So wie Kirche und Welt ist das Mönchtum einem tiefgreifenden Wandel unterworfen. Auch wir Benediktiner brauchen Impulse von außen, um unsere Lebensform und die dazugehörige Denkform neu zu begreifen. Dafür ist für mich das Werk des Lutheraners George Lindbeck erhellend. In meinen Lehrveranstaltungen an der Päpstlichen Hochschule Sant’Anselmo in Rom erlebe ich, wie Lindbecks Konzeptionen für Studierende verschiedener Länder aufschlussreich sind. Bemerkenswert zudem, dass derzeit an unterschiedlichen römischen Hochschulen Dissertationen über ihn und seine Denkschule entstehen.
Vergangenes Jahr jährte sich der 100. Geburtstag Lindbecks. Sein Hauptwerk "The Nature of Doctrine. Religion and Theology in a Postliberal Age" erschien vor genau 40 Jahren, zehn Jahre später auf Deutsch und in den folgenden Jahren in weiteren Sprachen. An der Yale University lehrte er Theologiegeschichte. Prägend waren für ihn besonders die Erfahrungen als Konzilsbeobachter beim Zweiten Vatikanum und in der jahrzehntelangen Ökumene mit Katholiken. Vor allem widmete er sich dem Anliegen, Spaltungen zwischen Konfessionen sowie Polarisierungen in ihnen zu vermindern und Wege aufzuzeigen, wie sich der christliche Glaube in einer postmodernen Welt kraftvoll entfalten kann.
Griffig und provokant skizziert Lindbeck – bewusst schematisch – zwei Modelle, die in einer zunehmend entchristlichten Welt in die Sackgasse führen: Ein vor-liberales Verständnis sieht den Kern von Religion statisch im bloß kognitiven Bekenntnis ein für alle Mal ausformulierter Sätze und in der sklavischen Einhaltung von Regeln. Das liberale Modell geht hingegen vom subjektiven Erleben aus und stilisiert die Religion zum bloßen Ausdruck religiöser Erfahrungen, die möglichst in säkulare Kategorien zu übersetzen sind.
Vor- oder anti-liberale Haltungen sehen in Veränderungen einen Verrat und das Kloster als Garant einer heilen, separierten Welt. In der liberalen Extremvariante können einzelne Mönche oder die ganze Gruppe Traditionen leichtfertig entsorgen, wenn sie ihnen nicht unmittelbar zu entsprechen scheinen.
Mir helfen Lindbecks Analysen, inadäquate Vorstellungen des Mönchtums zu identifizieren: Vor- oder anti-liberale Haltungen sehen in Veränderungen einen Verrat und das Kloster als Garant einer heilen, separierten Welt. In der liberalen Extremvariante können einzelne Mönche oder die ganze Gruppe Traditionen leichtfertig entsorgen, wenn sie ihnen nicht unmittelbar zu entsprechen scheinen.
Lindbecks post-liberale Alternative dagegen stellt ins Zentrum, wie jemand religiös wird und es der Religion gelingt, eine eigene Sinnwelt aufzubauen. Angeregt durch seine 17 ersten Lebensjahre als Sohn evangelischer Missionare in der Diaspora Asiens und beruhend auf interdisziplinären Forschungen, vergleicht er Religion mit einer Sprache und sieht in ihr eine eigene Kultur ausgeprägt, die bestimmte Erfahrungen erst ermöglicht. Das kulturell-sprachliche Modell integriert Pole, die bei den anderen beiden Modellen als Gegensätze erscheinen: objektive Vorgabe und subjektive Erfahrung, Identität und Wandel, Einheit und Pluralität.
Wenn wir diesen Ansatz auf das Kloster übertragen, kommt der Gemeinschaft eine grundlegende Bedeutung zu. Mönch zu werden heißt dann, sich durch narrative, ästhetische, symbolische und rituelle Grundvollzüge im Kloster aktiv prägen zu lassen. Dieser Prozess verlangt von einem Konvent die vom Konzil geforderte Rückkehr zu den Quellen (ressourcement), die im Leben des einzelnen Mönchs wie einer ganzen Kommunität immer auch eine kreative Verheutigung (aggiornamento) mit sich bringen sollte.
Vergessene Schätze heben
Ich bin überzeugt: In der gegenwärtigen Umbruchsituation müssen sich Klöster verstärkt die Frage stellen, wie in ihnen und durch sie der Glaube gelebt und vermittelt wird. Ihre Kunst besteht darin, sich der Weisheit und formativen Kraft alltäglicher Vollzüge wie der Liturgie oder der geistlichen Schriftlesung (lectio divina) bewusst zu werden, aber auch vergessene Schätze des Mönchtums zu heben. Traditionen, die nur äußerlich bestehen, müssen durch andere Formen verinnerlicht werden.
Das Mönchtum kann wieder eine wichtige Rolle entfalten, wenn es seine klösterlichen Praktiken mit heutiger Sensibilität in einer ansprechenden Glaubenskultur lebt, die über Klostermauern hinausstrahlt – und seinerseits offen für Anregungen von außen ist.