"Was habt ihr denn nachts an?" Das ist die unvermeidliche Frage, die Kinder und Jugendliche – nicht selten auch Erwachsene – stellen, wenn sie bei uns in der Abtei zu Gast sind und ich ihnen vom Leben als Benediktinerin erzähle. Nicht der Tagesablauf, die Gottesdienste und Gebetszeiten, die Arbeiten, denen wir nachgehen, scheinen das Interesse zu wecken, sondern vor allem die Kleidung. Die Menschen erleben mich im Ordenskleid, und das wird als etwas Außergewöhnliches wahrgenommen.
Vielleicht ist es gar nicht einmal so sehr das Ordenskleid an sich, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht – die Leute sind ja vom alltäglichen Straßenbild her mit weitaus exotischeren "Styles" vertraut –, sondern die Tatsache, dass dieses Kleid der einzige "Style" ist, den wir tragen, und zwar immer: in der Kirche, am Schreibtisch, beim Spazierengehen, beim Einkaufen, unterwegs im Zug und so weiter.
Die Gesichter spiegeln dann eine bemerkenswerte Mischung aus Beruhigung und Enttäuschung wider, wenn ich auf die Frage antworte, dass wir nachts einen ganz gewöhnlichen Pyjama tragen.
Die Benediktsregel schreibt es für die Nacht allerdings anders vor: "Sie schlafen angekleidet, mit umgebundenem Gürtel" (RB 22,5), das heißt vollständig angezogen, in der Nacht genauso wie am Tag. Der Grund für diese Anweisung ist jedoch kaum in den kulturellen Gepflogenheiten im Italien der Spätantike, dem Entstehungskontext der Benediktregel, zu suchen, sondern im Neuen Testament. Der heilige Benedikt hat mit dem Kapitel über die Nachtruhe (RB 22) eine christliche Grundüberzeugung in die alltäglichen Lebensvollzüge umgesetzt, die an vielen Stellen des Neuen Testaments zum Ausdruck kommt, vorzugsweise mit der Metaphorik von "Tag" und "Nacht", so wie der Apostel Paulus im Römerbrief schreibt: "Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe." (Röm 13,11f)
Angezogen und umgürtet zu sein zu jeder Tages- und Nachtzeit ist der sichtbare, konkrete Ausdruck der Überzeugung, dass Gott ganz nah ist.
Es geht um die Grundüberzeugung, dass der Lauf dieser Welt und ihrer Geschichte auf ein Ziel zugeht, das in greifbare Nähe gerückt ist. Dieses Ziel, ausgesagt im Bild vom nahen Tag, ist das umfassende "Heil", so gibt die Einheitsübersetzung das griechische Wort soteria an dieser Stelle wieder, an anderen Stellen finden wir für dasselbe Wort die Übersetzung "Rettung" oder "Erlösung". Dieses Wort scheint aus dem alltäglichen Sprachgebrauch weitgehend verschwunden zu sein und ist auch im kirchlichen Kontext nicht mehr oft zu hören. Dabei ist es das Kernwort des christlichen Glaubens schlechthin. Es drückt die Hoffnung aus, "auf deren Erfüllung wir warten: das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters (soter) Christus Jesus." (Tit 2,13)
Angezogen und umgürtet zu sein zu jeder Tages- und Nachtzeit ist der sichtbare, konkrete Ausdruck der Überzeugung, dass Gott ganz nah ist. In dieser Symbolik liegt der tiefste Sinn des Ordenskleides, für das es den speziellen Ausdruck "Habit" gibt. Er ist abgeleitet vom lateinischen habitus, was so viel wie "Haltung", "Verhalten" bedeutet. Es geht um die Haltung, die aus dem Glauben an Gottes Nähe und an sein Handeln in der Geschichte wächst und die in der Art und Weise sichtbar wird, wie Christen ihr gegenwärtiges Leben von Gottes Zukunft her gestalten: "Leben wie am Tag" (Röm 13,13).
Das Ordenskleid ist ein augenfälliges Zeichen für diesen Habitus, der, den Zeugnissen des Neuen Testaments entsprechend, nicht einer besonderen Gruppe vorbehalten, sondern etwas typisch Christliches ist: Christen vermögen durch die Dunkelheiten unserer Zeit hindurch das Licht zu sehen, das von Gott her in die Nacht dieser Welt einbricht und sie verwandelt. Und weil sie aus dieser Hoffnung heraus ein "Leben wie am Tag" führen, sind sie "das Licht der Welt" (Mt 5,14).