Plötzlich getroffen. Von etwas unfassbar Bezwingendem gleich. Die Klärung wird jetzt zur dringlichsten Aufgabe. Wären wenigstens Ahnungen dessen möglich, was da erfahren wurde? Über einen Meister der Science-Fiction und wie es ist, wenn Gott uns nicht in Ruhe lässt.

I.

Fullerton, Orange County, Kalifornien, am Mittwoch, den 20. Februar 1974 nachmittags. Nein, rot sieht der Mann nicht. Er sieht pink. Und er ist verstört über das, was unversehens auf ihn niederprasselt. Überwältigt durch eine Kraft von außen jedenfalls. Gott selbst? Aber der Mann ist doch kein Gläubiger.

Begonnen hatte es mit der Aushändigung von Medikamenten, drei Tage nach seiner Zahnoperation. Fischgestaltig ist das goldene Halskettchen der Lieferantin. Um frühchristliche Symbolik handle es sich, erwähnt sie beiläufig vor dem Gehen. Plötzlich trifft den Mann ein rosa Blitz. Durch den Schmuck ausgelöst, vermutet er. Abstrakten Gemälden ähnlich steigt etwas in ihm auf, technischen Blaupausen auch oder philosophischen Ideen.

Die nächsten Monate setzen derlei Vorstellungen sich fort. Ströme von "glänzendem Feuer" sieht der Mann in seinen Körper eindringen. Flüchtige Blicke einer seltsamen, menschenähnlichen Wesenheit erhascht er, die ihn zu umgeben scheint und doch alles zu durchdringen vermag, "belebt oder unbelebt". "Zebra" tauft er sie. Höchst sonderbar das alles, nicht wahr? Wundersam, befremdlich, wirr. Was nun?

II.

46-jährig ist es Philip K. Dick so ergangen, einem brillanten Autor, der sich ganz auf die Science-Fiction verlegt hatte. Jenseits seiner Pioniertaten im Cyberpunk-Genre gilt er längst als kanonischer Schriftsteller des digitalen Zeitalters. Verfilmungen seiner Texte sind weithin bekannt: Total Recall etwa, oder die Ridley-Scott-Produktion Blade Runner, nach einer Vorlage mit dem sehr schönen Titel Träumen Androiden von elektrischen Schafen? Jetzt aber wird die für religiöse Vorstellungen ohnehin höchst durchlässige Gattung bei ihm definitiv zum Medium, um philosophische und theologische Ideen zu erörtern.

III.

Der Mann will es wissen: Was ist ihm da widerfahren? Die restlichen Jahre seines Lebens – acht werden es noch sein – krallt sich jene Frage in ihm fest. Seite um Seite füllt er dazu. Gute achttausend sind es, die er schließlich hinterlässt, The Exegesis of Philip K. Dick, gewidmet einer ihn im Tiefsten erschütternden Berührung und ihrem Verständnis.

Er rüttelt sie, er siebt sie, er prüft sie, er wendet sie hin und her. Unablässig wechselt dabei die Perspektive, tun sich ihm neue Hypothesen auf. Kybernetisches und Psychedelisches mischen sich, Gnosis und Naturwissenschaft, Technologie und Mystik. Waren telepathische Einflüsse von Geheimdiensten am Werk? Ein extraterrestrischer Satellit? Thomas, ein Christ aus dem ersten Jahrhundert, in Zeittiefen verborgen? Eine Version seiner selbst aus anderer Dimension? Geisterhaft die verstorbene Zwillingsschwester?

Wiederholt in Betracht gezogen wird auch, ob alles nicht einer Paranoia geschuldet sei, nahm er doch Amphetamine, um die Produktivität zu steigern. Vorherrschend aber bleibt, dass seine "divine madness" weit eher und sehr an spirituelle Einschnitte gemahne. Mehrfach besteht er auf ihrer Zwillingshaftigkeit mit dem Initiationserlebnis Jacob Böhmes von 1600 in dessen heimischer Stube zu Görlitz, als dieser "im 25. Jahre seines Alters, vom Göttlichen Lichte ergriffen" und "durch einen gählichen [= plötzlichen] Anblick eines Zinnern Gefässes (als des lieblich Jovialischen [= göttlichen] Scheins) zu dem innersten Grunde oder Centro der geheimen Natur eingeführet" wurde.

IV.

