Zur Elastizität der benediktinischen Tradition gehört auch, dass die Gestaltung des Abtsamtes viele Transformationen durchgemacht hat. Im Hoch- und Spätmittelalter gab es häufig Kommendataräbte, die selbst keine Mönche waren, aber Anspruch auf die äbtlichen Einkünfte hatten. Um dem zu begegnen, wurde ab dem 15. Jahrhundert in Italien und anderswo eine befristete Wahl der Äbte durchgesetzt, manchmal sogar alljährlich. Der romantische Neuaufbruch im 19. Jahrhundert bevorzugte wieder das lebenslange Abbatiat. Bei körperlicher oder geistiger Gebrechlichkeit des Amtsinhabers behalf man sich mit Koadjutoren. In den letzten Jahrzehnten hat sich dagegen bei vielen Benediktinern wieder eine Befristung der Amtszeiten durchgesetzt, entweder mit einer Altersgrenze oder mit einer Wahl, die von vornherein nur auf 6, 8 oder 12 Jahre erfolgt.
Damit stiegt auch die Zahl der Altäbte deutlich an, was wiederum Anlass gab, über deren Rolle und Stellung nachzudenken. Früher war der Altabt ein pensionierter Senior-Patriarch, der etliche Privilegien besaß. Heute, da es deren etliche gibt und viele auch schon in jüngerem Alter diesen Status erreichen, kehren sie vielerorts einfach ins Glied der Gemeinschaft zurück. Die Zeichen der äbtlichen Autorität, Brustkreuz und Ring, verschwinden in der Schublade, und Mitra und Stab werden allenfalls noch gebraucht, wenn der neue Abt oder ein Bischof vertreten werden muss.
Durch diese Entwicklung ist das Abtsamt in gewisser Weise wieder stärker an seinen funktionalen Ursprung zurückgebunden worden: Anstelle einer überzeitlichen Würde – quasi eines character indelebilis – ist man eben nur Abt, solange man eine Gemeinschaft leitet.
Würde es der Kirche helfen, auch einmal über das Bischofsamt neu nachzudenken?
In der historischen Perspektive wurde das Abtsamt lange in großer Nähe zum Bischofsamt gezeichnet. Die äußeren Zeichen – Mitra, Stab und die sonstigen Pontifikaldekorationen und -riten – legten diese Nachbarschaft nahe. Wie der Bischof trägt der Abt Verantwortung für eine ecclesia – eine Teilkirche – oder wenigstens eine ecclesiola, eine kleine kirchliche Gemeinschaft, wie das in den frühen monastischen Quellen gerne bezeichnet wird. Bis zum Tridentinum waren Äbte neben den Bischöfen die größte Teilnehmergruppe bei den ökumenischen Konzilien. In der frühen Neuzeit kam es sogar vor, dass Äbte höhere Weihen spendeten, auch wenn das theologisch umstritten war und sich nie durchgesetzt hat.
Während das Wesen des Bischofsamtes auf dogmatischer Ebene ziemlich fixiert ist, blieb die Rolle der Äbte aber immer im Fluss. So war es leichter, im Lauf der Jahrhunderte auf sich verändernde Bedürfnisse zu reagieren und die Praxis an neue Erkenntnisse zum Wesen von Leitung anzupassen. Würde es der Kirche helfen, auch einmal über das Bischofsamt neu nachzudenken? Die häufigen Zwischenrufe pensionierter Bischöfe – das geht von emeritierten Kardinälen bis hin zu Weihbischöfen, und kulminiert in der Clown-Show des ehemaligen Nuntius Viganó – werden gerne mit dem Hinweis auf eine angebliche Verantwortung als Nachfolger der Apostel garniert. Man darf sich aber schon fragen, ob jemand, der allenfalls für eine bayerische Dorfpfarrei Verantwortung getragen hat, wirklich dem Rest der Welt erklären muss, wo's lang geht.
Bei einer allfälligen Neukalibrierung des Bischofsamtes wäre es vielleicht sinnvoll, die Rolle und Autorität eines solchen Hirten der Kirche eher an seiner Verantwortung für reale Gemeinden zu messen als an sakramentaler Gnade oder apostolischer Sukzession.