelnde Subjekt festhalten kann, eine Planke aber, die unter Umständen zum vergeltenden Verhängnis werden kann: "Batavia. Fünfhundertzehn" (Annette von Droste-Hülshoff).
Im Namen von Transformations- und Zukunftsprozessen, die der kirchlichen Zukunft den Prozess machen, soll alles buchbar, planbar werden.
Gerade im Advent 2024 gibt die Kirche als ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, ein zwiespältiges Bild ab. Um als Autor der eigenen evangelischen Kirche treu zu bleiben: Die einen sagen, die evangelische Kirche gebe zwar vor, im Zeichen des Kreuzes zu segeln, bilde aber in Wahrheit ein viel zu Staats-analoges Kreuzfahrtschiff. Zu vieles werde organisiert, überorganisiert, oder oftmals aneinander vorbei organisiert. Im Namen von Transformations- und Zukunftsprozessen, die der kirchlichen Zukunft den Prozess machen, soll alles buchbar, planbar werden. So viel wie möglich werde abgesichert, vermessen, eingeordnet, kartographiert, digital technisiert, datengeschützt und KI-unterstützt … Ein solches Kirchenkreuzfahrtschiff sei vollkommen ungeeignet für religiöse Abenteuer- und Entdeckerreisen. Eine Reise mit diesem evangelischen Kreuzfahrtschiff? "Nein danke! Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich".
Quo vadis Volkskirchen?
Die anderen aber unken herum und meinen: Die evangelische Volkskirche zu Deutschland sei als Kirchenschiff der Gefahr ausgesetzt, mit einem reichlich schiffbrüchigen Selbstbild unterwegs zu sein. Krisenbetroffen und durch die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt als notwendiges Dauerthema leicht wurmstichig von innen geworden, tummelten sich auf der Brücke dieses Schiffes emsig mit sich selbst beschäftigte Leitungsorgane herum, die Machtfragen reflektierten, die jenseits dieser Brücke wirklich niemanden interessierten – die evangelischen Volkskirche zu Deutschland verkommt so gesehen zu einer Art Pamir mit der Prognose als einst schwimmende unsinkbare ekklesiale Legende hart am Wind der Zeit unterwegs und allseits respektiertes Prachtstück eines evangelischen debattenfreudigen Frömmigkeitspluralismus im Hurrikan säkularisierter Anfragen und Provokationen zu kentern, um in nicht allzu ferner Zeit in Gestalt eines leckgeschlagenen Rettungsboots mit nur wenigen Überlebenden als Gedenkstätte in einem Seitenschiff der Kirchengeschichte zu stranden. Ob es der römisch-katholischen Kirche mit ihren synodalen Prozessen besser ergeht?
Ist es die Aufgabe und der Auftrag der Kirche, die geistliche Sehnsucht in der Form zu schüren, dass die Kirche, bzw. dass in der Kirche Menschen unterwegs sind, täglich auf der Suche danach, etwas zu entdecken, so lang, bis das (kirchliche) Leben vorbei ist?
Dritte beschwören ein agiles kirchliches Unterwegssein auf einem religiösen, für interreligiöse und interkulturelle Fragen aller Art offenen protestantischen Erkundungsschiff – so in der Weise von Sten Nadolnys Nordpolforscher John Franklin, von dem in der "Entdeckung der Langsamkeit" geschrieben steht: "Er hatte nur die Sehnsucht, unterwegs zu bleiben … auf dem Schiff, fort und fort, auf Entdeckungsreise, bis das Leben vorbei war."
Aber auch an die katholische Kirche die Frage gerichtet: Ist es die Aufgabe und der Auftrag der Kirche, die geistliche Sehnsucht in der Form zu schüren, dass die Kirche, bzw. dass in der Kirche Menschen unterwegs sind, täglich auf der Suche danach, etwas zu entdecken, so lange, bis das (kirchliche) Leben vorbei ist? Das alte Lied "Es kommt ein Schiff geladen" belehrt die Kirche eines Klügeren:
Advent – gaudete! – Die Kirche sollte endlich aufhören damit, pausenlos Schiff auf hoher See sein zu sollen, kann aufhören damit, mit kreuzschiffartigen Absicherungen oder Agilitätsphantasien überanstrengt auf ein frommes Ziel zu navigieren. Sie kann damit beginnen, endlich Hafen zu werden.
Die Erlösung kommt auf die Menschheit zu
Hafen, nicht Schiff sein! Das ist die Ansage des Advents. Nicht die Menschheit nähert sich der Erlösung. Es ist genau umgekehrt. Die Erlösung kommt auf die Menschheit zu. Gott ist in Gestalt der Maria als Sohn Gottes und Mensch zugleich zur Welt gekommen, kommt so auch auf die Kirche zu. Maria, das Schiff Gottes.
Gott selbst macht sich auf, bis zum obersten Rand geladen mit seiner Menschenfreundlichkeit, die ihn Mensch werden lässt. Das ist die elementare Bewegungsenergie, von der Christinnen und Christen, von der die römisch-katholische wie die evangelische, überhaupt die Kirchen dieser Welt zehren können.
"Es kommt ein Schiff geladen …" Gott selbst unterwegs einst mit und in Maria, wirft den Anker ab, geht an Land, alle Jahre wieder, um Fuß zu fassen, und setzt Menschen darüber ins Bild, dass nicht sie, die Menschen die Verlorenen sein müssen, die ihre Verluste mutterseelenallein zu bewältigen und zu verarbeiten haben. Vielmehr gilt: "zu Bethlehem geboren, im Stall ein Kindelein, gibt sich für uns verloren, gelobet muss es sein." So wirkt der auf uns zusegelnde Gott. Wenn das kein Grund zu stiller Freude ist!