Wie für Nationen und Völker, so gibt es auch für die Orden Stereotypen. Mit Benediktinern assoziiert man gemeinhin die reichen Abteien und eine gewisse Gravität in der Erscheinung, währenddessen mit den Franziskanern, die dem Ideal der Armut folgen, eine fröhliche Leichtigkeit. Zwischen den "reichen" Benediktinern und den "armen" Franziskanern kann man schnell Gegensätze herstellen. Näher betrachtet ergeben sich jedoch nicht wenige Gemeinsamkeiten.
Bereits an den franziskanischen Anfängen stehen Benediktiner. Die "Wiege" der Franziskaner, die Kapelle Porziuncola in der Nähe von Assisi, wo sich die erste franziskanische Gemeinschaft bildete, gehörte den Benediktinern, die den Ort dem heiligen Franziskus und seinen Mitbrüdern überließen. Hier wurde die heiligen Klara als Ordensfrau aufgenommen. Mangels einer entsprechenden Regel für die neue geistliche Gemeinschaft, nahm sie für ihren Frauenkonvent zunächst die Regel des heiligen Benedikt an, erst kurz vor ihrem Tod stimmte der Papst der von ihr verfassten neuen Regel zu, die den Anfang des Klarissenordens markierte. In Subiaco, an dem Ort, an dem der heilige Benedikt seine ersten Klöster gründete, findet sich die erste Darstellung des heiligen Franziskus, und man vermutet, dass er persönlich diesen benediktinischen Ort besuchte. So gesehen haben die Franziskaner manches von den Benediktinern empfangen.
Ohne Zweifel sind die Franziskaner in ihrer Ordensstruktur beweglicher als Benediktiner mit ihrem Gelübde der stabilitas (Beständigkeit). Aber auch die franziskanische Fröhlichkeit entbehrt nicht der Schwerkraft. Wenn der heilige Franziskus erklärt, worin die wahre Freude besteht, macht er deutlich, dass nicht die missionarischen Erfolge, nicht der Zuspruch für Predigt und Heiligkeit einem die wahre Freude einbringen. Wahre Freude bedeutet vielmehr, dass man die Geduld und das heitere Gemüt bewahrt, auch dann, wenn man an einem späten Winterabend nach langer Wanderung angekommen, von den Mitbrüdern verkannt und als falscher Bettler verjagt wird. In kindlicher Heiterkeit preist Franziskus diese Situation als Grund zur Fröhlichkeit. Dass er zu dieser aus Leiden und Geduld geborenen Freude fähig war, bezeugt sein Sonnengesang, den er keineswegs von der lieblichen umbrischen Landschaft inspiriert, sondern von schwersten Leiden geplagt komponierte: blind, voller Schmerzen, frierend und äußerst erschöpft bricht ein versöhnlicher und versöhnender Lobpreis aus seinem Herzen hervor.
Die Freude als Maßstab christlicher Existenz
In der Benediktsregel vermisst man diese Fröhlichkeit, diese Leichtigkeit. Wenn man sich dabei darauf beruft, dass der heilige Benedikt Albernheiten und Gelächter aus dem Kloster verbannt (RB 6), dann hat man den Sinn der Regel nicht verstanden. Benedikt legt nämlich großen Wert darauf, dass im Kloster alles so geregelt wird, dass im Hause Gottes niemand traurig sein darf (RB 32). Dahinter steht die Idealvorstellung, dass die klösterliche Gemeinschaft grundsätzlich eine heitere Atmosphäre begründet. Auch spürt man in der Regel etwas von dem, was Franziskus später als die wahre Freude beschreibt: Benedikt empfiehlt seinen Mönchen einen gelassenen Umgang mit dem Gefühl von Überfordert-Sein (RB 68): Wenn jemand eine Aufgabe als Last empfindet, die seine Kräfte übersteigt, soll er dies ruhig aussprechen, aber auch akzeptieren, wenn ihm diese Aufgabe nicht abgenommen wird. Dies kann aber nur dann gelingen, wenn der Betroffene in Gottesvertrauen von den Problemen und Belastungen Abstand nimmt und sich für Leichtigkeit und Heiterkeit entscheidet. So ändert sich der Blick und weitet sich das Herz. Dieses "weite Herz", von dem der heilige Benedikt im Prolog seiner Regel als vom idealen Ziel unseres Lebens spricht, bedeutet keine Leichtfertigkeit, sondern besteht in der Leichtigkeit eines in Herausforderungen erprobten und in Vertrauen bewährten Lebens.
Ist es erstaunlich, dass sowohl der heilige Benedikt als auch der heilige Franziskus die Freude als höchstes Ideal betrachten? Keineswegs! Beide haben die Quelle ihres Glaubens, ihres Lebens und ihrer Lehre im Evangelium, eben in der "frohen Botschaft" Jesu Christi: "Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird" (Joh 15,11). Der menschgewordene Sohn offenbart uns den Willen des Vaters, der uns alle zum Heil, zum wahren Glück berufen hat. Daraus folgt, dass wir letztlich zur Freude "verpflichtet" sind: "In der christlichen Existenz ist die Freude der letzte Maßstab", wie es ein unverdächtiger Jesuit formuliert hat.