Die Reihe "Scriptorium" lässt Benediktiner und Benediktinerinnen zu Wort kommen, die zuweilen oder sogar häufig gar nicht in ihrem eigenen Kloster sind. Dass die in dieser Reihe erscheinenden "Briefe aus dem Kloster" zuweilen an Orten entstehen, an denen Autoren nur vorübergehend sind, steht durchaus in der Tradition des Mönchtums.
Das weltweite Netz an Klöstern hilft, dass sich ein Mönch auch in fremden Gegenden zuhause fühlt, dort Mitbrüder hat, leicht in ihre Gepflogenheiten hineinfindet und sich mit deren Aufgaben identifiziert. Mich führte das "Theologische Studienjahr Jerusalem" (TSJ) in der Osterwoche von der Ewigen in die Heilige Stadt. Vor 50 Jahren wurde das TSJ von den Benediktinern auf dem Zionsberg gegründet und mit der Benediktinerhochschule Sant'Anselmo auf dem römischen Aventin affiliiert. Das Jubiläum dieses Studienprogramms gibt einen aktuellen Einblick, wie an einem benediktinischen Ort Menschen geprägt werden.
Bleiben
"Wir wussten, die Mönche bleiben auch", erzählten mir Studierende. Das war eine Motivation für sie, nach den Gräueltaten der Hamas an der israelischen Bevölkerung im Oktober und den folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen in Jerusalem zu bleiben. Ein kleiner Teil verließ aus verschiedenen persönlichen Gründen die Heilige Stadt, wurde aber von den Benediktinern des Wiener Schottenstifts aufgenommen. Dort nahmen sie an den Veranstaltungen online teil. Die ganze Gruppe blieb beständig im Sinne des hl. Benedikt, insofern alle einer Gemeinschaft angehörten (stabilitas in congregatione, RB 4,78) und zur je eigenen Lebensbeständigkeit fanden (stabilitas sua, z. B. RB 58,9).
Vor 33 Jahren war das gesamte TSJ während des Irakkrieges für einige Monate ins Schottenstift übersiedelt; das Studienjahr 2020/2021 fand zur Gänze wegen der Corona-Pandemie in Sant'Anselmo in Rom statt. Beständigkeit braucht Flexibilität.
Erfahrungsorientierte Theologie
Das TSJ wurde von Abt-Administrator Laurentius Klein (1928–2002) ins Leben gerufen, der eigentlich auf den Zionsberg gekommen war, um die Auflösung der alten Mönchsgemeinschaft abzuwickeln. Doch die Abtei erhielt neuen Schwung u.a. durch die jährlich 20–25 Studierenden. Oft geht monastische Erneuerung mit einer sinnvollen Aufgabe einher. Von den 1.200 gut vernetzten Absolventen dieser 50 Jahrgänge ist ein beachtlicher Teil zum Jubiläumsprogramm in der Osterwoche gekommen und hat einen Kontrapunkt zu den ausbleibenden Touristen- und Pilgerströmen gesetzt.
Der Berliner evangelische Theologe Christoph Markschies, Absolvent und langjähriger Dozent des TSJ, hat in einem Statement den unmittelbareren Erfahrungsbezug dieses theologischen Programms hervorgehoben. Gemeinsam leben, studieren, glauben – in Anbindung an das Kloster, zu gleichen Teilen katholisch und evangelisch, männlich und weiblich. Abt Nikodemus Schnabel, selbst ein Absolvent des TSJ, sprach von einer nachhaltigen "Biographieprägung", die jährlich von August bis Ostern geschehe.
An keinem anderen Ort kommen sich christliche Konfessionen und die drei monotheistischen Religionen so nahe.
Ortsbezogenes, interkulturelles Lernen
Die Verzahnung von akademischer Lehre und religiösem Leben bestimmt nicht nur die Gemeinschaft von Studierenden, Assistenten, der Studiendekanin und Dozierenden. Sie wird auch durch viele Exkursionen gewährleistet, die neben archäologischen Erkundungen existentielle Erfahrungen biblischer Urlandschaften ermöglichen.
An keinem anderen Ort kommen sich christliche Konfessionen und die drei monotheistischen Religionen so nahe. Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen treten unter einem Jahresthema auch ortsansässige jüdische und muslimische Lehrende auf, im Hörsaal und bei Feldstudien. So entsteht eine vielperspektivische "Theologie des Heilsraumes". Diesen Begriff verwendete Laurentius Klein gerne. Er wollte Theologiestudierende zu einer "erneuerten Begegnung mit Jesus und miteinander" führen und zu einem "weiten Herzen" (RB Prol 49): "Die eigene Identität bestimmt sich in der Begegnung mit den anderen neu." So betonte auch die frühere deutsche Bildungsministerin Annette Schavan, Vorsitzende des Beirats des TSJ, dass Papst Franziskus die Theologie als "kulturelles Laboratorium" bezeichnete (Veritatis gaudium), woraus der Anspruch entsteht, dass "Theologie verändert".
Welch weite Kreise ein kleines benediktinisches Studienprogramm zieht, zeigte neben Absolventen und Freunden des TSJ auch die Teilnahme des Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa, des Festredners Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, sowie des Rektors der Uni Köln, Joybrato Mukherjee, Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, der das Programm von Anfang an hauptfinanziert. Die Präsenz dieser und vieler anderer Persönlichkeiten des religiösen und öffentlichen Lebens – typisch für Feiern in Benediktinerabteien – zeigt, dass Klöster ihre eigenen Aufgaben gerade heute nur mit anderen neu wahrnehmen und gestalten können.