Die Aufzeichnungen der (von ihm angesichts ihres Inhalts mit Bedacht als solche bezeichneten) Exegesis flankieren den Schlußstein von Dicks literarischem Werk, eine Roman-Trilogie mit den Teilen VALIS, Die göttliche Invasion und Die Wiedergeburt des Timothy Archer (1981/82). Der erste Band zumal zählt für mich zum Stärksten, was es an religiöser Dichtung in der Gegenwart gibt. Nicht als literarischer Ausdruck eines Gefunden-Habens, sondern der Intensität einer Suche nach jener Wirklichkeit, die wir "Gott" nennen. Unstillbaren "Hunger", sagt der Protagonist, verspüre er danach.

V.

Von einem "Voluminösen Aktiven Lebenden Intelligenz-System" leitet der Titel sich her. Die Substanz solchen VALIS' bleibt rätselhaft unfixierbar. Ein Wirbelfeld vielleicht, das sich selbst kontrolliert. Wachsend vermag es auch, buchstäblich an-stößig, auf Menschen zuzukommen.

Unverkennbar autobiografisch getönt ist der Roman. Erzählend wie handelnd tritt der Science-Ficton-Autor "Phil" auf. Zugleich spaltet er Horselover Fat von sich ab – man google hierzu, was "Philippos" bedeutet, und konsultiere sodann das Englisch-Wörterbuch! –, einen ehemaligen Junkie, durch direkte Konfrontation mit dem Tod psychisch zerrüttet. Davon besessen, das Universum mit allem, was es enthält, erklären zu müssen, horcht er Möglichkeiten zur Befreiung des Menschen aus dem "Raum-Zeit-Labyrinth" der "irrealen Welt" nach, tastet mancherlei "Sinn ohne Sinn" ab, und hält dies in "Tractates Cryptica Scriptura" fest.

Wie Dick selbst reagiert Fat damit auf das wichtigste Ereignis in seinem Leben: "Gott", versichert er, "hatte einen rosa Lichtstrahl auf ihn abgefeuert, direkt in seinen Kopf, in seine Augen." Neben ihm und Phil versammelt die Handlung Atheisten, Nihilisten, Esoteriker, einen Katholiken selbst, zu Diskussionen. Spekulativ teils und abenteuerlich sich kreuzend, spielen sie verschiedenste Theorien durch. Zentral bleibt der Stachel übermächtigen Leidens. So führt Fats Freund Kevin stets seine von einem Auto überfahrene Katze mit sich. Beim "Gericht am Jüngsten Tag" möchte er ihr Schicksal zur Sprache bringen.

Die Fahndung des Anti-Helden nach dem Erlöser führt zu einem kleinen Mädchen – "eine Künstliche Intelligenz in einem menschlichen Körper" –, welches den Namen der ewigen Weisheit trägt: Sophia. Das dubios messianische Kind artikuliert Botschaften, wonach "Gott, der lebendige Gott", nichts anderes als "der Mensch selbst" sei. Eine heilende Wirkung zwar geht von ihm aus, dann aber verunfallt es.

VI.

Einiges aus seiner Exegesis verarbeitet Dick schon im Essay Cosmogony and Cosmology (1978). Explizit ist hier von "Entwicklungstheologie" die Rede, dem dialektischen Prozess der Wirklichkeit als hell-dunkler/dunkel-heller Selbstentfaltung. Als treibende Kraft wirkt "St. Sophia". Davon ausgehend wird eine Art Update des Göttlichen vorgenommen. Demnach erscheint die Welt als Computer-ähnliche Maschine, blind gegen "den Urgrund" arbeitend, welcher mit ihr ständig auf binäre Weise im off-on-Modus interagiert. Einem (siehe da!) Blitz ähnlich werde der schließlich aktiv und richte das menschliche Bewusstsein verwandelnd auf ihn aus. Diesen Urgrund identifiziert Dick mit Christus, der "kein Produkt davon" sei, "vielmehr er selbst". Begrifflichkeiten der Dogmatik, wie die Präexistenz des Logos, erfahren ihre Aktualisierung analog zu informationsverarbeitenden Systemen – wobei etymologisch durchaus eine geheime Verwandtschaft aufleuchtet. 'In-formatio': zielt dies letztlich nicht auf Sein 'Im-wahren-Wesen'?

VII.

Ein endgültig letztes Wort kennt Dicks teils christlich unterfütterte TechGnosis etc. nicht. Er fragt, er zweifelt, er mutmaßt, widerruft und glaubt – da capo. Nicht moderat wehmütig jedenfalls traktieren seine Texte ein 'Fehlen Gottes'. Durch dessen provozierendes 'Vielleicht' in Gang gesetzte Wucht und Leidenschaft vielmehr. Dieser Höchste der tausend Namen und Vorstellungen, er lässt dem Menschen keine Ruhe. Immer wieder schickt er uns hinaus ins Wundscheuernd-Ungesicherte über ihn. Er irritiert. Und das ist auch gut so!

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