Wo "mehr" zu "weniger" führtFastenbotschaft aus dem Kloster

Die Fastenzeit will nicht, dass wir in der Wüste unseres Lebens stehenbleiben, sondern den Weg in die Freiheit beschreiten.

Urban Federer
© Kloster Einsiedeln

Machen wir uns als Menschen aus Industrieländern nichts vor: Es wird in Zukunft nicht ohne Beschränkung gehen, wenn uns das Wohl unserer Schöpfung etwas bedeutet, wenn wir Ressourcen wie Wasser, Energie und Rohstoffe auch in Zukunft zur Verfügung haben wollen. Doch wer beschränkt sich schon freiwillig gerne? Welche verantwortliche Person in Politik und Wirtschaft würde uns sagen wollen, dass wir lernen müssen zu verzichten?

Gerade die Fastenzeit, in der wir stehen, ruft uns zu Verzicht auf. Kann der Verzicht etwas mit erfülltem Leben zu tun haben? Die Bibel spricht etwa dort vom Verzicht, wo sie zeigt, dass Gott das Leben will. Aus religiösen Gründen will darum der Verfasser des ersten Timotheusbriefs keinen "Verzicht auf bestimmte Speisen, die Gott doch dazu geschaffen hat, dass die, die zum Glauben gelangt sind, sie mit Danksagung zu sich nehmen. Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut und nichts ist verwerflich, wenn es mit Dank genossen wird" (4,3f.). Die Grundhaltung des christlichen Glaubens – auch in der Fastenzeit – ist also die Dankbarkeit und nicht etwa der Verzicht.

Dennoch kennt auch die Benediktsregel den Verzicht, der für erfülltes Leben unverzichtbar ist. So sollen Mönche und Nonnen "der Schweigsamkeit zuliebe bisweilen sogar auf gute Gespräche verzichten" (RB 6,2). Weiter kennt unsere Regel für die Fastenzeit den Verzicht beim Essen und Trinken, von zu viel Schlaf und Geschwätzigkeit (vgl. RB 49,7). Dieses Verzichten soll uns in Bewegung halten – auf Christus und auf unsere Mitmenschen hin. Dazu fordert uns die Regel auf, das Fasten zu lieben (vgl. RB 4,13) – und nicht etwa darin zu erstarren. Darüber hinaus schlägt Benedikt vor, an Fasttagen die "Unterredungen" des Johannes Cassian zu lesen, Weisheiten der alten Wüstenmönche (vgl. RB 42,5). Auch soll der Mönch in der Fastenzeit ein biblisches Buch von Anfang bis Ende lesen (vgl. RB 48, 15). Denn wer liest, kreist nicht um sich selbst, sondern nimmt Gedanken auf, die uns von außen anstoßen. Wer liest, wird bewegt! Wenn wir dazu bedenken, dass Benedikts Haltung für die Fastenzeit die "Freude des Heiligen Geistes" (RB 49,6) ist, dann steht für ihn in der Fastenzeit nicht das "Weniger" im Zentrum, sondern ein "Mehr". Der Mönch soll in der Fastenzeit mehr Raum und Zeit zum Schweigen, Hören und Lesen haben, um sich in Dankbarkeit und in der Freude an Gott auf das "Mehr" von Ostern hinbewegen zu lassen!

So ist die Fastenzeit für die Regel Benedikts eine "Mehr-Zeit", eine Gnadenzeit. Ist es nicht erstaunlich, dass der heilige Benedikt gerade in seinem Fastenkapitel 49 den Ausdruck "Fasten" gar nicht verwendet? Er nennt diese Zeit vielmehr die vierzig Tage vor Ostern. Diese Zahl 40 verweist auf die Zeit, die Jesus in der Wüste verbrachte, um sich auf seinen öffentlichen Auftrag vorzubereiten. Die Zahl 40 verweist zudem auf die 40-jährige Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste ins Gelobte Land. Die Fastenzeit will auch vor diesem Hintergrund nicht, dass wir in der Wüste unseres Lebens stehenbleiben, sondern den Weg in die Freiheit beschreiten, in das "Mehr" des Lebens.

Von daher ist es vielleicht keine gute Idee, Menschen zum Verzicht aufzurufen für eine bessere Zukunft unseres Planeten. Vielmehr müssten wir werben für eine Mehr an Zeit, Muße, Dankbarkeit und Freude, was uns kreativer werden lässt im Umgang mit Mensch und Umwelt. Es wäre schön, dieses Mehr führte zu einem Weniger des Bedürfnisses, alles haben und brauchen zu müssen.

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