Darf ich als Benediktiner diesen Titel setzen? Sagt nicht gerade die Benediktsregel: "Müßiggang ist ein Feind der Seele" (RB 48,1)? "Müßiggang" hat hier eindeutig einen negativen Charakter. Der Mensch des Müßiggangs arbeitet nicht und vertut seine Zeit. Auch infolge einer calvinistisch geprägten Arbeitsethik gilt in westlichen Gesellschaften bis heute ein solcher Müßiggang als Zeitverschwendung.
Heute sind allerdings Wellness und "Chillen", wie Erholen modern heißt, Inbegriffe eines Lebensgefühls, über die der Mensch abseits des Drucks der Arbeit zu sich selbst kommen möchte. Gab beim heiligen Benedikt die Arbeit dem Menschen Sinn und Würde, ist es heute oft die Freizeit. Hat sich der heilige Benedikt also völlig geirrt mit seiner Ansicht, der Müßiggang sei ein Feind der Seele?
Die Seele ist der Ort unserer Gottesbeziehung, der Ort unserer Sehnsucht, die uns entweder zu Gott treibt – oder von ihm entfernt.
Benedikt macht diese Aussage im Kapitel 48, das mit "Von der täglichen Handarbeit" überschrieben ist. Als Gegenmittel zum Müßiggang gibt er in diesem Kapitel aber nicht etwa nur die Arbeit an, sondern auch das Studium. Genauer genommen ist es die gesunde Anordnung von beidem, die uns helfen kann, gegen den "Feind" in unserer Seele anzugehen. Darum hebt er in Vers 2 an: "Und so meinen wir, durch folgende Verfügung die Zeit für beides ordnen zu können." "Ordinare": Ordnen, regeln. Natürlich will eine Regel unser Leben zuerst einmal regeln. Das Wort "ordinare" kommt in der Benediktsregel auch noch ein zweites Mal vor: "Wenn ein Abt die Bitte stellt, dass ihm ein Priester oder Diakon geweiht wird" (RB 62,1). "Ordinare" heißt eben auch "in ein Amt einsetzen", "weihen". Benedikt geht es in Kapitel 48 also nicht nur darum, Arbeit und Studium gut im Alltag zu verteilen und damit unser Leben zu ordnen, sondern unsere Zeit zu heiligen, sie zu weihen. Und was tut der Unruhe unserer Seele besser als eine geheiligte Zeit?
Die Seele ist der Ort unserer Gottesbeziehung, der Ort unserer Sehnsucht, die uns entweder zu Gott treibt – oder von ihm entfernt. Es braucht darum heilige Zeiten, in denen wir unserer Seele einen Raum geben, immer wieder zu Gott zu finden und uns nicht von unserer Unruhe und unseren Begierden von ihm ablenken zu lassen. Wer sich in den dafür vorgesehenen Zeiten nicht der Arbeit oder der heiligen Lesung widmet, überlässt sein Denken und Fühlen anderen Kräften, die von Gott trennen können: einem negativ verstandenen Müßiggang.
Dass der Müßiggang auch positiv gedeutet werden kann, zeigt Gott selbst, wenn dieser am siebten Schöpfungstag ruht (vgl. Gen 2,2). Gott schläft in dieser Ruhe nicht etwa ein. Er chillt nicht ein bisschen und wartet auf bessere Zeiten. Vielmehr vollendet er an diesem Tag sein Werk. Im göttlichen Ruhen liegt Vollendung! Und er segnet diesen Tag und heiligt ihn (vgl. Gen 2,3). Der Müßiggang Gottes ist also positiv besetzt: Er ruht, genießt, betrachtet seine Schöpfung und heiligt sie. Wenn Benedikt vor dem Müßiggang warnt, geht es also nicht um eine solche Heiligung der Zeit. Vielmehr spricht er sich gegen einen lähmenden Müßiggang aus. Wer dauernd chillt mit WhatsApp, Instagram oder TikTok, kommt nicht wirklich zur Ruhe und findet danach in der Arbeit nicht etwa einen Ausgleich, sondern tritt die Arbeit nach viel Reizüberflutung völlig überfordert an.
Wir Menschen sollten uns darum immer wieder eine Sabbatruhe, eine geheiligte Zeit gönnen, etwa am Sonntag. Diese Ruhe ist fruchtbar. Sie ist ein Segen für unsere Seele und hat heilende Kräfte. Den Mut für diese Art von Muße wünsche ich uns allen in dieser Ferienzeit.