Ecclesia in EuropaEine Botschaft in Krisenzeiten

Die Hoffnung zaubert keine kurzfristigen Lösungen hervor, hilft aber, Schwierigkeiten tapfer anzunehmen und durchzuhalten und öffnet den Blick für neue Wege und neue Horizonte. Was Papst Franziskus und Papst Johannes Paul II. einem Kontinent in der Krise zu sagen haben.

Maura Zátonyi
© Jan Bruns

Zu Beginn des Sommers wurde das Europäische Parlament neu gewählt und die neu konstituierte Europäische Kommission nimmt nun ihre Arbeit auf. Mehr als noch vor fünf Jahren ist Politik und Welt von aufwühlenden Krisen gezeichnet, die auch unseren Alltag spürbar bedrücken. Diese Krisen verursachen in weiten Teilen der Gesellschaft Zermürbung, Resignation und Angst, die in Gewalt eskalieren. Die Politiker scheinen von einem Krisenmanagement zum anderen getrieben zu werden. Reicht es aber, in dieser Situation die Probleme tagespolitisch zu managen? Sollten nicht vielmehr die großen Zusammenhänge in den Blick genommen werden? Vielleicht sogar mit langem, benediktinischem Atem?

Papst Franziskus wird nicht müde, die Verantwortung der Politik für das gemeinsame Wohl der Menschheitsfamilie immer wieder und eindringlich in Erinnerung zu rufen. Im Monat August hat er besonders die politisch Verantwortlichen dem Gebet der Gläubigen anvertraut, verbunden mit der Botschaft, dass es uns ohne eine gute Politik nicht gelingen wird, die "universale Geschwisterlichkeit" zu verwirklichen. Politik versteht er in diesem Sinne als Dienst am Gemeinwohl, der darin besteht, "der Realität zuzuhören" und sich um das Schicksal konkreter Menschen mit ihren konkreten Nöten zu kümmern.

Ausgehend vom Beispiel des heiligen Benedikt beschreibt der Papst ein Europa, das Person und Gemeinschaft wertschätzt, Raum für Dialog und Solidarität öffnet und an der Verheißung des Friedens mitwirkt.

Gerade in Krisenzeiten ist eine Politik vonnöten, die sich nicht in oberflächlicher Geschäftigkeit erschöpft oder gar von einem egoistischen Machtinteresse (etwa im Hinblick auf Wahlergebnisse) geleitet wird, sondern die fähig ist, den Menschen tragfähige Perspektiven zu öffnen. Wie diese konkret aussehen können, dazu hat Papst Franziskus in einer Rede an die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) im Jahre 2017 wertvolle Hinweise gegeben, die heute aktueller erscheinen denn je. Der Papst, vom anderen Ende der Welt kommend, redet uns Christen in Europa ins Gewissen und nimmt uns in Pflicht, indem er uns auffordert, in Zeiten der Herausforderungen und Krisen unseren genuinen christlichen Beitrag zur Überwindung der Probleme zu leisten. Dabei erinnert er uns an die Anfänge Europas, das aus den Ruinen einer niedergegangenen Kultur geboren ist: "Als die antike Zivilisation unterging und die Herrlichkeiten Roms zu jenen Ruinen wurden, die wir heute noch in der Stadt bewundern können, als die neuen Völker über die Grenzen des alten Reichs drängten, ließ ein junger Mann die Stimme des Psalmisten widerhallen: 'Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?' … Der heilige Benedikt achtet nicht auf den sozialen Stand oder auf den Reichtum oder die Macht, die jemand innehat. Er wendet sich an die gemeinsame Natur jedes Menschen, der – gleich welchen Standes – sich nach dem Leben sehnt und sich glückliche Tage wünscht. Für Benedikt gibt es keine Rollen, sondern Personen, keine Adjektive, sondern Substantive."

Ausgehend vom Beispiel des heiligen Benedikt beschreibt der Papst ein Europa, das Person und Gemeinschaft wertschätzt, Raum für Dialog und Solidarität öffnet und an der Verheißung des Friedens mitwirkt. Das sind fast zu große Ideale, angesichts unserer armseligen Gegenwartssituation, in der Individualismus, Einsamkeit, Abgrenzung und schreckliche Kriege dominieren. Wir müssen zugeben, dass es uns nicht vollständig gelingt, uns nach diesen Idealen auszurichten, aber einige Aussicht auf Erfolg wird es dann geben dürfen, wenn wir bereit sind, uns für einen Horizont zu öffnen, der über unsere menschlichen Möglichkeiten hinausgeht. Das Nachsynodale Apostolische Schreiben "Ecclesia in Europa" Johannes Pauls II., entstanden im Kontext des Jubiläums um die Jahrtausendwende, könnte uns auf der Schwelle zum nächsten Jubiläumsjahr 2025 dazu inspirieren, unsere Erfahrungen in der Dimension der biblischen Apokalypse neu zu deuten: "In einer Zeit der Verfolgung, der Bedrängnis und der Erschütterung für die Kirche, wie sie der Verfasser der Geheimen Offenbarung erlebte, ist das Wort, das er in der Vision vernimmt, ein Wort der Hoffnung: 'Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch nun lebe ich in alle Ewigkeit, und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt' (Offb 1, 17-18). Wir werden also mit dem Evangelium, mit der 'frohen Botschaft' konfrontiert, die Jesus Christus selbst ist" (Ecclesia in Europa 6).

Die Hoffnung wachhalten

Wir dürfen uns bewusst machen, dass jede Epoche der Menschheitsgeschichte ihre eigenen Krisen, Probleme, Konflikte gehabt hat, und eingestehen, dass es uns aus eigener Kraft nicht gelingt "in der Verworrenheit der Wechselfälle die Richtung und den letzten Sinn der Dinge" zu erkennen: "Der sich selbst überlassene Mensch, mag er sich noch so anstrengen, ist nicht imstande, der Geschichte und ihren Ereignissen einen Sinn zu geben: Das Leben bleibt ohne Hoffnung. Allein der Sohn Gottes ist in der Lage, die Finsternis zu vertreiben und den Weg zu zeigen" (Ecclesia in Europa 44).

Der genuine Beitrag der Kirche und der einzelnen Christen in der Gesellschaft von heute könnte so formuliert werden: Die Hoffnung, die sie durch ihren Glauben an die Auferstehung Jesu Christi beseelt, inmitten von so viel Hoffnungslosigkeit wachzuhalten. Wie diese Auferstehungshoffnung zu entfachen und in welcher konkreten Form weiterzugeben wäre, wäre die dringendste Frage für Bischöfe, aber auch für jeden einzelnen Gläubigen und für jegliche kirchliche Versammlungen. Vom Himmel geleitete und erdverbundene Hoffnung sollte an der allerersten Stelle auf der kirchlichen Reformagenda stehen, will die Kirche den ihr zugedachten Auftrag in der Welt – Gesellschaft und Politik – erfüllen. Hoffnung zaubert zwar keine kurzfristigen Lösungen hervor, hilft aber, Schwierigkeiten tapfer anzunehmen und durchzuhalten und öffnet den Blick für neue Wege und neue Horizonte, im privaten und im politischen Bereich. "An Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln": Diese Botschaft des heiligen Benedikt könnte zur Richtschnur unserer Entscheidungen, Worte und Taten sein. "De Dei misericordia numquam desperare" (Benediktsregel 4,74) – angesichts von Gottes Barmherzigkeit an der Hoffnung festhalten!

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