Willkommen im Kloster!Gastfreundschaft und Evangelisierung

Was die Mönche dem Gast anzubieten haben: Sie lassen ihn teilhaben an ihrem Leben – und predigen so das Evangelium.

Bruno Rieder
© Henning Angerer

Dafür sind sie taub, die Schweizer Offiziellen des Synodalen Prozesses. Vermutlich sieht es in Deutschland ähnlich aus. Kein Gehör hatten sie für das, was der Generalsekretär der Bischofsynode, Kardinal Mario Grech, ihnen im März 2024 beim Besuch in Bern als Hauptanliegen des Prozesses vermitteln wollte. "Am Ende gehe es um Neuevangelisierung: 'Eine synodale Kirche sein, um eine bessere Kirche zu sein und das Evangelium zu predigen', das sei das Ziel", so das Internet-Portal kath.ch. Eine Teilnehmerin meinte empört: "Das ist doch keine Marketing-Kampagne."

Muss man Evangelisierung mit Marketing gleichsetzen? Den Menschen ein Produkt andrehen, das womöglich in keiner Weise den Erwartungen entspricht, die durch die Hochglanzbilder und Werbeslogans geweckt werden? Benedikt weist in seiner Regel einen anderen Weg, Menschen mit dem Evangelium bekannt zu machen.

2021 pilgerte eine Schar Jugendlicher zu Fuß vom Kloster Müstair zum Kloster Disentis. Mit Freude hatte unsere Gemeinschaft zugesagt, sie zu beherbergen. Beim Austausch fragte mich ein Begleiter der Gruppe: "Worin seht ihr als Benediktinerkloster euren spezifischen Beitrag zum Leben der Kirche in der heutigen Zeit?" Ich musste nicht lange überlegen: "Was uns der heilige Benedikt aufträgt und was wir zu praktizieren suchen, das ist die Gastfreundschaft."

Die Gastgeber degradieren die Ankömmlinge nicht zu Objekten der Indoktrination. Vielmehr nähern sie sich ihnen voll Ehrfurcht.

Benediktinische Gastfreundschaft bedeutet zunächst schlicht: die suchenden Menschen, die unerwartet anklopfen, aufnehmen und annehmen – beides ist gemeint im Leitwort suscipere. Das lateinische hospes spiegelt in seiner Grundbedeutung die Ambivalenz der Begegnung mit dem Anderen: Aus dem "Fremden" soll ein "Gast" werden. Die Gastgeber degradieren die Ankömmlinge nicht zu Objekten der Indoktrination. Vielmehr nähern sie sich ihnen voll Ehrfurcht. "Allen Gästen begegne man bei der Begrüßung und beim Abschied in tiefer Demut: man verneige sich, werfe sich ganz zu Boden und verehre so in ihnen Christus, der in Wahrheit aufgenommen wird" (RB 53,6f.). Diese Vorgehensweise entspricht dem, was Kardinal Ratzinger auf den Vorwurf entgegnete, der Wahrheitsanspruch der monotheistischen Religionen impliziere notwendig Intoleranz gegenüber den "Ungläubigen": "Dieser Gottesbegriff (der Bibel) erreicht seine letzte Höhe in der johanneischen Aussage: Gott ist Liebe (1 Joh 4,8). Wahrheit und Liebe sind identisch. Dieser Satz (…) ist die höchste Garantie der Toleranz: eines Umgangs mit der Wahrheit, deren einzige Waffe sie selbst und damit die Liebe ist".

Zur Behutsamkeit im Umgang mit Gästen gehören wache Aufmerksamkeit und großzügige Verfügbarkeit. Der Klosterpförtner soll deshalb seine Zelle direkt neben der Pforte haben, "damit alle, die ankommen, dort immer einen antreffen" (RB 66,2). Der Gastgeber ist in erster Linie Zuhörer, einer, "der Bescheid zu empfangen und zu geben weiss". Die Mönche sind selber Beschenkte, sie sonnen sich nicht in moralischer Überlegenheit. "Nach der Fußwaschung (am Gast) beten sie den Psalmvers: 'Wir haben, o Gott, deine Barmherzigkeit aufgenommen'." (RB 53,14)

Was die Mönche dem Gast anzubieten haben: Sie lassen ihn teilhaben an ihrem Leben. Primär am Gottesdienst. Dann am Tagesrhythmus, an Zeiten und Räumen des Schweigens, am Mahl mit Tischlesung, an der Weisheit der monastischen Tradition. Dieses Anteil-Geben gewährt auch Einblick in die Schwächen der Mönche und der Gemeinschaft: Menschen, die "niemals an Gottes Barmherzigkeit verzweifeln" (RB 4,74) – und so das Evangelium predigen.

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